569 Seiten, 79 befragte Personen, 45 Sitzungen, 560 Tage Untersuchungszeitraum – es ist ein Manifest akribischen Schaffens, das die Parlamentarier mit ihrem Bericht zum CS-Aus vorlegen. Üppige Abhandlungen über Liquidity Ratios, TBTF-Regeln und regulatorische Filter lassen fast den Eindruck entstehen, dass hier Bankprofis am Werk waren – obwohl weder Kommissionspräsidenten Isabelle Chassot noch einer der 13 anderen Abgeordneten je in einer Grossbank arbeiteten, geschweige dann in einer wild gewordenen globalen Investmentbank wie der Credit Suisse.
Wir erfahren aparte Details: Bei der Finma gab es nicht weniger als 42 Fälle von Vorabklärungen zu Verfahren in den zehn Jahren vor dem Untergang. Mindestens sechs Mal trafen sich im heissen Herbst 2022 die Behördenlenker Ueli Maurer (Finanzdepartment) und Thomas Jordan (Nationalbank) mit CS-Präsident Axel Lehmann, im besten Behörden-Speak als «Non Meetings» bezeichnet, weil die Treffen nicht protokolliert wurden. Und ja: Der Codewort für die CS-Übernahme durch die UBS lautet «Como».
Doch angesichts des Faktentsunamis ist vor allem eins interessant: Wie stark bestimmte heikle Punkte ausgeklammert wurden. Der Schweiz steht vor der wohl grössten Rechtslawine ihrer Geschichte, weil sie die 13 AT-1 Anleihen der CS mit einem Nominalwert von 17 Milliarden Franken abgeschrieben hat, angeordnet von der Finma. Doch in dem Bericht sind die Abschreiber bestenfalls ein Nebenaspekt, um den Klägern kein Futter zu bieten.
Ein anderes Beispiel: Die wissentliche Desinformation von Finma und Nationalbank vom 15.März 2023. Am ersten Abend der angelaufenen Rettungsaktion verschickten sie um 20.10 Uhr ein gemeinsames Communiqué: Die CS erfülle die «Anforderungen an Kapital und Liquidität». Doch das stimmte schlicht nicht – das Geld lief aus der Bank, nur wenige Stunden später beantragte die CS bei der Nationalbank Liquiditätshilfe. Besitzer von AT-1-Anleihen und auch Aktionäre kauften aufgrund des Statements zu – die Regulatoren hatten etwas kreiert, was sie sonst selbst mit einem Verfahren ahndeten: einen sogenannten «False Market» im Börsenjargon. All das blendet der PUK-Bericht weitgehend aus – bloss keine Klägermuniton liefern.
So ist der schwere Bericht vor allem eines: Ein Instrument des Selbstschutzes des Systems. Ja, alle bekommen ein paar Kratzer ab, schliesslich müssen die Parlamentarier auch ihren Wirkungsnachweis liefern. Aber wirklich hart trifft es niemand. Der Bericht gibt das Narrativ wieder, das im Bilanz-Buch «Zu hart am Wind» vom August 2023 über das CS-Aus gezeichnet wurde: Die CS-Übernahme wurde von Maurer und Jordan bereits im November 2022 vorgespurt, beide Bank-Präsidenten waren eingeweiht, die UBS sträubte sich formal, aber durchaus gierig. Auch die Charakterköpfe entsprechen der bisherigen Darstellung: Der Schönredner und Realitätsleugner Axel Lehmann, der mininalinvasive Thomas Jordan, der Freigeist Ueli Maurer, die formal-pedantische Finma-Chefin Marlene Amstad, die akribische neue Finanzministerin Karin Keller-Sutter, der UBS-Dealkönig Colm Kelleher.
Im Vorfeld galten besonders Maurer und Amstad als Schussfeld-Kandidaten. Doch hart trifft auch sie der Bericht nicht. Der Ex-Finanzminister hat zwar eine saubere Übergabe an seine von ihm kaum geschätzte Nachfolgerin Keller-Sutter vorsätzlich verschlampt, wie ihm die PUK amtlich attestiert, aber immerhin war er in der Dreieckskommunikation mit Jordan und Lehmann eine treibende Kraft. Dass in dieser extrem heiklen Phase im Herbst 2022 wenig Protokoll-Spuren hinterlassen wollte, darf man aus Börsensicht als verständlich taxieren. Gleiches gilt für Jordan, der sich bei diesen Treffen - und nur bei ihnen – aus den gleichen überzeugenden Gründen abseits vom Protokoll bewegte. Dass Amstad an diesen Meetings – es gab mindestens sechs – nur drei Mal teilnahm und sie im Nachhinein dieses Fernbleiben mit Formalitäten erklärte, degradierte sie in der ganzen Rettung zur Juniorpartnerin.
Doch sie zur Hauptschuldigen erklären zu wollen, greift ebenfalls zu kurz. Natürlich war die Finma die ganzen Jahre das schwächste Glied in der Kette, das dokumentiert auch der PUK-Bericht eindrücklich. Jedoch: Das war politisch so gewollt. In Washington bei der Fed, in London bei der Bank of England und auch in Frankfurt bei der EZB ist der zentrale Teil der Bankenaufsicht der Notenbank unterstellt. Doch eine derartige Machtballung bei der SNB wollte Bundesbern nie – sie gilt als unschweizerisch. Das Ergebnis: Silodenken allerorten. Zwar flöten die grossen Drei – Finanzdepartment, SNB, Finma - nach aussen gern über ihre gute Zusammenarbeit. Doch hinter den Kulissen gilt, und das dokumentiert der Bericht eindrücklich: Jeder für sich, alle für keine. Besonders die Animositäten zwischen SNB und Finma sind erheblich. Eine wirkliche Verbundstrategie gab es nie, jeder Behörde klebte an ihrem Mandat, niemand hatte den Helikopterblick.
Dass die Schweiz den Ruf einer zu schwachen Aufsicht hat, ist selbst bei der UBS und bei ihren Investoren nicht gern gesehen, die Rivalitäten zwischen Finma und Nationalbank schrecken ausländische Grossanleger eher ab. Die Nominierung Amstads war sogar ein Signal der Schwächung: Weil sich viele Bankchefs 2019 bei Maurer über den angeblich zu übergriffigen Finma-Chef Mark Branson beschwerten, installierte der damalige Finanzminister die praxisfremde Ökonomin Amstad als präsidialen Gegenpol – und Branson ergriff die Flucht. Dass die CS der Finma auf der Nase herumtanzte und immer wieder neue Sondergenehmigungen erhielt, war ein Zeichen von Überforderung. Über Jahre wurde es den zwei Nicht-Bankern Tidjane Thiam und Urs Rohner erlaubt, die grösste Cowboy-Bank Europas in den Abgrund zu führen. Und alle schauten zu. Selbst der Bankprofi Branson kapitulierte am Ende: Zum Abschied schrieb er im März 2021 dem designierten CS-Präsidenten António Horta-Osório einen Brief, der als der schärfste der Finma-Geschichte gilt und auch die Atemfrequenz der UBS-Lenker beim Durchlesen der Korrespondenz heftig erhöhte: Die Kultur und das Risikomanagement seien in lamentablem Zustand, ohne hartes und konsequentes Durchgreifen drohe der Untergang.
Wirklich geglänzt hat kein Mitglied der Troika, das belegt der PUK-Bericht. Der Finma fehlte es an Fachkenntnis, Personal und Ressourcen, um einen globalen Finanzkonzern effektiv zu kontrollieren. Die Nationalbank war passiv und wollte primär ihren Einsatz tief halten. Und die Regierung verfugte nicht über genügend Expertise, Selbstbewusstsein und Instrumentarium, um eine Verstaatlichung, in anderen Ländern praktiziert, zu wagen. Das ist der Preis, den die kleine Schweiz für ihren grossen Finanzplatz zahlt: Bei einem Crash in dieser Dimension ist sie mit ihrer bewusst gewählten Behörden-Fragmentierung schlicht überfordert. Und dafür, dieses Fazit zieht auch die PUK zurecht, hatte sie am Ende doch eine verträgliche Lösung gefunden.
Die vorgeschlagenen 20 PUK-Massnahmen sind teilweise erschreckend banal («Verbesserung des Informationsflusses») und liegen selbst bei der Anzahl hinter den schärferen Forderungen des Bundesrats-Bericht vom April zurück – der brachte es auf 22 Massnahmen. Wohlgemerkt: Keine von ihnen hätte den CS-Untergang verhindert. So schützt sich das System selbst nach dem Motto: Es muss etwas geschehen, damit nichts passiert.