Von Roll – dieser Name ist aus der Schweizer Industriegeschichte nicht wegzudenken. Bis heute prägen die Kanalisationsdeckel der 1823 gegründeten Stahl- und Eisenhütte hierzulande Strassen und Plätze. 6500 Mitarbeiter zählte der Konzern in den fünfziger Jahren – in Gerlafingen, wo die mächtigen Werke standen, kam es über Mittag regelmässig zum Verkehrszusammenbruch, wenn die Arbeiter zum Essen nach Hause radelten.
Was folgte, war ein jahrzehntelanger Zerfall, der erst in den letzten Jahren angehalten werden konnte. Würde man heute jemanden fragen, was Von Roll macht, wüssten wohl nur wenige die Antwort. Noch rund 900 Personen beschäftigt Von Roll heute. Das Unternehmen hat sich komplett neu ausgerichtet und ist vor allem auf Elektro-Isolationssysteme und Hochleistungsmaterialien für Batterien spezialisiert. Damit hat es sich zukunftsträchtige Bereiche ausgesucht – die Isolationen finden etwa in der Windkraft Anwendung, die Materialien in Batterien für die Elektromobilität. Und: Der Konzern ist inzwischen wieder erfolgreich und schreibt Gewinne – 6,2 Millionen waren es im ersten Halbjahr.
Bewerkstelligt hat den Turnaround CEO Christian Hennerkes. Der gebürtige Deutsche übernahm im Oktober 2016 die Geschicke des Konzerns – damals der vierte Chef in nur neun Jahren. In den Jahren vor seinem Antritt hatten sich die Verluste auf über 200 Millionen Franken summiert. Die Besitzerfamilie, der deutsche Milliardenclan um den langjährigen Patriarchen August von Finck, die 2007 die Macht bei der Industrie-Ikone übernommen hatte, musste immer wieder finanziell geradestehen. «Das Unternehmen war ein Sanierungsfall», sagt Hennerkes. Als ehemaliger Strategieberater bei der Boston Consulting Group kannte er sich mit Umbauprojekten aus und legte mit viel Elan los. Es waren zunächst klassische Sanierungsschritte: Die grössten Verlustquellen wurden geschlossen. Damals seien von 19 Standorten nur fünf profitabel gewesen, heute seien es noch 14 Standorte, «und alle sind profitabel».
Dann der Aufbau. Hennerkes wechselte Leute ein und schaffte es auch, junge Talente für die Entwicklungsarbeit in die Zentrale nach Breitenbach zu locken – «bei uns geniessen die Leute viel Freiheit», so Hennerkes. War Von Roll zunächst vor allem ein Materiallieferant, wurden in den letzten Jahren zunehmend neue Kompetenzen aufgebaut, vor allem in der Entwicklung von Gesamtsystemen. So wurde etwa für Haliade-X, das grösste Windrad der Welt, das Isolationssystem komplett entwickelt. Heute ist Von Roll in verschiedenen Bereichen Weltmarktführer.
Die Sanierung des einstigen Sorgenkinds dürfte auch der Besitzerfamilie von Finck Freude bereiten. Die Aktionärsgruppe um von Finck hält heute 73 Prozent der Aktien. Auch wenn die Aktie im Zuge der allgemeinen Börsenbaisse dieses Jahr nochmals an Wert verloren hat, sieht man doch erstmals Licht am Ende des Tunnels.
Vertreter der Besitzerfamilie im Verwaltungsrat von Von Roll ist seit mehreren Jahren der älteste Sohn, August François von Finck. Der 54-Jährige hat laut Quellen aus dem Umfeld der Familie die neue Leaderrolle im Clan eingenommen, die nach dem Tod von August von Finck im November des vergangenen Jahres frei geworden war. Dass August François diese Rolle einnimmt, ist keine Selbstverständlichkeit, denn lange galt der jüngste Sohn, Luitpold (51), als Liebling des Vaters. Der wurde stets als der unternehmerischste der drei Söhne angesehen, zu denen auch Maximilian (53) gehört.
Umso wichtiger für August François also, dass er mit Von Roll schon im ersten Jahr seiner Rolle als neues Familienoberhaupt einen Erfolg vorweisen kann, und erst noch in dem Unternehmen, wo er als Verwaltungsrat selbst direkt zuständig ist.