Ein Vorteil des Jahreswechsels ist, dass man zum einen das vergangene Jahr Revue passieren lässt, dann aber zum andern schnell in Zukunftsträumen schwelgen darf. Das mache ich aktuell sehr gern, denn das Jahr 2025 wird, bezogen auf die Venture-Capital-Branche, aus meiner Sicht fulminant. Ersten Anzeichen zufolge werden die in den USA in VC investierten Volumina über alle Phasen hinweg deutlich von den aktuell rund 160 Milliarden Dollar ansteigen. Insbesondere drei Faktoren treiben diesen Trend: Erstens hat die starke Entwicklung der Aktien das Vertrauen der Gründer und Investoren in die Marktstabilität wiederhergestellt, woraus ein höherer Risikoappetit folgt und mehr mutige Schritte auf Investment- und Start-up-Seite gemacht werden. Zweitens gehen die Geldpuffer von Unternehmen, die 2022 grössere Runden getätigt haben, langsam zur Neige, sodass die Anzahl an Transaktionen steigen wird. Und drittens haben sich die Bewertungen im Venture Capital über die letzten Jahre wieder deutlich stabilisiert, sodass die Transaktionen auf einem gesunden Level dicht an den historischen Durchschnitten getätigt werden.
Die grosse Ausnahme ist sicherlich der gesamte Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), denn hier werden Bewertungen aufgerufen, die sich ausschliesslich am Potenzial der Unternehmen messen. Nur dies kann die bewertungstechnisch völlige Entkoppelung des Sektors vom restlichen Markt erklären. Auch im nächsten Jahr wird der Bereich der KI eine übergeordnete Rolle spielen und die VC-Nachrichten dominieren. Laut Sam Altman, dem Gründer der KI-Firma OpenAI, wird es das Jahr sein, in dem wir verstehen, wie eine Artificial General Intelligence (AGI) gebaut werden kann. Während selbst die führenden generativen KI-Modelle bisher höchst spezialisiert und limitiert sind, wäre diese AGI in ihrer Denkweise so vollkommen wie ein Mensch. Die AGI selbst ist so etwas wie der heilige Gral der KI-Welt, daher dürfen wir für 2025 auf Grosses hoffen, sofern man Altmann Glauben schenkt.
Vielleicht wird es bereits das Jahr, in dem wir mit virtuellen Assistenten beschenkt werden, die uns kleinere und grössere Aufgaben im Alltag abnehmen. Kombiniert mit dem Optimus-Roboter, den Tesla Ende des nächsten Jahres dem Massenmarkt zugänglich machen möchte, kommt richtig technisches Momentum in die privaten Haushalten weltweit. Zwar sollte man nie einem Terminplan von Elon Musk trauen, aber man darf ja hoffen.
Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.
In den Bewertungen von KI-Unternehmen haben wir bereits 2024 viel Schwung an der Börse und im privaten Sektor gleichermassen gesehen. Die Kombination aus erstens enormer Schnelligkeit von Kapitalrunden der KI-Firmen, zweitens schwindelerregenden Bewertungen und drittens der Höhe des aufgenommenen Kapitals provoziert schnell Vergleiche zu vorherigen Blasen. Aber Analysten gehen nach wie vor davon aus, dass es sich um starke, technisch fundierte Trends handelt. Die Höhenflüge der öffentlich gehandelten KI-Unternehmen sind laut Goldman Sachs durch das starke Umsatz- und Gewinnwachstum gerechtfertigt.
Und was die VC-Investments in private Firmen wie OpenAI, Anthropic oder Mistral anbelangt, sieht die UBS aufgrund der gewaltigen Renditepotenziale keinen Grund zur Sorge. Es gelte wie so häufig im VC das Motto «Alles oder nichts», daher sei eine breite Diversifikation sehr zu empfehlen.
Auch die Schweizer werden die Themen rund um KI im Jahr 2025 deutlich stärker beschäftigen, denn mit OpenAI und Anthropic haben jüngst zwei weitere Giganten Büros in Zürich eröffnet. In Fachkreisen gelten die Schweizer Universitäten ohnehin schon längst als weltweit führend in der KI-Forschung, auch wenn man sich die Anzahl der KI-Patente anschaut. Und nun wurde die Stadt Zürich auch zur Nummer zwei in Europa gekürt, was die Dichte der KI-Talente anbelangt.
Petar Tsankov, Mitgründer und CEO der Schweizer KI-Firma LatticeFlow AI, sagte hierzu: «Zürich bietet die besten Voraussetzungen für die Entwicklung von Deeptech-KI-Produkten auf höchstem Niveau.» Und Franziska Bossart, verantwortlich bei Amazon für den mit einer Milliarde US-Dollar dotierten Innovation Fund, sagte kürzlich: «Insbesondere in den Bereichen Deeptech und Industrialtech entwickelt Europa tolle Technologien, und speziell Zürich ist ein international anerkannter Hub für Robotik und KI. Gerade wenn es um die Finanzierung der Hochschulen geht, sollten wir in der Schweiz uns das vor Augen führen: Wir haben da eine Perle, die sich messen kann mit Stanford, Berkeley, dem MIT.»
Ich denke zwar nicht, dass wir bereits 2025 die ersten Börsengänge von KI-Firmen sehen werden, aber der Einfluss dieses Themenbereichs auf die Bewertungen ist ja bereits deutlich an Firmen wie Nvidia, Microsoft, Apple, Alphabet usw. sichtbar. Dafür werden die Exit- und IPO-Märkte im Jahr 2025 deutlich anziehen, denn die Mischung machts: Niedrigere Zinssätze und eine deutlich schwächer werdende Inflation stärken den Optimismus fundamental, weil die Kreditkosten damit einhergehend ebenfalls sinken werden. Analysen zeigen zudem, dass die Performance der 2024 an die Börse gebrachten Unternehmen sehr stark war, mit weiterhin steigender Tendenz. Wenn man die ersten drei Quartale des Jahres 2023 mit denen von 2024 vergleicht, dann wurden 2024 rund 24 Prozent mehr Firmen an die Börsen gebracht, die Volumina des aufgenommenen Kapitals waren aber um satte 37 Prozent höher als in der Vergleichsperiode. Auf der Renditeebene haben IPOs 2024 den S&P 500 Index zudem deutlich übertroffen.
Zu guter Letzt dürfen wir den Trump-Faktor nicht ausser Acht lassen, denn der neue US-Präsident steht nun mal für Deregulierung im Kryptobereich sowie bei der Börsenaufsicht FTC. Analysten sehen hier zusätzlichen Fahrtwind für die IPO-Volumina 2025. «Ich denke, wir werden wieder mehr Exits sehen und auch sehen müssen, damit das VC-Modell von Investieren, Deinvestieren und Reinvestieren grundsätzlich funktioniert. Ob dies bereits 2025 der Fall ist, werden wir sehen», sagt dazu Thomas Heimann, Head Risk Management & Equity Analyst bei HBM Partners und SECA-Board-Member.
Durch die Rückflüsse von Liquidität durch die Exits werden VC-Fonds 2025 ihren Investoren die lang ersehnte Liquidität liefern können, sodass der DPI-Wert (Dividends to Paid-in Capital) der Fonds steigen wird. Dies ist enorm wichtig für VC-Fonds, denn oft werden die Buchgewinne nicht für voll genommen. Dividenden und Liquidität sichern gegebenenfalls weitere Fondsgenerationen. Zudem befeuern sie natürlich in einem weiteren Schritt auch wieder die Start-up-Welt, da langfristig mehr Kapital zur Verfügung steht.
Dies heisst noch nicht, dass der zuletzt ziemlich breit gesehene Trend der Kontinuations-Vehikel für den Fall, dass am Ende der Fondslaufzeit noch einige Firmen im Portfolio sind, vorüber ist. Die Nutzung eines solchen hatte sich in den letzten zwei Jahren auch im VC etabliert – insbesondere in solchen Fällen, in denen Firmen für einen Exit schlichtweg mehr Zeit benötigen, als die Fondslaufzeit hergibt. Meine Einschätzung ist hier, dass wir eher noch mehr von solchen eigentlich aus der Private-Equity-Welt geliehenen Strukturen sehen werden.
Natürlich gibt es auf der Metaebene sich anbahnende Risiken, die man nicht ignorieren sollte. Christian Nolting, CIO der Deutschen Bank, schreibt zum Gesamtmarkt: «2025 wird für die Anleger nicht immer ein einfaches Jahr sein, da die Märkte geopolitische oder andere Risiken (Rezession, Zinssätze und Rotationen) zu bewältigen haben. Aber wir glauben, dass diese Risiken überschaubar sind.» Nolting hat natürlich recht, denn wir befanden uns am Ende des Jahres 2024 auf vergleichsweise hohen Kursniveaus mit einer gewissen systeminhärenten Volatilität.
Während es sicherlich Risiken auf der Gesamtmarktebene gibt, ist der Bereich des Venture Capitals auf dem Weg ins Jahr 2025 stark für ein positives Wachstum positioniert. Die Mischung aus günstigen Finanzierungsbedingungen, dem treibenden Innovationsmotor rund um die transformative KI, dem erholten Exit- und IPO-Markt und der frischen Liquidität wird 2025 zu einem der besten Jahre im Venture Capital machen im Vergleich mit den letzten und wahrscheinlich auch den nächsten Jahren. In einer Zeit, in der wir mit gewisser Sorge auf die geopolitischen Entwicklungen in der ganzen Welt schauen, lässt uns zumindest der VC-Bereich optimistisch aufs neue Jahr blicken.