Bereits ein Jahr nach der Seed-Runde kommt für das ETH-Spin-off LatticeFlow der Ruf aus dem Silicon Valley: Atlantic Bridge und FPV Ventures, zwei amerikanische Schwergewichte in Sachen Wachstumskapital, wollen einen Deal mit dem KI-Start-up.
Ebenso ist der Londoner Investor OpenOcean interessiert. Man findet sich, sodass Atlantic Bridge und OpenOcean die zwölf Millionen Dollar schwere Series-A-Runde leiten werden mit einem Follow-on vom Schweizer Seed-Investor Btov. Rund ein Jahr später wird die Zweitniederlassung in den USA gegründet, um die internationale Expansion zu befeuern.
Es ist das oft typische Vorgehen für die besten Schweizer Start-ups: Seed-Runde hierzulande, internationale Series A, dann auf und davon. Das ist nicht nur ein kurzer Trend. Und dies, obwohl doch die Innovationsweltmeisterin Schweiz das Land der Erfinder ist.
Max Meister ist Founding Partner von Bigmont Ventures mit Sitz Baar, ZG.
Sie ist die Schmiede für bahnbrechende Technologien, und ihre Universitäten, insbesondere die ETH, führen die europäischen Spin-off-Listen an. Problematisch ist jedoch, dass die Transformation der Innovationen in ein langfristiges Unternehmertum nicht gut funktioniert. Selbst bei der ETH liegt die Quote derjenigen Projekte, die es schliesslich zum Spin-off schaffen, bei unter fünf Prozent.
«Wir übersehen oft, dass europäische Forscher Weltspitze sind. Sie sind jedoch schlecht darin, ihre Forschung zu kommerzialisieren», meint auch Jeannette zu Fürstenberg, Gründerin des Berliner VC La Famiglia, der jüngst mit dem amerikanischen VC-Schwergewicht General Catalyst fusionierte. Was fehlt also, um den Technologietransfer in funktionierende Geschäftsmodelle zu ermöglichen und frische Top-Start-ups zu gründen?
Verbesserter Zugang zu Wachstumskapital
Was den Wachstumskapitalmarkt anbelangt, ist noch immer über die Hälfte der VC-Investments in der Schweiz internationales Kapital. Die Schweizer Investoren nach der Series-A-Runde sind hier an einer Hand abzuzählen, sodass sich ein Death Valley um Series B herum gebildet hat.
Schweizer Gründer lernen also schnell, dass es überlebensnotwendig ist, bei Kapitalrunden internationale Investoren in das Aktionariat aufzunehmen. Die erfolgreichsten Schweizer Start-ups aus dem Jahr 2023 wie Climeworks (Finanzierungsrunde über 600 Millionen Franken), Scandit (138 Millionen), MindMaze (96 Millionen) oder Anybotics (50 Millionen) haben allesamt die Gemeinsamkeit eines internationalen Aktionariats, und zwar schon seit frühesten Phasen.
Um das Problem des Death Valley zu beheben, sind zwei Bestandteile unentbehrlich: institutionelle und private Kapitalgeber, die Vermögenswerte in Venture Capital anlegen, sowie fähige Manager, die dieses richtig investieren und Wert schaffen. Dies hat der Staat erkannt. Der Bundesrat ermöglichte es Pensionskassen bereits 2022, bis zu fünf Prozent ihres Kapitals in VC-Fonds zu investieren.
Zwar sind uns die USA diesbezüglich 50 Jahre voraus, denn dortige Pensionskassen dürfen bereits seit 1974 bis zu zehn Prozent in Venture Capital investieren, doch die Initiative ist ein Lichtblick für den Berufsstand des Schweizer VC-Investors – besser spät als nie.
«Es gibt zwei Punkte, an denen wir in der Schweiz in Bezug auf Wachstumskapital arbeiten müssen, um in den Driver’s Seat zu gelangen», meint Philipp Stauffer, Schweizer Gründer und Managing Partner des renommierten VC Fyrfly Venture Partners in San Francisco: «Der eine ist das Angebot. Es gibt schlichtweg nicht genügend Wachstumsfonds, die dann auch in der Lage sind, die Distributions- und Kapitalmärkte für Scale-ups in der Zukunft auf die richtige Weise zu öffnen», führt Stauffer aus.
«Der zweite Punkt ist der Mut. Oft positionieren sich Schweizer Wachstumsfonds nicht für den sogenannten Lead der Kapitalrunde, sondern für eine passive Beteiligung als Teil eines Konsortiums. Das treibt den Unternehmer in die Arme internationaler, oft US-amerikanischer Wachstumsinvestoren, die dann die Verhandlungen leiten.»
Auch seien die Wachstumsfinanzierungen für die besten Start-ups nach der Series B ein grosses Problem, so Jeanette zu Fürstenberg jüngst in der «NZZ». Derzeit würden viele Unternehmen für eine Börsenkotierung in die USA gehen, weil sie nur dort die institutionelle Sachkenntnis und das nötige Kapital fänden.
Ausweitung des Zugangs zu den besten Talenten
Um zu überzeugen, benötigen junge Firmen neben einer marktfähigen Idee mutige Gründungsteams und talentierte Mitarbeiter der ersten und zweiten Stunde. Dabei geben satte 46 Prozent der Start-ups an, Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Kandidaten im Schweizer Arbeitsmarkt zu haben.
«Leider wandern führende Talente im KI-Engineering oft ins Ausland ab, sodass die Mitarbeitersuche ein echter Flaschenhals für innovative Start-ups wie unseres ist», meint Amin Amini, CEO und Co-Founder von Loxo, dessen autonome Fahrzeuge für Partner wie Migros oder Schindler auf Schweizer Strassen rollen.
Der internationale Vergleich zeigt: Der wesentliche Katalysator für die Entstehung von Talenthochburgen ist das universitäre Ökosystem mit herausragender Forschung und dem Einbezug der Praxis. Mit ihren führenden Universitäten hat die Schweiz bereits hoch spezialisierte Ökosysteme um Healthtech, Pharma, Engineering & Robotics, Crypto und KI gebildet, die international auf hohem Niveau agieren.
Der Erfolg der nächsten zehn Jahre wird von einer systemischen Ausweitung der Ökosysteme um das universitäre Umfeld herum abhängen.
Verbesserung der steuerlichen Situation für Gründer und Mitarbeiter
Engmaschig verwoben mit der Notwendigkeit für junge Firmen, Zugriff auf die besten Talente weltweit zu haben, ist die Kompensation. Mitarbeiter der ersten Stunde verzichten oft auf einen Grossteil des potenziell möglichen Fixgehaltes für eine Chance auf den grossen Wurf durch Mitarbeiteroptionen oder -aktien.
Leider sind die steuerlichen Rahmenbedingungen hierzulande im internationalen Vergleich noch immer nicht gründer- und mitarbeiterfreundlich. Michael Baier, Anwalt bei Wenger Vieli, sagt hierzu: «Die Entlastung der steuerlichen Konsequenzen bei Mitarbeiteraktien ist wichtig.» Nur so liessen sich bei fortgeschrittenen Jungfirmen grössere Aktienpakete betriebswirtschaftlich sinnvoll ausgestalten, «etwa für die signifikante Beteiligung von Schlüsselmitarbeitern».
Verfügbarkeit von staatlichen und privaten Accelerator-Programmen
Die Teilnahme am prestigeträchtigen «Y Combinator» im Silicon Valley gilt unter Gründern als Ritterschlag. In der Schweiz sind die wichtigen Förderprogramme fragmentiert und meist um die Universitäten herum gebaut. Das für Start-ups so wichtige Pioneer Fellowship Program der ETH ist ein Teil des Erfolgsgeheimnisses. Ebenso replizieren die lokalen Organisationen Venture Kick und Venturelab die amerikanischen Vorbilder.
Akteure wie das Wyss Zurich Translational Center liefern einen wertvollen Beitrag: «Die Unterstützung für die in das Programm aufgenommenen Start-ups ist enorm», sagt Dr. Greta Preatoni, CEO und Mitbegründerin von Mynerva, deren KI-basierte Technologie zur Neurostimulation für Patienten mit diabetischer Neuropathie dient: «Die einzigartige Umgebung ermöglicht es uns, von anderen Projekten zu lernen und unschätzbare Erfahrungen mit Innovatoren auszutauschen.» Die Wertschöpfung in diesen Programmen ist wichtig – doch eine volle Verlagerung auf private oder philanthropische Akteure ist nicht der Schlüssel.
Quo vadis?
Echte Veränderungen resultieren nur aus einem stärkeren Fokus der Schweizer Institutionen auf die Umsetzung des Technologietransfers. Diejenigen internationalen Ökosysteme sind führend, die ein umfangreiches Unterstützungssystem entwickelt haben, um schnellstmöglich Ideen umzusetzen, zu professionalisieren und auf den Markt zu bringen.
Das internationale Vorbild für den Technologietransfer ist Israel. Dort hat man bereits in den Jahren nach 1960 Einrichtungen wie das Yeda Technology Transfer Institute geschaffen, deren Zweck die Übersetzung der Innovationen ins Unternehmertum sind. Gekoppelt an tiefgreifende staatliche Unterstützung durch Accelerator-Programme sowie weitreichende staatliche
Finanzierungsoptionen für Start-ups, findet ein erstklassiger Transfer statt. Israel ist weltweit als Schmiede für Einhörner etabliert und führend in der Region EMEA, was das investierte VC-Kapital pro Kopf anbelangt.
Denn hierzulande zeigt sich zwar ein Bild aus starkem technischem Know-how, dem nötigen Wissen und der Befähigung, jahrelang die Grenzen der Forschung zu verschieben und bahnbrechende Innovationen zu entwickeln. Jedoch auch von mangelndem finanziellem Pulver lokaler Investoren, langwierigen bürokratischen Prozessen, steuerlichen Unklarheiten und nur vereinzelten Pionieren im Accelerator-Bereich, sodass der Technologietransfer unter seinem Potenzial bleibt.
Ohne die Ausweitung der systematischen Unterstützung von Start-ups durch staatliche und private Akteure werden wir weiterhin nur Weltmeisterin in der Ideengebung bleiben.