Es waren strube Zeiten: Um satte elf Prozent ist der Nasdaq, der wichtigste Börsenindex für Technologiewerte, in den letzten 24 Monaten gesunken, trotz der deutlichen Kursrally im November. Klar, dass diese Volatilität irgendwann auch überschwappt auf die privaten Märkte, denn innerhalb des Anlagespektrums ist dieser Sektor einer der risikoreichsten.
Wir erlebten das Ende des jahrzehntelangen Technologie-Bullenmarktes: Steigende Inflation, und als Konsequenz davon steigende Leitzinsen, gekoppelt mit sinkender Nachfrage von Investoren und allgemeiner Verunsicherung an den Kapitalmärkten, liessen den Boom 2022 abrupt zu einem Halt kommen.
In der Folge flohen Investoren aus ihren Anlagen. Sie suchten etwa vermehrt Liqudität durch Secondaries, also Transaktionen, in denen Anteile an VC Fonds nach kurzer Zeit wieder verkauft werden, was wiederum einen Einfluss auf das für VCs verfügbare Kapital hat. Jüngst machte der Investor Lukasz Gadowski damit Schlagzeilen, dass er über LinkedIn versuchte, seine Anteile an dem renommierten Venture Capital Fonds 468 Capital zu verkaufen. Vielen Investoren in Fonds sind zwar nicht so direkt, versuchen aber dennoch, aus ihren Positionen herauszukommen.
Wie reagiert die Schweizer VC-Szene auf das härteste Marktumfeld der letzten zehn Jahre?
«Der Down-Turn folgt in der Schweiz mit etwas Verzögerung gegenüber dem Ausland», sagt David Hug, Investor vom Schweizer VC Macau Partners. «Es ist davon auszugehen, dass das Schlimmste noch nicht überstanden ist, da jetzt viele Firmen aus dem absoluten Top-Finanzierungsjahr 2021 schon bald wieder Fundraisen müssen». Tatsächlich zeigen aktuelle Zahlen: Der Modus Operandi für Venture Capital Firmen weltweit und auch in der Schweiz ist derzeit, sich hinter den eigenen Burgmauern zu verschanzen und darauf zu hoffen, dass der Sturm bald vorbeizieht. Für das Ökosystem fatal: Seit der Implosion der Silicon Valley Bank im März haben VC-Gesellschaften schlagartig und systematisch den Grossteil der Finanzierungen in Startups eingestellt und investieren stattdessen vermehrt in ihr bestehendes Portfolio. Vielerorts wurden laufende Finanzierungen gestoppt, aus diversen, teilweise erfundenen Gründen abgesagt oder bereits unterschriebene Termsheets nicht bedient.
Max Meister ist Founding Partner von Bigmont Ventures mit Sitz Baar, ZG.
So steuert laut Pitchbook die Anzahl der Erstfinanzierungen durch VC Fonds mit 1‘619 bis Q3 2023 auf den Tiefstand des letzten Jahrzehnts hin. Dies steht in starkem Gegensatz zu 4‘397 Erstfinanzierungen auf dem Höhepunkt in 2021. Die Tatsache, dass hauptsächlich die bestehenden Portfolio-Firmen von VC-Gesellschaften nun vermehrt Aufmerksamkeit und Kapital erhalten, hat natürlich auch einen positiven Effekt: Die Anzahl der europaweiten Insolvenzen von Startups, die von professionellen VC-Firmen Kapital erhalten haben, sank mit 156 Insolvenzen bis Q3 2023 deutlich unter den Vorjahreswert.
Schweizer Startups, die aktuell ihren Kapitalbedarf planen, wachen in einer neuen Realität auf: Ihre Chancen auf VC-Funding sind gesunken. Zwar wurden im ersten halben Jahr 2023 in der Schweiz fast 1.2 Milliarden Franken in 154 Startups investiert, wobei sich etwa 690 Millionen Franken davon auf die grössten 10 Transaktionen konzentrieren. Aber die Hürde, mit VC-Firmen Finanzierungen abzuschliessen, ist für Schweizer Startups spürbar gestiegen – selbst für die Besten der Besten.
«Auf Grund des Marktumfeldes waren unsere beiden primären Fundingziele, ein genügendes Liquiditätspolster für die nächsten 24 Monate zu schaffen und Kapital mit aufgeschobener Bewertung aufzunehmen», sagt Andreas Zimmermann, CFO des Fintech-Startups Instimatch: «Das so wichtige positive Momentum, um dann auch neue Investoren zu gewinnen, konnten wir nur dank des Kommitments der bestehenden Stakeholder kreieren.»
Instimatch hat kürzlich in ihrer Series-A Runde 11.5 Millionen Franken aufgenommen.
Die breite Unsicherheit ist deutlich spürbar im Markt. Konditioniert durch das Verhalten der letzten Jahre, haben viele stark wachsende Firmen einen Kapitalpuffer, der noch höchstens für sechs bis zwölf Monate ausreicht. Vor der Zinswende im Juli 2022 war nämlich eine Kapitalrunde in jedem Jahr zu einer höheren Bewertung das Vorzeigebild einer «Equity-Story», dem Idealbild für viele Unternehmer.
Nun, da die Opportunitätskosten für Geld substantiell gestiegen sind und es sich so anfühlt, als wären VCs entweder noch immer im verlängerten Spätsommerurlaub oder im Winterschlaf, haben viele Firmen ein Problem, das für nur wenige lösbar sein wird. Die Auswirkungen in Form von Notverkäufen oder Insolvenzen werden wir wahrscheinlich erst Anfang 2024 spüren, denn die harten Einschnitte vieler Firmen, um ihre Kostenbasis zu senken, verzögern das schwerlich Vermeidbare.
Trotz dieser aktuell äusserst herausfordernden Situation sieht man vereinzelt Lichter am Horizont in Form von mutigen Investoren, die gerade jetzt in die Volatilität hinein investieren. Diese Transaktionen sind erste Indikatoren dafür, dass kompetente VCs den initialen Schock überwunden haben und wir in den nächsten Monaten ein «Risk-on» Sentiment, also den Bedarf nach mehr Risiko im Portfolio und somit auch mehr Renditechancen, auch im breiteren Markt beobachten könnten.
Michael Sidler, Partner beim Schweizer VC Redalpine, grenzt ein: «Die Anzahl an aufgelegten VC-Fonds hat in den letzten 12 Monaten verglichen mit der Vorperiode signifikant abgenommen. Gleichzeitig sind die verfügbaren Mittel für Startups in der Seed Stage weiterhin hoch, zumindest für die vielversprechendsten Unternehmen und Technologien». Er schlussfolgert: «Wir erachten das aktuelle Marktumfeld als attraktiv!»
Die Schweizer Fintech Platform GenTwo nahm jüngst eine 15 Millionen Dollar Series A Runde auf, angeführt von dem amerikanischen Investor Point72 Ventures, das VC Vehikel des berühmten Hedge-Fonds Financiers Steven Cohen. Das Schweizer Startup Terralyr sammelte kürzlich 20 Millionen Euro ein, angeführt von der schwedischen VC Firma Creandum.
Und das Arbeitsplatzmanagement-Startup Deskbird nahm jüngst 13 Millionen Dollar in ihrer Series A auf. Insgesamt zeigen diese vergleichsweise grossen Series A-Runden, dass die Disparität zwischen den Firmen mit den allerbesten Resultaten und dem grössten Potential einerseits und dem Median aller Startups andererseits in den letzten beiden Quartalen dramatisch angestiegen ist. Auf Deutsch: The winner take it all.
Quo Vadis VC?
Es gibt viele Signale, die eine positive Entwicklung des weltweiten wie auch des Schweizer Venture Capital Marktes andeuten, und ich bin davon überzeugt, dass die nächsten drei Jahre die besten Vintages werden, also die optimalen Zeitpunkte für VC-Gesellschaften, ihre Fonds zu lancieren.
Eines ist sicher: Der Appell führender Schweizer Entrepreneure an VCs, aufgrund der grossen Chancen gerade jetzt nicht unterzutauchen wird zunehmend lauter. Auf Investorenseite ist es seit langem kein Geheimnis mehr, dass über die meisten Anlageklassen hinweg in Zeiten von Volatilität mutige Investoren mit aussergewöhnlichen Renditen belohnt werden können.
Warren Buffet investierte auf dem Höhepunkt der Finanzkrise in 2008 etwa 5 Milliarden Dollar in Goldman Sachs mittels Kreditinstrumenten und Aktien und verdiente damit etwa 3 Milliarden. Übertragen auf den Venture Capital Markt machen es ausländische VCs bereits vor: Venture Capital Pionier Sequoia hat im August einen neuen Fonds aufgesetzt, der aus den tiefen Bewertungen Kapital schlagen soll. Hierzulande sehen wir Aktivitäten bei renommierten Venture Capital Firmen mit Schweizer Wurzeln wie Lakestar und b2venture.
Dies ist auch verständlich, denn die langjährige Innovationsweltmeisterin Schweiz produziert in wegweisenden Bereichen wie AI, Cybersecurity, Software Infrastructure, Fintech und Healthcare laufend bahnbrechende Ideen, die nur darauf warten, professionell skaliert zu werden. Der Geist der Entrepreneure ist ungebrochen: So war die Anzahl der angemeldeten Patente 2022 sogar auf dem absoluten Höchststand.
Innovation ist denn auch die treibende Kraft, die den Schweizer Venture Capital Markt die nächsten Jahre prägen wird. Die Ideen und das Fachwissen der Entrepreneure, die Produkte, das Team und deren Potential werden wieder stärker in den Vordergrund rücken. Schon längst sind Schweizer Firmen bei internationalen Top-VCs auf dem Radar. «Es ist sehr erfreulich, dass eine Venture-Capital-Gesellschaft wie Point72 Ventures über den Ozean kommt und uns für ihre erste Investition in der Schweiz ausgewählt hat», sagt Philippe Naegeli, CEO und Mitgründer der B2B-Fintech-Plattform GenTwo.
Wie steht es um die in den letzten Jahren in der Schweiz stark gewachsene Zunft der VCs?
In der Schweiz zeigt sich ein durchzogenes Bild. Diejenigen VCs, die schon länger mit dabei sind und in vergangehen Krisen (wie z.B. der weltweiten Finanzkrise im 2007-2008) wertvolle Erfahrungen sammeln konnten, werden die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, die der Markt aktuell bietet. Andere Risikokapitalfirmen werden hingegen Mühe bekunden, erstens Kapital zu finden und zweitens das Kapital gewinnbringend zu investieren.
Insbesondere in Zeiten, in denen ein einjähriges, theoretisch risikofreies Investment in US-amerikanische Staatsanleihen mit über fünf Prozent rentiert, braucht es sehr gute Gründe, um sein Geld für zehn Jahre in einen Venture Capital Fonds zu investieren (TMUBMUSD01Y | U.S. 1 Year Treasury Bill Price & News – WSJ). Auch hier ist der Schlüssel die Kompetenz.
Diejenigen Fonds, die es verstehen, in einer disziplinierten und professionellen Art und Weise eine Handvoll der besten Gründerteams mit den besten Ideen zu entdecken und ihnen bei der Skalierung zu helfen, werden gerade in den nächsten zehn Jahren erfolgreicher sein denn je.
Michael Sidler meint: «Die Europäischen VC-Renditen sind mittlerweile mindestens auf gleichem Niveau wie die der US-amerikanischen Fonds. Aufgrund dieser Ausgangslage bieten Europa und die Schweiz deshalb aktuell sehr attraktive Einstiegschancen.»
Ideen gibt es jedenfalls genug, und solange es mutige Entrepreneure gibt, die grosse Risiken eingehen, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen, wird es geschäftstüchtige Venture Capital Investoren geben, die ihre finanziellen Mittel und Expertise zur Verfügung stellen, um die Ideen zur internationalen Relevanz zu skalieren. Der Erfolg wird ihnen Recht geben. Denn wenn starker Gegenwind weht, bauen manche Mauern und andere eben Windmühlen.