Die holländische Tulpenmanie von 1634 bis 1637 gilt als Paradebeispiel für überhitzte Finanzmärkte: Kurz bevor alles zusammenkrachte, konnte man sich in den Niederlanden für den Preis einer Tulpenzwiebel angeblich sogar ein schönes Haus kaufen.
Zu vergleichbaren Blasen in der Neuzeit gehören die DotCom Blase von 2000, der Subprime Crash von 2008 oder auch der Crypto Crash von 2018. Und nun sprechen viele wieder von einer ähnlichen Blase, wenn es um sogenannte Non-Fungible Tokens (NFTs) geht. Dabei wird missachtet, dass hinter dem Buzzword NFT ein äusserst vielversprechendes Konzept und eine Technologie für die Zukunft der online Welt steht.
«Non-Fungible Tokens»
Ein Non-Fungible Token ist ein «nicht ersetzbares» digitales Objekt auf einer Blockchain mit einer einzigartigen ID. Sprich, der Ursprung und aktuelle Besitz eines per Definition einzigartigen NFTs sind sichtbar auf der Blockchain. Zudem kann ein NFT sowohl jegliche Art von Medien und Dateien wie auch Softwarecode beinhalten.
Digitale Währungen wie Bitcoin und Ethereum sind im Gegensatz dazu sogenannte «fungible» – sprich ersetzbare – Token. Denn es spielt keine Rolle, welchen der 21 Millionen Bitcoins man besitzt, alle haben denselben Wert. «Fungible» Tokens sind somit vergleichbar mit Schweizerfranken in der physischen Welt, während NFTs vergleichbar sind mit einem Kunstwerk wie der Mona Lisa – das Original gibt es nur einmal.
Digitale Kunst als erste Anwendung
Kunst ist auch die zurzeit meistbeachtete Anwendung von NFTs – allein in diesem Jahr betrug das Transaktionsvolumen für digitale Kunst in Form von NFTs über 20 Milliarden Dollar. Und dies, obwohl an einem Bildschirm kein Unterschied erkennbar ist zwischen dem originalen JPEG Bild mit einer einzigartigen ID auf einer Blockchain und einer wertlosen digitalen Kopie davon – der wohl am häufigsten genannte Grund für die mögliche Spekulationsblase rund um NFTs. Dabei kann dasselbe Argument auch für physische Kunst gemacht werden. Heutzutage ist es nicht mehr allzu schwer, die Mona Lisa zu replizieren. Nichtsdestotrotz ist nur das Original mehrere Hundert Millionen wert (der Versicherungswert beträgt knapp 900 Millionen Dollar).
Pascal Unger ist Managing Partner bei der Venture Capital-Gesellschaft Darling Ventures in San Francisco und Miami.
Im Gegenteil sogar – es gibt viele, die argumentieren, dass ein Bild umso wertvoller wird, je häufiger es repliziert wird. Sprich, genau weil die Mona Lisa überall kopiert wird (T-Shirts, Tassen, Bilder, usw.) und deshalb global bekannt ist, ist das Original derart viel wert. Ähnliches kann auch von digitaler Kunst in Form von NFTs behauptet werden – je höher die Bekanntheit eines NFTs, desto wertvoller ist das «non-fungible» Original.
NFTs als Statussymbol
Der intrinsische Wert von NFTs in der Form von Kunst ist grösstenteils null (abgesehen von eventuell darauf programmiertem Softwarecode) – ähnlich wie beim Grossteil an physischer Kunst, Luxusgütern und anderen Statussymbolen.
Genau das sind NFTs in der Form von digitaler Kunst: Statussymbole. Viele sagen sich: wieso soll man Geld für ein physisches Kunstobjekt ausgeben, das man verhältnismässig nur wenigen Leuten zeigen kann, wenn stattdessen über 300 Millionen Twitter User sehen könnten, dass man ein digitales Statussymbol in der Form eines wertvollen NFTs besitzt (in dem man dieses zum Anzeigebild macht)?
Zu den bekanntesten dieser NFT-Statussymbole gehören zurzeit die CryptoPunks und die Bored Apes vom Bored Ape Yacht Club (BAYC). Die CryptoPunks sind eine Kollektion von 10'000 einzigartigen NFTs mit jeweils 24x24 Pixeln, die 2017 mit Preisen von einem bis 34 Dollar pro Punk lanciert wurde. In der ersten Novemberwoche dieses Jahres wechselten 61 CryptoPunks den Besitzer zu einem Durchschnittspreis von rund einer halben Million Dollar während der teuerste Punk bis anhin elf Millionen kostete. Der BAYC ist ebenfalls ein NFT Projekt mit 10'000 einzigartigen Bildern; der teuerste Bored Ape wechselte bis anhin für rund 2.7 Millionen den Besitzer.
Exklusive Memberships durch NFT Besitz
Solche NFTs sind inzwischen weit mehr als nur Statussymbole in der Form von Twitter Anzeigebildern – sie kommen vermehrt mit Zugang zu immer exklusiver werdenden Gemeinschaften. Viele der knapp 6'000 BAYC Besitzer zum Beispiel treffen sich regelmässig in den verschiedenen Städten, es gibt WhatsApp, Telegram und Discord Gruppen exklusiv für «Apes» und anfangs November gab es die erste grosse «Bored Ape» Party in New York mit exklusivem Zugang für Apes. Mit dabei waren viele bekannte Namen aus der Welt der Musik, Film und Sport, die inzwischen Mitglieder des BAYC sind.
Zudem werden vermehrt auch Marken rund um einzelne NFTs lanciert. So haben BAYC-Besitzer unter anderem eine Kaffee- und eine Biermarke mit ihrem jeweiligen Ape als Logo lanciert und enorm von der wachsenden Bekanntheit des BAYC profitiert – auch wenn die Bilderrechte rund um NFTs bis anhin alles andere als klar definiert sind.
Mit all diesen Projekten und exklusiven Gemeinschaften rund um NFT Kollektionen steigt nicht nur die kulturelle Relevanz dieser Kollektionen, sondern auch der Preis. Anfangs November lag der sogenannte «Floor Price» für BAYC NFTs (sprich der günstigste Ape, den man kaufen kann) bei knapp 200'000 Dollar.
Grossfirmen nutzen NFTs vermehrt
Nicht nur Individuen haben erkannt, dass NFTs inzwischen von grosser kultureller Relevanz sind – vermehrt springen auch Grossfirmen auf den NFT-Zug auf. Budweiser und Visa gehörten dabei zu den ersten.
Diesen Sommer kaufte sich Budweiser die Ethereum-Adresse beer.eth für 100'000 Dollar und eine Budweiser NFT Rakete vom Künstler Tom Sachs für 25'000 Dollar als Anzeigebild für Budweiser’s Twitter Account. Für 125'000 Dollar bekam Budweiser so mehr Aufmerksamkeit als durch viele Super Bowl Werbung zusammen (Kostenpunkt 5.5 Millionen Dollar für 30 Sekunden). Und dank der Bekanntheit der Budweiser Rakete könnte das NFT inzwischen wohl für ein Vielfaches des Kaufpreises weiterverkauft werden. Sprich Budweiser hat nicht nur viel Werbegeld gespart, sondern könnte auch Geld mit dem NFT verdienen.
Noch mehr Aufmerksamkeit bekam Visa, als sie Ende August den CryptoPunk #7610 für rund 150’000 Dollar kauften. Dieser Kauf führte nicht nur zu viel (und sehr wertvoller) Aufmerksamkeit in den Medien, es erhöhte auch die Kredibilität von Visa rund um Crypto und führte dazu, dass der «Floor Price» von CryptoPunks sich innerhalb von wenigen Stunden auf knapp 450’000 verdreifachte. Statt mehrere Millionen für Werbung auszugeben, sparte auch Visa mit dieser Aktion viel Geld und bekamen deutlich mehr Aufmerksamkeit. Zudem konnten auch sie so eine Kostenstelle (Marketing) in ein wertvolles Asset auf der Bilanz umwandeln – CryptoPunk #7610 ist inzwischen wohl mehrere Millionen wert.
Während nicht jede Aktion mit NFTs so erfolgreich sein wird wie diejenigen von Budweiser und Visa, werden NFTs in Form von digitaler Kunst die Marketingaktivitäten von Firmen nachhaltig verändern. Zudem bieten sich für Firmen wie zum Beispiel Marvel spannende neue Umsatzkanäle mit NFTs: Alleine im August verkauften sie innerhalb von weniger als 24 Stunden 60'000 Spider Man NFTs und kurz danach 40'000 Captain America NFTs innerhalb von 15 Minuten. Marvel verdiente damit Millionen.
Solche NFT-Projekte haben hohe Margen, sind umweltfreundlich, und vor allem sind sie gemacht für das Internet –Erwachsene in den USA verbringen bereits über fünf Stunden am Tag an ihrem Smartphone und Computer und noch einmal mehrere Stunden mit Videospielen. Dementsprechend wichtig ist es für Firmen in dieser Welt vermehrt präsent zu sein.
Physische und digitale einzigartige Objekte kombiniert
Spannend ist zudem auch die Kombination von physischen und digitalen Einzelobjekten. Die Schweizer Schuhfirma On hätte zum Beispiel tausend digitale Versionen des «The Roger» zusammen mit den physischen (nummerierten) Schuhen lancieren können. Entweder als digitales Kunstwerk oder zum Beispiel als digitaler Tennisschuh für ein Videospiel. Und wenn On in Zukunft einen einmaligen Schuh lanciert und diesen sowohl als physischen Schuh plus NFT inklusive den Bildrechten dazu verkauft, dann könnte mit dem Verleih der Bildrechte für diesen in der digitalen Welt und in Videospielen Geld damit verdient werden. Dies würde auch den Wert des physischen Produktes weiter nach oben treiben.
Während dies noch abstrakt klingt, ist ähnliches bereits passiert: Im Juni dieses Jahres wurde eine virtuelle Gucci Dionysus Tasche für über 4'000 Dollar auf der Roblox Gaming Plattform verkauft (die physische Tasche kostet knapp 2'500 Dollar). Und dies, obwohl die Tasche nicht einmal ein NFT ist – sprich sie kann dementsprechend leicht digital repliziert werden.
NFTs sind noch ganz am Anfang
Wir befinden uns noch ganz am Anfang der Entwicklung und bis anhin gewannen NFTs vor allem als digitale Kunst an Bedeutung.
Dank dem Geld, dass inzwischen mit NFTs verdient werden kann, ziehen Ideen rund um NFTs immer mehr Gründer an. Wir sehen eine stetig steigende Zahl an spannenden Projekten in diesem Bereich – insbesondere rund um Mischformen zwischen «Non-Fungible» und «Fungible» Token. Das Videospiel Axie Infinity ist ein Paradebeispiel dafür - mehr dazu im nächsten Artikel.