In diesem Jahr konnte man den einfachen Weg wählen: Eine Mehrheit der Ökonomen erwartete einen Einbruch der Weltwirtschaft – ein deutliches Signal für den geneigten Beobachter, davon auszugehen, dass es keine Rezession geben wird! Noch nie hatten Ökonomen eine Rezession ein Jahr voraus korrekt antizipiert.

Der Ausblick für 2024 gestaltet sich schwieriger, denn die Ökonomen sind sich uneinig. In der Tat sind verschiedenste Szenarien denkbar. Dies liegt nicht nur an den politischen Ereignissen, die schwer vorherzusagen sind. Die wahre Herausforderung liegt in den Zinsen. Diese sind entscheidend für die Bewertungen aller Anlagen und Investitionen. Und je länger die Zinsen hoch bleiben, umso grösser die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes der Konjunktur, wenn verschuldeten Akteuren ihre Grenzen aufgezeigt werden. Sinken die Zinsen hingegen bald wieder, verringert sich diese Gefahr und damit auch die Gefahren für die Finanzmärkte.

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Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.

Zinsen sind entscheidend, doch deren Vorhersage ist derzeit besonders schwierig, wie sich am MOVE-Index zeigt, einem Mass für die Schwankungen am US-Staatsanleihenmarkt. Dieser lag ausserhalb von Rezessionszeiten in diesem Jahrhundert noch nie so hoch wie derzeit. Aber warum ist dies so? Nach Jahren der relativen Zinsstabilität ist es aktuell kaum möglich, schlüssige Aussagen über die beiden fundamentalen Komponenten des Zinsniveaus in einem Währungsraum zu treffen. Wo wird in Zukunft der reale Gleichgewichtszins liegen, und mit welchen durchschnittlichen Inflationsraten ist zu rechnen?

Trotz aller Schwierigkeiten bei Wirtschaftsprognosen wissen wir doch recht viel über das Gleichgewichtswachstum einer Volkswirtschaft. Dies gilt aber nicht für die Zinsen. Der natürliche Gleichgewichtszinssatz ist ein theoretisches Konzept, und die Versuche zu dessen Quantifizierung sagen mehr über die Ideologie der Forscher aus als über die Realität. Sicher ist, dass er auch von der Fiskalsituation eines Landes abhängt und die hohe Verschuldung die bisherige Annahme in Frage stellt, dass Staatsanleihen risikofrei seien. Aber was ist eine angemessene Zinsentschädigung des Risikos?

Und wie hoch werden die durchschnittlichen Inflationsraten in Zukunft sein? Vor der Corona-Krise hatten sich diese in den USA bei rund zwei Prozent, in der Eurozone bei einem Prozent und in der Schweiz bei null Prozent eingependelt. Es erscheint rational, höhere Inflationsraten zu erwarten, denn die langfristigen Erwartungen an die Geldpolitik hängen nicht zuletzt ebenfalls von der Verschuldungssituation ab. Zentralbanken müssen eingreifen, wenn dem Staat das Geld ausgeht, und das endet längerfristig in höherer Inflation. Aber um wie viel höher wird die Inflation ausfallen?

Dass wir nichts Genaues über das mittelfristige Zinsniveau wissen, macht die Vorhersage kurzfristiger Entwicklungen nicht einfacher. Alle Augen sind jeweils auf die geldpolitischen Zinsentscheide gerichtet. Doch auch mit diesem Fokus macht man es sich zu einfach. Die Märkte warten nicht ab, was die Geldpolitik tut. So stiegen die längerfristigen Hypothekarzinsen in der Schweiz nur im Frühjahr 2022 an, als die Schweizerische Nationalbank (SNB) ausdrücklich noch keine Zinsschritte erwog. Im Herbst 2023 sind die Hypothekarzinsen wieder gesunken – obwohl die SNB immer noch ausdrücklich betonte, dass sie zu weiteren Leitzinserhöhungen bereit wäre.

Aus diesen Überlegungen lässt sich immerhin eine solide Prognose ableiten: Weil ein Anker fehlt, ist weiterhin mit grösseren Zinsschwankungen zu rechnen.