Seit dem Jahr 45 vor Christus dauert die Suche nach dem Schlüssel an: In jenem Jahr schrieb Cicero in seiner Villa in der Gegend von Tusculum, dass Glück, nicht die Weisheit, das Leben bestimme. 2069 Jahre später versuchen wir noch immer herauszufinden, welcher Faktor tatsächlich schwerer wiegt: das Glück oder die Fähigkeit.
Die Literatur ist sich auf jeden Fall erfrischend uneinig, was den unternehmerischen Erfolg angeht. Knight schrieb 1921, dass Glück eine grosse Determinante sei in Sachen Gründererfolg. Kihlstrom und Laffont im Jahr 1979 kamen sogar zum Schluss, dass «das Glück der einzige Faktor ist, der unternehmerischen Erfolg determiniert». Schumpeter hielt 1934 gegen Knight, und die Harvard-Professoren Gompers, Kovner et al. vertraten 2006 die These, dass einzig die Fähigkeiten von Serienunternehmern und die Befähigung von Investoren, diese zu erkennen, systematisch einen Einfluss auf den Erfolg von Start-ups hätten.
Flurin Jenal, der sein Gaming-Start-up Struckd 2021 an Unity verkaufte, sieht dies anders. Klar gebe es glückliche und unglückliche Zufälle während des Aufbaus eines Start-ups sowie unglaublich viele Variablen mit zum Teil starkem Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens. «Diese Zufälle kann man nicht kontrollieren, weshalb ich mich möglichst nicht von deren Eintreffen abhängig mache», sagt er. «Nur kontinuierliche, disziplinierte Arbeit kann langfristig die Zufälle ausbügeln.»
Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.
Dass das Harvard-Dokument in der Realität ziemlicher Nonsens ist, sollte klar sein. Und natürlich hat Jenal recht. Aber der Dusel-Faktor ist genauso Realität und oft genau dann spürbar, wenn man gerade mal kein Glück hatte. Jeremy Levine, der als einer der legendärsten und fähigsten VC-Investoren aller Zeiten mit frühen Investments in LinkedIn, Pinterest, Shopify und Yelp Milliarden verdiente, kennt dies nur zu gut. Sein potenziell bestes Investment verpasste er nämlich im Jahr 2004, als er, in einer Schlange für das Mittagessen anstehend, genervt von Eduardo Saverins aufdringlichem Pitch für ein Investment in Facebook, ausrief: «Junge, hast du schon von Friendster gehört? Geh weiter, es ist vorbei!» Zuckerbergs Mitgründer Saverin versuchte seinen Pitch ein ganzes Jahr vor Facebooks Series-A-Runde, aber Levine hatte einfach kein Glück – sondern Hunger. Der Rest ist Geschichte, Levines Wettbewerber Accel Ventures nahm den Multimilliardenprofit auf dem Investment gerne mit.
Was Venture Capital anbelangt, bin ich klar im Lager von Cicero und Co. Denn obwohl das Glück empirisch schwer messbar ist, hat es einen deutlichen Einfluss. Wer das Gegenteil behauptet, dass also nur die Befähigung der Entrepreneure oder Investoren zähle, tut all denjenigen unrecht, die es nicht geschafft haben. Denn in der Retrospektive ist es immer einfach, den Endpunkt einer Erfolgsgeschichte mit dem Anfangspunkt in einer geraden Linie zu verbinden. Die Höhen und Tiefen, die Schlenker und die nicht erfolgreich endenden Linien in so einer Geschichte blendet man dabei komplett aus.
Es ist das so wenig greifbare Glück, das uns Schwierigkeiten bereitet. Welcher High Performer will sich schon auf den Dusel-Faktor verlassen? Das Konzept der Serendipität ist hier salonfähiger. Professor Christian Busch, seines Zeichens Forscher und Bestsellerautor, beschreibt dieses nämlich als «aktives Glück», also die Befähigung des Menschen, glückliche Ereignisse hervorzurufen. Wenn man diesem Gedankengang folgt, dann gibt es durchaus die Möglichkeit, die Serendipität zu erhöhen, indem man sich mehr Chancen erarbeitet, dass das Glück zuschlagen kann. Mehr eine Kunst als eine Wissenschaft, denn hier geht es neben den Kernattributen der Disziplin, des Muts und der fokussierten Arbeit eben auch um das glückliche Händchen.
Und gerade im Venture Capital braucht es das nicht zu knapp. Natürlich ist das kein Freifahrtschein, sich zurückzulehnen. Der Schweizer Serienunternehmer Marc Bernegger fasst diesen Punkt gut zusammen: «Glück gehört für jeden Unternehmer zum Alltag, und zwar von der Gründung bis zum Verkauf. Das Sprichwort vom Glück des Tüchtigen ist aber gerade für Unternehmer sicher sehr zutreffend, und mit viel Fleiss und Passion gesellt sich das Glück oft dazu.» Wenn Gründer keinen Pitch vorbereitet haben und zufällig einen Top-Investor treffen, dann ist die Chance passé. Visionäre müssen nun mal den Nerv der Zeit treffen, um erfolgreich zu sein. Investoren müssen sich ausmalen können, welche Ideen in einigen Jahren bahnbrechend sein können. Generell gilt: Je weiter weg der Zeitpunkt der Umsetzung der Investmentthese ist, desto höher kann der Dusel-Faktor sein.
Und hierin liegt eben auch der grosse Unterschied zwischen dem Private-Equity- (PE) und dem Venture-Capital-Ansatz (VC) begründet. Idealerweise übernehmen PE-Investoren ausgewachsene Firmen ganz oder zu grossen Teilen, nutzen oftmals einen hohen Anteil an Fremdkapital, bringen diese Portfoliofirmen operationell und finanziell in Schuss, kaufen passende Firmen hinzu und verkaufen die ganze Plattform dann nach einigen Jahren mit einem Premium. Dadurch, dass die Zeitspanne dieser Wertschöpfung zum Teil nur drei bis fünf Jahre dauert, besteht viel weniger Zeit für das Quäntchen Glück. Auch sind diejenigen Firmen, die für PE-Eigentümer ein sinnvolles Übernahmeziel darstellen, meist gefestigte kleine und mittelständische Unternehmen, die eine langjährige Historie mitbringen. Märkte sind oft klar arrondiert, Technologien entwickelt und die Finanzzahlen vorhersehbar. Dies erhöht natürlich die Planbarkeit und verringert die Chance auf Unvorhergesehenes. Insgesamt investieren grosse PE-Firmen in der Breite seit zum Teil 50 Jahren sehr konsistent und mit einem wiederholbaren Massnahmenkatalog durch alle Zyklen hindurch.
Gerade in den frühen Phasen investieren VCs dagegen in Firmen, die eher durch Visionen mit Prototypen gekennzeichnet sind, als in validierte Unternehmen. Durch den deutlich längeren Investitionshorizont und den systemisch höheren Grad an Unsicherheit steigt proportional der Einfluss des Dusel-Faktors. Natürlich bringen professionelle VC-Investoren ihren Massnahmenkatalog mit, dieser ist jedoch weniger auf die Optimierung von Substanz als vielmehr auf die Skalierung von Potenzial ausgerichtet.
Der in der VC-Assetklasse inhärente Unsicherheitsfaktor spiegelt sich natürlich in den Zahlen wider. Laut dem letzten Reporting von Cambridge Associates sind die durchschnittlichen Returns über die letzten 15 Jahre von PE- und VC-Fonds relativ eng beieinander mit 15,6 Prozent pro Jahr im Private Equity (beinhaltet Buy-out- und Growth-Strategien) gegenüber 15,3 Prozent im VC.
Auf den ersten Blick ist dies durchaus erstaunlich, denn da VC-Investoren ein höheres Risiko fahren, sollte die durchschnittliche Rendite der Assetklasse höher sein als jene im Private Equity. In der weiteren Analyse gibt es jedoch eine gute Erklärung: die durchschnittliche Streuung. VC hat unter den Assetklassen Fixed Income, Aktien, Hedgefonds, Private Equity, Private Debt, Immobilienfonds und Infrastrukturinvestments sogar die höchste Streuung der Daten. Es zeigt sich, dass die allerbesten VC-Fonds eine jährliche Rendite von über 80 Prozent aufweisen. Mit diesem Ergebnis liegt die Streuung der VCs satte 17 Prozent über den PE-Fonds.
Genau hier erhascht man einen Blick auf die Serendipität, das Quäntchen Glück oder eben den Dusel-Faktor, den es braucht, um das nächste Unicorn zu finden. Philipp Bolliger, Partner beim VC Direttissima, sagt hierzu: «Es braucht immer ein Quäntchen Glück zu einem richtig guten Deal. Glück ist aber nicht alles, was es braucht – harte Arbeit, Beharrlichkeit und der Mut, Chancen zu ergreifen, sind ebenfalls absolute Voraussetzungen.»
Falls die von Bolliger erwähnte Mischung doch nicht zündet, droht ein düsteres Erwachen. Diejenigen VC-Fonds, die nicht zu den Top-Performern gehören, sind vergleichsweise schlechter als ihre PE-Pendants und liefern auch eine schlechtere Performance als die Aktienbenchmarks. Ob dies nur von Unfähigkeit zeugt, wage ich zu bezweifeln, insbesondere bei mehreren Fondsgenerationen von etablierten Investmentfirmen. Vielmehr zeigt sich ein Bild, bei dem fähige Investmentteams Outperformance liefern durch harte Arbeit, gekoppelt mit einer Prise Dusel.
Für die bisher glücklosen Teams gibt es Hoffnung. Aber wenn man sich nicht auf dem Harvard-Campus in die Schlange fürs Mittagessen stellt, bekommt man vielleicht nicht das nächste Facebook gepitcht. Und das ist das Schöne an der Serendipität. Sie bietet denjenigen, die sich auf sie vorbereiten, die Chance für den ganz grossen Wurf.