Nach einer gesunden Fehlerkultur kann bei Schweizer Firmen lange gesucht werden. In Europa herrscht noch immer eine ausgeprägte Angst vor Fehlern oder gar dem Scheitern. Misserfolge werden von Gründern oft als Flecken auf der weissen Weste gesehen: Es herrscht die Angst vor hohen finanziellen Belastungen, rechtlichen Folgen und Arbeitslosigkeit. Und diese Angst aufseiten der potenziellen Entrepreneure besteht nicht ohne Grund. 

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Thomas Dübendorfer, Business Angel of the Year 2024 und Präsident von SICTIC, sieht hier ein Muster: «In der Schweiz wird Scheitern oft als Beweis von Unfähigkeit gewertet statt als Auszeichnung, dass jemand etwas gewagt und beim Scheitern viel gelernt hat.» Neben den erwähnten offensichtlichen Gründen besteht bereits seit vielen Jahren das von Dübendorfer genannte Stigma des Versagens, das langfristig enorm negative Konsequenzen für Gründer nach sich ziehen kann. Laut Zahlen der Europäischen Kommission würden satte 57 Prozent aller Befragten ihr Geld nicht in eine Firma investieren, wenn der Geschäftsführer vorher geschäftlich gescheitert ist. Und 47 Prozent wären zudem weniger motiviert, Produkte oder Services von einem Entrepreneur zu kaufen, der in der Historie gescheitert ist, und generell wird zwischen Scheitern und Betrug nicht differenziert.

Gerade in der Start-up-Szene, wo die meisten aller Firmen scheitern, ist dies natürlich ein grosses Problem. Professoren der Harvard University schätzen, dass mindestens 75 Prozent aller Start-ups scheitern. Meiner Meinung nach ist das eher konservativ gerechnet, realistisch sollten es eher 80 bis 90 Prozent sein. Dass also die oben gezeigte altbackene und risikoaverse Sicht tragische Konsequenzen für die Innovation in der Wirtschaft nach sich zieht, ist nur logisch. Eine davon ist, dass keine der zehn weltweit grössten Digitalfirmen (von Apple über Nvidia bis zu Alibaba und Tencent) gemessen an der Marktkapitalisierung aus Europa kommt.

Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz Baar, ZG.

Die Geschichte zeigt, wie deutlich gerade die amerikanische Kultur das Scheitern nicht nur toleriert, sondern zum Teil sogar zelebriert, wohingegen es in der europäischen Kultur als Sinnbild eines Schandflecks tief verankert ist. Der Gedanke, Dinge auszuprobieren und durch schnelle und viele Iterationen (sprich geplantes Scheitern) vorwärtszukommen, stammt aus der amerikanischen Start-up-Lehre. Die von Elon Musk gegründete Firma SpaceX ist ein Beispiel par excellence für das «Failing foward»-Konzept. Durch den iterativen Prozess der Firma werden für die Schnelligkeit des Gesamtprojekts einzelne Fehler auf dem Weg toleriert. Dies führt zwar immer wieder dazu, dass Raketen nach dem Start explodieren, unter dem Strich resultiert aber eine substanziell schnellere Lieferzeit der Raketen von SpaceX verglichen mit denen der NASA.

Neben dem «Failing foward»-Konzept ist auch der Pivot, also die radikale Änderung des Geschäftsmodells auf eines mit mehr Aussicht auf Erfolg, ein wichtiges Hilfsmittel für junge Firmen, das europäische Gründer längst zu adaptieren versuchen. 

Für mich ist glasklar: Aus Fehlern und Misserfolgen zieht man wertvolle Erfahrungen. Diejenigen Gründer, die bereits mehrfach Dinge probiert und entsprechend reflektiert haben, geniessen also einen deutlichen Erfahrungsvorsprung. Mir macht Mut, dass einige Schweizer VCs meine Sicht teilen. Andreas Göldi, Partner bei b2venture, meint hierzu: «In meiner Erfahrung als Gründer und Investor ist Scheitern nicht nur ein unvermeidlicher Teil des Unternehmertums, sondern auch ein wichtiger Katalysator für den Erfolg. Der Schlüssel liegt darin, nach vorne zu blicken und jeden Rückschlag als Sprungbrett zu nutzen, um wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen, Strategien zu verfeinern und Widerstandsfähigkeit zu kultivieren.»

Fakt ist, dass die Zusammensetzung des Gründerteams eines der drei wichtigsten Investitionskriterien der meisten VCs ist. Die Tatsache, dass die Gründer sogenannte Serienunternehmer sind, ist hier ein starker Zusatzfaktor, denn statistisch sind Investments in Start-ups, die von Serienunternehmern gegründet werden, deutlich erfolgreicher. Zudem zeigen die Zahlen, dass die Chance auf einen Exit noch mal höher bei Entrepreneuren ist, die bereits einen erfolgreichen Exit schafften. Vereinfacht gesagt: Je erfahrener Gründer sind, desto höher die Chance auf Erfolg. Und wenn sie vorher bereits erfolgreich waren, dann steigt die Chance nochmals deutlich.

Man muss bedenken, dass viele der erfolgreichsten Gründer in der Weltgeschichte vor dem Durchbruch scheiterten. Reid Hoffman unterlag mit dem Netzwerk SocialNet, bevor er LinkedIn erschuf. Evan Williams musste die Podcast-Plattform Odeo schliessen, bevor er Twitter gründete. Jeff Bezos stampfte sein Auktionsventure zShops ein, bevor er mit Amazon loslegte, und Investor Peter Thiel schloss seinen Hedge Fund Clarium Capital, bevor er PayPal startete. Es könnten noch viele Seiten mit prominenten Beispielen von früher erfolglosen und nun erfolgreichen Gründern gefüllt werden. Wichtig ist jedoch, dass gerade jene Charakteristika wie der Innovationswille, die Ausdauer, die Resilienz oder der innere Antrieb die Gründer nach Misserfolgen dazu bewogen hatten weiterzumachen, diejenigen sind, die sie später zum Erfolg leiteten. 

Es ist davon auszugehen, dass eine Firma in ihrem Lebenszyklus mit einer oder mehreren Krisen unterschiedlicher Natur konfrontiert wird. Entrepreneure, die in vorherigen Unternehmungen bereits Krisensituationen erlebt und vielleicht auch erfolgreich gemeistert haben, sind überproportional besser gewappnet als die Unerfahrenen. Oder um es mit Göldis Worten zu sagen: «Die besten Start-ups sind oft durch eine ganze Reihe von Krisen gegangen, um zu den Erfolgsgeschichten zu werden, die sie am Ende sind.»

Für mich ist es eindeutig, dass Entrepreneure, die gescheitert sind, zumindest die Möglichkeit hatten, extrem wertvolle Erfahrungen zu sammeln, welche die Chance auf einen Erfolg im nächsten Start-up erhöhen. Dies funktioniert aber nur dann, wenn die eingangs erwähnten Stigmata im europäischen Raum gegenüber gescheiterten Gründern abgebaut werden. Oder wie Professor Karl Popper einst feststellte: Wir können vom Scheitern nur dann etwas lernen, wenn es die Gesellschaft nicht sanktioniert.

Das grosse Problem dabei ist die Tatsache, dass Opportunitätskosten oftmals nicht sichtbar sind. Im Start-up-Kontext sieht man nicht die entgangenen Gewinne aus Ideen, die man nie gestartet hat. Venture-Capital-Fonds werden selten zur Rechenschaft gezogen für ihre entgangenen Gewinne durch zu restriktive Investmentfilter. Es ist also nicht zu erwarten, dass sich das vorherrschende, noch immer eher risikoaverse Rational vieler Investoren hinsichtlich gescheiterter Gründer kurzfristig ändert. Vielmehr liegt der Schlüssel bei den Gründern selbst. Aus eigener Erfahrung sind Erfolge ein durchaus probates Mittel, um mit Vorurteilen aufzuräumen. Anstatt sich von der Angst vor dem Bankrott lähmen zu lassen, sollten sich Entrepreneure über Prototypen, Kundenfeedback und mehreren Iterationen dem Durchbruch nähern und dort Zeit und Geld investieren, wo sich eine Schnittmenge aus Kundennachfrage, Marktanteilen und Profitabilität erahnen lässt.

In meiner letzten Kolumne schrieb ich viel über die Suche der Gen Z nach dem Sinn in der Arbeitswelt. Der Grund, warum überproportional viele Personen aus der Gen Z gründen wollen, ist die Tatsache, dass der Sinn der Tätigkeit oft inhärent ist: Ich habe selten Entrepreneure gesehen, die ihre Arbeit als sinnlos betrachten. Und philosophisch kann man argumentieren, dass es sich lohnt, ein Unterfangen zu beginnen, das einem wichtig und für einen selbst sinnvoll ist, auch wenn dessen Ausgang ungewiss ist. Viele der Gründer, die so oder so ähnlich denken und eher auf der Seite der Missionare statt auf derjenigen der Söldner stehen, sind am erfolgreichsten. Wie etwa Mark Zuckerberg, der eine Milliarde Dollar von Yahoo ablehnte, weil er weiter an Facebook bauen wollte. Oder Evan Spiegel, der als Gründer von Snap wiederum ein Drei-Milliarden-Dollar-Angebot von Facebook ausschlug.

Und so viel sei angemerkt: Selbst die Besten der Besten scheitern täglich. So hat Roger Federer jüngst in seiner Abschlussrede an der Universität Dartmouth dargelegt, wie er zwar rund 80 Prozent der 1526 gespielten Matches in seiner Karriere gewann, jedoch nur knapp über 54 Prozent der einzelnen Punkte für sich entscheiden konnte. «Wenn man jeden zweiten Punkt im Durchschnitt verliert, dann lernt man, nicht zu lange auf einzelnen Punkten [gedanklich] zu verweilen.»