«Wir sind leider nirgendwo», was Investments in Startups und Risikokapital angeht in der Schweiz und Europa, so der Investor Klaus Hommels in einem BILANZ-Interview im September. Dies in einer Zeit, in der Innovation zunehmend von Startups getrieben wird. Trotzdem ist die Schweiz laut dem Global Innovation Index der World Intellectual Property Organization (WIPO) seit zehn Jahren das innovativste Land der Welt.
Ausschlaggebend für unsere Nummer-eins-Position sind Dimensionen wie politische Stabilität, rechtliche Sicherheit, Infrastruktur, und Patentanmeldungen – bei relevanten Dimensionen für die Startup-Gründung schneiden wir hingegen schlecht ab. 2020 war die Schweiz nur auf Platz 38 bei Universitätsabgängern in Wissenschaftlichen und Ingenieurwesenslehrgängen, Platz 66 bei der Einfachheit einer Firmengründung, und auf Platz 92 beim Rechtsschutz für Minderheitsinvestoren.
Eine andere Art, Innovation zu messen ist die Wertschöpfung und Arbeitsplatzschaffung durch Startups. Dabei spielt Risikokapital eine wichtige Rolle. In den USA zum Beispiel kommt fast die gesamte Netto-Arbeitsplatzschaffung in den letzten 20 Jahren von mit Venture Capital finanzierten Startups. Dasselbe gilt für Wertschöpfung durch (insbesondere Technologie-) Firmen: Der Börsenwert der mit Risikokapital finanzierten Firmen liegt in den USA bei rund einem Drittel der Wirtschaftsleistung. Zudem wurden allein im Jahr 2019 in 12'200 Finanzierungsrunden 137 Milliarden Dollar in US-Startups investiert und 265 Milliarden mit 1’100 Exits erzielt (davon 59 über 500 Millionen).
Die Schweiz ist noch am Anfang
In der Schweiz sind die Dimensionen deutlich kleiner, jedoch stark wachsend. Knapp 400 Millionen Franken wurden im 2012 in 60 Finanzierungsrunden investiert. 2019 waren es knapp zwei Milliarden Franken bei etwas mehr als 250 Finanzierungsrunden. In derselben Zeit sind auch viele neue, teilweise oder ganz, auf die Schweiz fokussierte Venture Capital Firmen entstanden wie Wingman Ventures, Tomahawk Ventures oder die Swiss Startup Group SSUG. Hinzu kommen ältere Firmen wie Redalpine Venture Partners, Creathor Ventures und BtoV Partners sowie immer mehr ausländische Fonds, die in Schweizer Startups investieren.
Vor allem was grosse Exits angeht, ist der Weg für die Schweiz jedoch noch weit. Wir warten immer noch auf einen sogenannten «Fund Returner» – einen Exit, der den Investoren 50 Mal, 100 Mal oder mehr das investierte Kapital (der sogenannte «Exit Multiple») zurückzahlt. Während es in den USA jedes Jahr mehrere dutzend solche Exits gibt für frühe Investoren (Airbnb war gerade ein 100'000+ Multiple für Y-Combinator), war der grösste Venture Capital Exit Multiple in der Schweiz in den letzten Jahren laut Startupticker.ch 18-mal das investierte Kapital.
Pascal Unger ist Managing Partner bei der Venture Capital-Gesellschaft Darling Ventures in San Francisco.
Es gibt viele Gründe, weshalb die Schweiz als Startup Ökosystem im weltweiten Vergleich noch hinterherhinkt, vor allem bei Tech-Startups. «Bei den Life Sciences hingegen ist die Schweiz weltweit vorne mit dabei.» sagt Michael Sidler, Mitgründer und Partner von Redalpine Venture Partners. Zu den meistgenannten Gründen gehören die Verfügbarkeit von Risikokapital in der Form von Smart Money, sowie Role Models, also Vorbilder, die vorangehen.
Smart Money als Erfolgsfaktor
Die Aufnahme von Risikokapital ist eng verbunden mit Wertschaffung von Startups – bei weitem nicht jedes Startup ist aber geeignet, Risikokapital vor allem von Venture Fonds aufzunehmen. Denn diese haben sehr hohe Erwartungen, was das angestrebte Wachstum und die Grösse des Exits angeht: jedes Investment aus einem Venture Fond sollte das Potenzial haben, mindestens den gesamten Fond zurückzubezahlen. Eine Daumenregel besagt zudem, dass der erfolgreichste Exit pro Fond diesen mindestens eineinhalbmal zurückbezahlen muss, damit die VCs dreimal (oder mehr) das einbezahlte Kapital an ihre Investoren zurückzahlen können (was in der Industrie als Erfolg angesehen wird). Bei einer Fond-Grösse von CHF 100 Millionen und einem Anteil von fünf Prozent beim Exit, muss der erfolgreichste Exit dementsprechend rund drei Milliarden Franken gross sein. Solche Exits sind schwer zu erzielen und erfordern eine hohe Risikobereitschaft der Unternehmer. Startups sollten sich deshalb gut überlegen, ob ein mit Venture Capital verbundenes Wachstum (genannt ein «Venture Scale»-Startup), geeignet ist für ihr Unternehmen. Für viele ist dies nicht der Fall.
Falls sich in den USA ein Startup für den «Venture Scale»-Pfad entscheidet, ist oftmals schon die erste Finanzierungsrunde kompetitiv. Sprich, um investieren zu können, müssen die Kapitalgeber den Gründern aufzeigen können, dass sie mehr als nur Geld mitbringen – nämlich Kontakte und Knowhow. Das Stichwort hier ist Smart Money. Etwas anders sieht es in der Schweiz aus – hier sind die frühen Finanzierungsrunden für VC-Fonds «noch nicht sehr umkämpft», wie Pascal Mathis, Mitgründer von Wingman Ventures sagt. «Kapital an sich ist jedoch für die frühen Finanzierungsrunden viel vorhanden» fügt er an. Dieses kommt vor allem von den sehr aktiven Angel Investoren – sprich von Einzelpersonen und Family Offices, die ihr persönliches Kapital in Startups investieren. Oftmals nehmen Schweizer Startups zu Beginn ausschliesslich von solchen Angels Kapital auf.
Davon wird Venture Scale - Startups auf der anderen Seite des Atlantiks abgeraten. Sie sollten mindestens einen externen professionellen Investor (VC) pro Finanzierungsrunde mit an Bord holen. Diese bringen Expertise mit beim Aufbau eines Startups, helfen beim Vermeiden von unnötigen Fehlern und wissen, welche Meilensteine für eine nächste Finanzierungsrunde erreicht werden müssen. Hinzu kommt, dass VCs oftmals wichtige Einführungen machen können zu anderen Venture-Firmen für spätere Finanzierungsrunden, geeigneten Kandidaten für vakante Stellen und auch potenziellen Kunden.
Neben Kapital von VCs sollten sich Jungunternehmer auch weitere Formen von Smart Money anschauen. Marco Rodzynek, Gründer und CEO von Europas grösster VC-Konferenz NOAH und der Corporate Finance Firma NOAH Advisors, empfiehlt diesbezüglich «nicht nur den Standard Weg zu gehen und ausschliesslich Kapital von VC Fonds aufzunehmen, sondern auch mit Unternehmen und Family Offices zusammenzuarbeiten, die bei der Marktöffnung und anderen strategischen Themen helfen können.»
Einen möglichst grossen Anteil an Smart Money pro Finanzierungsrunde aufzunehmen sollte das Ziel von Startup- Gründern sein. Dieses ist in der Schweiz zurzeit noch relativ knapp, der Trend geht jedoch in die richtige Richtung – neben mehr und mehr auf die Schweiz fokussierte VCs, Corporate und strategischen Investoren «merken langsam, aber sicher auch immer mehr ausländische Fonds, dass es in der Schweiz spannende Startups mit fortschrittlicher Technologie gibt», sagt Pascal Mathis.
Es braucht mehr Vorbilder
Die Startup-Ökosysteme von Ländern wie Australien und Schweden haben durch den Erfolg von Atlassian (2002 gegründet, 58 Milliarden Dollar Börsenwert heute) sowie Skype (2003 gegründet, 2011 für achteinhalb Milliarden an Microsoft verkauft) und Spotify (2006 gegründet, 61 Milliarden Dollar Börsenwert heute) einen enormen Schub bekommen. Die Gründer haben grosse Summen von ihrem Geld in lokale Startups investiert und geben grosszügig ihr Wissen an die nächste Generation von Gründern weiter. Dasselbe gilt für frühe Mitarbeiter, die zudem viele eigene Startups gründen oder ihre gewonnenen Erfahrungen bei lokalen Startups einbringen. Dies verleiht der nächsten Generation von Startups viel Rückenwind – siehe zum Beispiel Canva in Australien (2012 gegründet, heute sechs Milliarden Dollar wert) oder iZettle in Schweden (2010 gegründet, 2018 für über zwei Milliarden Dollar von PayPal gekauft).
In unserer neuen Kolumne «Valley View» beleuchtet Pascal Unger regelmässig die neusten Entwicklungen im Silicon Valley und ihre Auswirkungen auf die Schweiz. Alle Texte dazu finden Sie hier.
Der Schweiz fehlt es noch an Exits von einer Grösse, um das lokale Ökosystem nachhaltig zu verändern. Statt in der Schweiz zu gründen, ziehen es viele talentierte Jungunternehmer mit Ausbildung in der Schweiz vor, ihre Firmen im Ausland aufzubauen. Siehe Get Your Guide mit ihrem frühen Umzug nach Berlin, siehe Valentin Stalf, der österreichische CEO und Gründer von N26, der nach dem Studium an der HSG sein Startup ebenfalls in Berlin gegründet hat, oder siehe Guillaume Pousaz, der als Schweizer Checkout.com in London gegründet hat. «Der Schweiz fehlt es an Role Models, die zeigen, dass man auch von der Schweiz aus eine Firma mit globalen Ambitionen ab Tag 1 gründen und aufbauen kann» sagt Michael Sidler. Zudem «geben Schweizer, die weltweit im Startup-Bereich grosse Erfolge feiern konnten, viel zu selten ihr Wissen und ihre Netzwerke in der Schweiz gepaart mit Investments in Schweizer Startups weiter» fügt er an. Es braucht mehr solcher Vorbilder.
Guter Anfang, weiter Weg
In der Schweizer Startup Szene hat sich in den letzten Jahren viel getan. Mit aufstrebenden Startups wie Wingtra, Auterion, Nomoko, Frontiy, Locatee, Beekeeper, Teralytics oder Optimyze (dem ersten Seed Investment von Andresseen Horowitz in Europe) im Tech-Bereich, On im Consumer Bereich und den vielen Med- und Biotech Startups, hat die Schweiz einige Kandidaten für einen Fund Returner. Gepaart mit unseren weltweit führenden Hochschulen, dem Zuzug von gut ausgebildeten Fachkräften im Tech-Bereich, der Standortattraktivität und der stetig steigenden Verfügbarkeit von Risikokapital, ist die Schweiz auf gutem Weg auch global immer weiter vorne mitzumischen, wenn es um durch Startups getriebene Innovation und damit verbundener Wertschöpfung geht. Der Weg ist jedoch noch weit, wie auch Klaus Hommels weiss.
1 Kommentar
Interessanter Artikel! Frontiy heisst übigens korrekt Frontify (siehe auch frontify.com).