An einem sonnigen Sommermorgen wählt Fabiano Menghini ein schmal geschnittenes, hellblau-weiss gestreiftes Hemd zu einer anthrazitfarbenen Boss-Hose mit elastischem Bund und Tunnelzug. Dazu ein paar weisse Sneaker und wasserblaue Baumwollsocken. Er greift nach seinem Rains-Rucksack, lässt das Sakko im Schrank und fährt mit dem Velo ins Büro an die Zürcher Brandschenkestrasse. Der gebürtige Bündner ist einer der rund 200 Anwälte der Wirtschaftskanzlei Lenz & Staehelin, seit 2009 dabei, seit diesem Jahr als Partner im Bereich Real Estate.
Krawatte nur noch aus Respekt
Ein Anwalt in Sneakern? Ohne Krawatte? In einer der ältesten, grössten und renommiertesten Kanzleien des Landes? Fabiano Menghini lacht. «Vor Corona wäre dieses Outfit undenkbar gewesen», sagt er, «alle unsere eAnwälte trugen Anzug, Krawatte und Halbschuhe, auch wenn sie den ganzen Tag im Einzelbüro sassen und arbeiteten». Heute läuft die Mehrheit seiner Kollegen in Turnschuhen herum – erst recht, seit Lenz & Staehelin 2021 den Börsengang von On Running begleitete und jeder Mitarbeiter ein Paar Laufschuhe geschenkt bekam. Der Veston bleibt jetzt oft zu Hause, die Krawatte fast immer. Dafür kommen andere Teile zum Einsatz: Jackett und Hose in frei gewählter Kombination, ein dunkles T-Shirt oder ein Pulli unter dem Sakko, sogar schwarze Jeans. Würde man so auch zum Kundentermin gehen? «Eher nicht», sagt Menghini,«ausser, man kennt den Klienten gut und weiss, dass auch er leger gekleidet sein wird». Ansonsten gilt in Anwaltskreisen: Anzughose, Hemd, Halbschuhe, Sakko. Wenn's wirklich formell sein soll, kommt die Krawatte dazu. «Mehr aus Respekt und Höflichkeit», erklärt Menghini, «denn bei uns wurde die inoffizielle Krawattenpflicht schon vor zwei Jahren ganz offiziell mit einer E-Mail vom Managing Partner beendet». Damit ist die wohl letzte Bastion konservativer Krawattenträger gefallen: Anwaltskanzleien, Inbegriff des «formal dressing».