Was haben der wenig empathische Niccolò Machiavelli und gewiefte Investoren gemeinsam? Sie «vergeuden niemals die Chance, die eine gute Krise bietet». Klar, die Dimensionen sind schon unterschiedlich: Während Machiavelli diesem Gedankengang folgte, um politische Macht zu zementieren, wollen findige, nicht nachhaltig orientierte Investoren nur ihre eigene Position stärken. Beides geschieht jedoch auf Kosten anderer.
Das probate Mittel von Venture-Capital-Investoren zur Absicherung ihres Kapitals ist natürlich das Vertragswerk, meist bestehend aus dem Aktionärsbindungs- und dem Aktienkaufvertrag, bei Beginn der Investition. Man fragt sich vielleicht, warum junge Firmen vor der Series-A-Runde bereits ein erschlagendes Vertragswerk anfertigen müssen. In der Praxis ist dies oft investorengetrieben, denn die Verträge regeln die Bedingungen für Erfolg und Misserfolg – Streit- und Extremfälle – gleichermassen. Dabei wird erfahrungsgemäss die meiste Aufmerksamkeit den wichtigsten drei Klauseln gewidmet: Liquiditäts- und Dividendenpräferenzen, Verwässerungsschutz sowie Vetorechte. Diese drei Anker im Vertragswerk regeln gemeinsam, in welchem Grad Investoren, Gründer und gegebenenfalls Mitarbeitende der Firma von dem gemeinsamen Unterfangen sowie etwaigen Erlösen profitieren werden.
Dabei steigt und fällt die Härte der Vertragsklauseln von Investoren, je nachdem, ob wir uns in einem Bullen- oder Bärenmarkt befinden – und zwar in einer umgekehrten Beziehung. Es gibt viele inverse Beziehungen in unserem Leben. Wenn wir schneller fahren, benötigen wir weniger Zeit. Wenn Zinsen steigen, dann sinkt die Nachfrage nach Krediten. Im Venture Capital sieht man diese inverse Beziehung eben zwischen dem Grad der Härte der drei wichtigsten Klauseln und der Stimmung am Gesamtmarkt. Denn in guten Zeiten haben es erfolgreiche Gründer oft (zu) leicht, Kapital einzusammeln: Die Bewertungen sind hoch, und die Verhandlungsbasis ist sehr stark, wodurch die drei wichtigen Klauseln oft lasch ausgestaltet oder gar nicht vorhanden sind (wie etwa in dem vom «Y Combinator» entwickelten SAFE-Vertragswerk, das in den USA als Mustervertrag für frühe Runden breit angewendet wird). In Krisenmärkten und schlechteren Zyklen ist die Suche nach Kapital deutlich schwieriger: Es gibt mehr Wettbewerb unter den Start-ups, und die Angebote sind normalerweise mit deutlich härteren Klauseln ausgestaltet. Im Grunde geht es hier um einfache Angebots-Nachfrage-Beziehungen.
Das Tückische an allzu harten Investorenbedingungen ist, dass erst spät in einem Prozess darüber gesprochen wird. Das Hauptaugenmerk liegt anfangs immer auf der Bewertung, und selbst sogenannte Termsheets, die eigentlich die von Investoren erwarteten Bedingungen kurz zusammenfassen sollen, sind oft kryptisch. Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Erstgründer schlichtweg nicht den rechtlichen Sachverstand haben, um mit den durch Top-Anwälte aufmunitionierten Investoren rechtlich auf Augenhöhe zu verhandeln.
Max Meister ist General Partner von Koyo Capital mit Sitz in Baar, ZG.
Es gibt unzählige mahnende Beispiele, wie hoffnungsvollen Gründern der grosse Exit-Tag verdorben wurde. Etwa durch die Liquiditätspräferenz, die bei einem Exit regelt, wer wann wie viel bekommt. Ein Beispiel ist die Geschichte des Gorillas-Gründers Kağan Sümer, der beim Verkauf des mit 1,2 Milliarden Dollar bewerteten Unternehmens vor dem Deal noch rund zwölf Prozent hielt. Anstatt der fast 150 Millionen Dollar Buchwert des Aktienpakets soll Sümer nur vier Millionen erhalten haben – weil später investierte Wachstumsinvestoren Vorzugsaktien mit straffen Liquiditätspräferenzen hielten. Da diese Klauseln, welche die Kaufpreisverteilung regeln, lediglich in dem gut gehüteten Vertragswerk der Firma auftauchen, nützt es auch nichts, die Capitalization Tables zu analysieren, um zu verstehen, wer bei einem Exit eigentlich profitiert.
Da wir gerade bei der Liquiditätspräferenz sind: Der für mich faire Marktstandard ist eine Liquiditätspräferenz der nicht partizipierenden Art (kein Double-Dip, Investoren bekommen ihren Anteil und partizipieren nicht noch einmal danach) mit einem Faktor von 100 Prozent. Kurz gesagt: Investoren bekommen vor allen anderen Investoren ein Mal ihr Geld zurück. An den guten Ergebnissen partizipieren jedoch alle Aktionäre gleichermassen ohne eine Übervorteilung.
Die zweite elementare Klausel für Investoren ist der Verwässerungsschutz. Dieser soll verhindern, dass allzu günstig ausgegebene neue Aktien den Anteil der Investoren reduzieren. Er hat auf jeden Fall eine Daseinsberechtigung. Dass man auf die Ausgestaltung aufpassen muss, wissen wir spätestens seit Facebook. Gründer Mark Zuckerberg hatte nämlich mutmasslich seinen Mitgründer Eduardo Saverin, der noch vor der Series-A-Runde mit Accel im April in 2005 rund 30 Prozent an Facebook hielt, überredet, seine Aktien im Rahmen einer Neugründung in Aktien ohne Verwässerungsschutz und ohne Stimmrechte zu tauschen. Nachdem Zuckerberg dann rund neun Millionen neue Aktien ausgegeben hatte, wurde Saverin stark verwässert und war nicht mehr relevant für Facebook. Durch Saverins Klage und das anschliessende Settlement durch Facebook ist er schliesslich doch noch Milliardär geworden, aber die Geschichte verdeutlicht, wie wichtig das Verständnis dieses Mechanismus – neben dem Vertrauen in die Mitgründer – ist.
Die dritte elementare Klausel regeln die Vetorechte. Wie der Name sagt, geht es hier um das Recht, unabhängig von der Rolle im Aufsichtsrat oder im Vorstand der Firma, gewisse Grundsatzentscheide abzulehnen. Klassischerweise geht es hier meist um Änderungen in der Kapitalstruktur durch Aufnahme von Krediten oder Ausgabe von neuen Aktien, Dividendenerklärungen, Übernahmeangebote etc. Auch sind oft Änderungen des Geschäftsmodells betroffen, was meines Erachtens durchaus Sinn macht, denn eine Softwarefirma sollte zum Beispiel nicht einfach so ihr Geschäftsmodell in das Betreiben von Tankstellen ändern können.
Wichtig für Gründer ist hier, zu verstehen, dass diese Vetorechte extrem mächtige Werkzeuge sind, um Firmen lahmzulegen. Ein Investor mit noch fünf Prozent Anteil könnte mit entsprechenden Vetorechten theoretisch die Aufnahme neuen Kapitals verhindern. In der Praxis sehen wir diese dritte Klausel meist weniger gravierend für Gründer ausgestaltet als die Präferenzen und den Verwässerungsschutz.
Der Schuss ins eigene Tor
«Allzu investorenfreundliche Vertragsbestimmungen sind ein zweischneidiges Schwert», bemerkt Alex Nikitine, Partner bei der renommierten Wirtschaftskanzlei Walder Wyss in Zürich. Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre hätten gezeigt, dass viele VC-Investoren unreflektiert einseitige, aus den USA stammende Regeln übernehmen, welche hierzulande weder gängig noch sinnvoll sind.
«Vetorechte beim operativen Geschäft, aggressive Verwässerungsschutzklauseln, die Auslösung einer Mitverkaufspflicht – das sogenannte Drag-Along – bereits beim Verkauf einer kleinen Minderheitsbeteiligung der Investoren ohne Mindesterlös sind vielfach mit grossem Frust für die Gründer verbunden», so Nikitine. In der realen Welt liessen sich diese einseitigen Rechte oftmals auch gar nicht wirklich umsetzen. Es kommt zum Bruch, denn Gründer würden für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung genügend Beinfreiheit brauchen.
Niktine spricht hier einen interessanten Punkt an: «Als Investor Vertragsbedingungen über Gebühr für sich aus einer Position der Stärke zu maximieren, macht – ganz nüchtern betrachtet – kurzfristig vermeintlich Sinn.» Aber spätestens wenn Gründer realisieren, dass sie beispielsweise am ökonomischen Erfolg des Unterfangens limitiert wurden, wird nicht nur das Engagement des Teams massiv sinken, sondern auch direkt die Erfolgschance des Start-ups und damit des Investments.
Es zeigt sich, dass sich der Markt selbst reguliert – das ist natürlich schmerzhaft für die betroffenen Gründer und Investoren. Start-ups mit komplexen Strukturen in früheren Phasen haben es überproportional schwieriger in späteren Runden, Investoren zu gewinnen. Natürlich ist dies kein Geheimnis, und die Top-VCs der Schweiz agieren hier mit einem hohen Mass an Professionalität. Semih Kaçan, Investment Director bei Swisscom Ventures, meint hierzu: «In ordentlichen Finanzierungsrunden werden professionelle und erfahrene Investoren immer schauen, dass die Aktionärsbindungsvertrags-Klauseln so definiert sind, dass alle Seiten, aber insbesondere die Gründer, ausreichend incentiviert sind, um die Motivation der Gründer post-round zu gewährleisten.» Fiese Aktionärsbindungsvertrags-Klauseln seien für alle Aktionäre langfristig nicht wertstiftend, meint er weiter.
Für Investoren gilt, dass sie ihr Investment schützen müssen. Das steht ausser Frage. Professionelle VCs verstehen jedoch, dass man erstens sein Investment nicht durch ein überfrachtetes Vertragswerk schützen kann, und zweitens, dass es zu viel des Guten sein kann. Eine saubere Due Diligence und ein Urvertrauen in die Kompetenz des Teams schlagen punkto Downside Protection jedes Vertragswerk. Für Gründer gilt: Vertragsangebote, die stark von dem durchaus etablierten Marktstandard abweichen, sind eine Red Flag und kein gutes Vorzeichen für die künftige Beziehung.