In den USA geraten die führenden Stimmrechtsberater wie ISS oder Glass Lewis durch die neue Trump-Administration stärker unter Druck. Mächtige Wirtschaftslenker wie J.P.-Morgan-Vormann Jamie Dimon fordern eine Rückbindung ihres Einflusses, vor allem bei Fragen aus dem Bereich ESG (Environment, Social, Governance). Dass ISS und Glass Lewis gegen den 56-Milliarden-Bonus von Elon Musk bei Tesla stimmten, schmälerte den Goodwill im republikanischen Lager. Grossinvestor Blackrock, ebenfalls mit einer ausgefeilten Richtlinienliste unterwegs, hatte seine Vorgaben vor allem bei Umweltfragen bereits vorher verwässert.
Die Schweizer dagegen werden immer mehr zu Musterknaben. Bei dem «G» von ESG sind die Amerikaner hierzulande strenger unterwegs als in der Heimat: Das Doppelmandat ist in den USA weitverbreitet, in Europa stimmen die Berater jedoch meist dagegen. Und auch den direkten Wechsel eines CEO auf den Präsidentenposten sehen sie in Europa deutlich kritischer – und jetzt fügen sich auch die Schweizer. Jüngstes Beispiel: die Swiss Life. Der führende Schweizer Lebensversicherer und grösste Immobilienkonzern wird seit 2009 von Rolf Dörig präsidiert, der zwar mit 15 Chairman-Jahren die gängigen Vorgaben von zehn Jahren weit überschritten hat und aus dem operativen Geschäft ins Präsidium wechselte.
Doch beim Stabwechsel soll alles mustergültig laufen: Der langjährige CEO Patrick Frost trat im Mai 2024 zurück und soll 2026 in den Verwaltungsrat eintreten. Offiziell will es die Firma zwar nicht bestätigen, doch intern ist fest vereinbart, dass Frost neuer Präsident wird. Die Frage ist nur: wann? Derzeitiges Szenario: Der bei der Swiss Life erfolgreiche Dörig macht noch bis 2027 weiter und scheidet kurz vor seinem 70. Geburtstag aus.
Die neue Tugendhaftigkeit zeigt sich selbst bei dem Schweizer Weltkonzern, der bislang in Corporate-Governance-Fragen in seinem eigenen Orbit kreiste, doch nach dem drastischen Aktieneinbruch in diesem Jahr und der Trennung von CEO Mark Schneider in ungewohnten Krisengewässern gelandet ist: Nestlé. Dort wechselte CEO Paul Bulcke 2017 noch direkt auf den Präsidentenposten – heute wäre das nicht mehr denkbar und spricht gegen die Lösung mit dem neuen CEO Laurent Freixe. In der Poleposition steht derzeit Ex-Inditex-Chef und Lead Director Pablo Isla. Doch dann droht der Verlust der stets so hochgehaltenen Nestlé-DNA.
Bei der UBS ist die Lage ähnlich. Schon für den Präsidenten Axel Weber war es nach Rücksprache mit den Investoren undenkbar, seinen langjährigen CEO Sergio Ermotti direkt auf den Chairman-Posten zu hieven. Das gilt auch – bei allen sonstigen Unterschieden – für seinen Nachfolger Colm Kelleher: Ohne Cooling-off würde Ermotti nicht zum Zug kommen – wenn er denn überhaupt will.