Selbst der prinzipientreuste Ökonom erkennt: Es gibt Wichtigeres als einen ausgeglichenen Finanzhaushalt und niedrige Inflation. Denn stabile Finanzen und Preise nützen nichts, wenn das Land von feindlichen Mächten überrollt wird und die Freiheit verloren geht.

Es gibt also Momente, in denen eine Schuldenbremse gelockert werden muss. Es gibt Momente, in denen eine Zentralbank Dinge tun sollte, die sie normalerweise vermeidet – beispielsweise staatliche Schulden finanzieren. Doch wann genau ist dieser Moment erreicht? Wann ist es gerechtfertigt, die Grundprinzipien einer nachhaltigen Finanz- und Geldpolitik aufzugeben?

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Viele Staaten haben sich längst von einer solchen stabilitätsorientierten Politik verabschiedet. Die Schuldenstände haben historische Höchstwerte erreicht, vergleichbar mit Kriegszeiten. In allen grossen Währungsräumen haben die Zentralbanken bereits mehrfach staatliche Schulden finanziert. Nun folgt sogar Deutschland diesem Trend. Die Schuldenbremse wurde vom abgewählten Parlament spektakulär gesprengt, und die Deutsche Bundesbank, einst ein Garant für Stabilität, hat sich ebenfalls für das Schuldenmachen ausgesprochen.

Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)
in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.

Finanz- und geldpolitischer Pragmatismus ist allgegenwärtig. Doch befinden wir uns tatsächlich in einem Notfall? Nein. Infrastruktur und Verteidigung gehören zu den Kernaufgaben eines Staates, die aus dem ordentlichen Haushalt finanziert werden sollten. Und eine nachhaltige Finanzpolitik wäre für erhöhte Ausgaben während Wirtschaftskrisen und Pandemien gewappnet, ohne dabei Regeln zu brechen. Die aktuelle Schuldenmacherei entspricht daher nicht einem gesunden realpolitischen Pragmatismus angesichts einer Notlage, sondern einem Angriff auf stabile Preise in Zeiten, die historisch dem Normalfall entsprechen.

Was bedeutet dies für die Schweiz? Auch hierzulande wurden die Verteidigungsausgaben vernachlässigt. Diese zu erhöhen, schmälert den Spielraum für andere Ausgabenposten stark. Es könnte naheliegend sein, dem internationalen Trend zu folgen und die eigenen stabilitätsorientierten Prinzipien aufzugeben. Und würde dies nicht gleichzeitig das «Hauptproblem» der Wirtschaft, die Frankenstärke, lösen?

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Gerade unter geopolitischen Gesichtspunkten wäre dieser Pragmatismus eine schlechte Idee. Wir müssen wieder lernen, den starken Franken als Vorteil zu begreifen. Nur mit einem starken Franken kann die Schweiz Krisenzeiten aus einer Position der Stärke heraus meistern. Der starke Franken potenziert die «finanzielle Feuerkraft» und damit die Stärke des Kleinstaates Schweiz im Vergleich zu den anderen Ländern, deren finanz- und geldpolitische Experimente die zu erwartenden Folgen haben werden. Eine glaubwürdige Währung und die damit verbundene wirtschaftliche Stabilität können gerade in geopolitischen Konflikten ein entscheidendes Puzzleteil sein. Sie schaffen den nötigen Spielraum, um die Schweizer Bevölkerung durch Krisen zu tragen, sie erhöhen die Verteidigungs- und Verhandlungsmacht des Landes und tragen damit dazu bei, die Unabhängigkeit zu wahren.

Die Finanzierung von Verteidigungsausgaben durch Schulden in Friedenszeiten ist eine kurzfristige Strategie. Ein Land schwächt sich damit selbst, noch bevor ein allfälliger Konflikt beginnt. Gerade in Zeiten des Umbruchs gilt es, das Pulver nicht zu früh zu verschiessen. Wie viel wirtschaftspolitischen Pragmatismus verträgt es, wenn es um die Verteidigung geht? Kurz gesagt: Pragmatismus ist gefragt – aber erst im Notfall. Wer zu früh pragmatisch handelt, verliert seine besten Karten.