Romeo Cerutti ist bei der Credit Suisse derzeit ein geforderter Mann. Die Grossbank steht nach den milliardenschweren Debakeln um den Hedge Fund Archegos und die Greensill-Fonds seit Wochen in den Schlagzeilen.Im Auge des Sturms stehen zwar CEO Thomas Gottstein und der neue VR-Präsident António Horta-Osório, und Investmentbank-Chef Brian Chin sowie die Risiko-Chefin Lara Warner mussten gehen – aber mit den rechtlichen Folgen und der Aufarbeitung muss sich vor allem einer auseinandersetzen: Romeo Cerutti, der General Counsel.

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In haarigen Zeiten Krisenmanager, umfasst der Job aber noch einiges mehr. Nachhaltigkeitsfragen, Regulierungen, Transparenz, Compliance, Ethik: Unternehmen müssen heute vielen Anforderungen genügen. Mittendrin: die Chefjuristin, der Chefjurist des Unternehmens – die General Counsels.

Bloss Anwalt sein genügt nicht, man müsse als strategischer Businesspartner agieren, sind sich Maria Varsellona, German Grüniger, Katja Roth Pellanda und Judith Bischof einig. Sie sind General Counsel bei ABB, Implenia, Zurich und RUAG, grossen, länderübergreifend tätigen Unternehmen mit der damit einhergehenden Fülle und Komplexität der Anforderungen.

«Eine General Counsel muss über ein breites Know-how, eine schnelle Auffassung, vernetztes Denken und Entscheidungsfreudigkeit verfügen», sagt Judith Bischof, General Counsel bei der RUAG International Holding. Der Technologiekonzern mit 9000 Mitarbeitenden ist in der Luft- und Raumfahrt und der Verteidigung tätig.

Als Judith Bischof 2018 von Ascom zur RUAG wechselte, wartete eine nicht alltägliche Herausforderung auf sie. Als Folge des 2016 bekannt gewordenen Hackerangriffs auf die mit der Bundesverwaltung verflochtene IT wurde die RUAG 2018 in einen schweizerischen und einen internationalen Teil aufgespalten. National ein Technologiepartner der Schweizer Armee, international mit Fokus auf den Aerospace-Bereich. Zudem wurden diverse Geschäftseinheiten devestiert.

Die Top-Anwälte 2021

Anwaltskanzleien gibt es einige in der Schweiz. BILANZ präsentiert die Bestenliste 2021. Zum ausführlichen Ranking geht es hier. 

Eine Entwicklung, die wegen der Corona-Pandemie nicht vorbei ist. «Aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Flugzeugstrukturbau-Division stehen wir bei RUAG International vor weiteren, ursprünglich nicht geplanten Umstrukturierungen», so Bischof.

Ihr Alltag ist geprägt von Meetings, derzeit online. «Bei wichtigen Transaktionen und Verhandlungen bin ich sehr gerne mit an der Front dabei», sagt sie. Die Arbeit sei so vielseitig, dass «das kontinuierliche Treffen von Entscheidungen fast die einzige Konstante in meinem Arbeitsalltag ist.»

Feuerwehrübungen

Der Tag im Homeoffice fängt bei German Grüniger, General Counsel bei Implenia, um 6.30 Uhr an, etwas später als im Büro. In Ruhe Mails abarbeiten. «Danach folgt Schlag auf Schlag ein Thema dem anderen», sagt er. «Ein Problem in Schweden. Ein Problem in Frankreich. Dann hat der CEO ein Anliegen. Darauf der Finanzchef.»

Das Schweizer Bauunternehmen mit 8500 Mitarbeitenden ist «wie ein grosses Kreuzfahrtschiff oder ein fahrender Zug. Projekte laufen, Geschäfte laufen, niemand wartet auf mich.» Die Tage sind lang, der Posten ein Sieben-Tage-Job. Doch wer den dichten Takt mag, die Vielfalt der Anforderungen und Themen, ist im Element. Es ist ein Job, der German Grüniger sichtlich Spass macht. «Ich mag Feuerwehrübungen», sagt er.

German Grüniger - Honorarfrei nur für "Beste Anwälte 2021" Bilanz SPEZIAL 05/2021

«Es reicht nicht, rechtlichen Rat zu geben. Man ist der Sparringspartner der Unternehmensleitung. Das Gewissen der Firma», sagt  German Grüniger von Implenia

Quelle: ZVG

Doch auch er sei letztes Jahr für kurze Zeit an die Grenzen gekommen, als bei einem Grossprojekt im Ausland eine Situation entstand, die für die Firma zu einem unerwarteten Risiko wurde. «Wir ergriffen zwar Massnahmen und bildeten sogleich eine Taskforce mit hoher Management-Attention, aber das alles griff nur langsam.»

Zur Situation geführt hatte eine Kumulation von Fehlentscheiden und Fehlern in der Projektausführung. «Das Projekt war in massivem Zeitverzug, die Kosten liefen aus dem Ruder, und hinzu kam die weltweite Pandemie, Grenzen wurden geschlossen, Leute waren am falschen Ort, und Schwierigkeiten wurden anfänglich schöngeredet.»

Grüniger ist zufrieden, dass trotz aller Widrigkeiten eine für Implenia gute Lösung gefunden wurde. Als General Counsel helfe es sicher, wenn man auch anpacken könne. «Schöne Powerpoint-Präsentationen nützen in solchen Situationen nicht viel.»

Grüniger war Partner in einer Kanzlei, bevor er zu Implenia kam. «Ich hatte lange das Gefühl, Inhouse-Anwälte seien diejenigen, die nicht gerne im Regen stehen. Wenn es brenzlig wird, holen sie jemand Externes.» Dabei beinhalte die Arbeit des General Counsel ein viel breiteres Spektrum als die Aufgaben eines Anwalts.

Nebst Arbeitsrecht, M&A und weiteren wichtigen rechtlichen Themen stehe das ethische Verhalten des Unternehmens im Fokus, das habe beispielsweise die Konzernverantwortungsinitiative gezeigt. «Es reicht nicht, rechtlichen Rat zu geben. Man ist der Sparringspartner der Unternehmensleitung. Das Gewissen des Unternehmens.»

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Früher sei die Rolle des General Counsel eng gefasst gewesen und konzentrierte sich darauf, das Unternehmen vor rechtlichen Risiken zu schützen. «Zum Glück hat sich das geändert», sagt Katja Roth Pellanda, General Counsel bei der Zurich Insurance Group. Die multinationale Versicherungsunternehmung mit 53'000 Mitarbeitenden ist in über 210 Ländern tätig.

Heute werde ein aktiver Beitrag bei der Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie erwartet, sagt sie. «Generell hat ein General Counsel über die Fähigkeit zu verfügen, komplexe Sachverhalte vorherzusehen, Risiken abzuwägen, aber auch frühzeitig Lösungen aufzuzeigen.»

Der Job erfordert ein breites Know-how, gleichzeitig bietet er auch Aufstiegsmöglichkeiten bis an die Spitze von Grossunternehmen. CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner war General Counsel, ebenso Peter Kurer, ehemaliger Verwaltungsratspräsident von UBS und Sunrise Communications.

Risiken und Verantwortung

Katja Roth Pellanda kam im vergangenen Jahr zur Zurich, zuvor hatte die Anwältin unter anderem als Head of Corporate Governance bei Novartis gearbeitet. Bei der Zurich steht sie mit sämtlichen Geschäftsbereichen des Unternehmens in ständigem Austausch, wobei kein Tag dem anderen gleicht.

Eine grosse Rolle spiele die Unterstützung ihres Teams bei der «proaktiven und pragmatischen Beratungstätigkeit», dem Aufzeigen von Lösungen für konkrete Fragestellungen und der Abwägung von Risiken. Ebenfalls zu ihren Aufgaben gehört, die Rechtsfunktion weiterzuentwickeln, Trends zu erkennen und Talente zu fördern.

Katja Roth Pellanda - Honorarfrei nur für "Beste Anwälte 2021" Bilanz SPEZIAL 05/2021

«Oft geht es um wichtige Prinzipien der Gerechtigkeit, Ethik und Gleichheit», sagt Katja Roth Pellanda von Zurich Insurance.

 

Quelle: ZVG

Zentral sind die Themen D&I (Diversity & Inclusion) sowie ESG (Environment, Social, Governance) oder ethische Investments. «Oft geht es hier um wichtige Prinzipien der Gerechtigkeit, Ethik und Gleichheit», um Themen also, die eng mit der Rolle einer Rechtsfunktion verbunden seien. Die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das Gewissen.

Auch ABB hat sich im Bereich Diversity & Inclusion «ambitionierte Ziele» gesetzt, etwas, das General Counsel Maria Varsellona sehr am Herzen liegt. «Indem wir das Thema Diversität um dieLGBTQ+-Dimension erweitern, gehen wir für unser Unternehmen einen neuen Weg.» Varsellona ist seit zwanzig Jahren bei grossen Unternehmen tätig, zuletzt als General Counsel bei Nokia, bevor sie im November 2019 ihre Stelle bei ABB antrat. Das Unternehmen beschäftigt 105'000 Mitarbeitende und ist in über 100 Ländern tätig.

Wie bei allen habe auch bei ihr die Pandemie den Arbeitsalltag geprägt, sagt sie. «Zuvor bin ich viel gereist.» Im Homeoffice investiere sie bewusst mehr Zeit, um neben den regulären, virtuellen Meetings ihren Mitarbeitenden zur Verfügung zu stehen. «Für mich hat das während dieser Zeit ohne persönliche Meetings und die Gelegenheiten, Dinge informell beim Lunch oder in der Kaffeeküche zu besprechen, eine sehr hohe Bedeutung.»

Die Methodik

Bereits zum fünften Mal veröffentlicht BILANZ die Listen der Top-Anwaltskanzleien der Schweiz: Sie basieren auf den Empfehlungen von Rechtsanwälten (Peer-to-Peer-Befragung) und Mandanten in 31 verschiedenen Rechtsgebieten und zum dritten Mal in neun verschiedenen Branchen. Es wurden mehr als 7300 Anwälte, rund 900 Inhouse-Juristen, die Leiter der Rechtsabteilungen der 500 grössten Unternehmen der Schweiz sowie Mandanten von Anwaltskanzleien zur Befragung eingeladen. Wie das Ranking erstellt wurde, sehen Sie hier. 

Ihre Rolle stellt sie sich als «Dreiklang» vor. General Counsels müssen professionelle Anwälte sein, mit Kenntnis aller relevanten Gesetze und Vorschriften. Sie müssen die Rolle des Gatekeepers erfüllen, Lösungen finden, aber auch mal Nein sagen, wenn es nicht anders geht. Drittens müssen sie verstehen, was das Geschäft vorantreibt und welches die strategischen Zielsetzungen seien. 

Die grösste Herausforderung nebst der Umstellung auf das komplett virtuelle Arbeiten sei die vollständige Ausrichtung der Rechts- und Compliance-Abteilung auf das neue dezentrale Betriebsmodell. «Wir mussten sicherstellen, dass wir unsere operativen Aktivitäten, die deutlich näher am Kunden sind, weiterhin mit unserer Expertise unterstützen können.» Man habe etwa den Verhaltenskodex überarbeitet und vereinfacht. «Zudem haben wir dafür gesorgt, dass Integrität ein bedeutendes Element unserer neuen Nachhaltigkeitsstrategie ist.»

Gegen die Compliance-Vorgaben

Die RUAG habe in den letzten drei Jahren viel in den Aufbau von Compliance-Prozessen investiert, sagt Judith Bischof. «Dabei sind wir auf einen Fall gestossen, in dem mehrere Mitarbeitende gegen die klaren Compliance- und Corporate-Governance-Vorgaben der Gruppe verstossen haben.» Es folgten fristlose Kündigungen der Mitarbeitenden.

Judith Bischof-Honorarfrei nur für "Beste Anwälte 2021" Bilanz SPEZIAL 05/2021

«Bei wichtigen Transaktionen und Verhandlungen bin ich sehr gerne mit an der Front dabei», sagt Judith Bischof von RUAG

 

Quelle: Gerry Nitsch

Bischof ist froh, dass sie dabei auf den Rückhalt der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats zählen konnte. Nur so sei es möglich gewesen, den Fall im Detail aufzuarbeiten und die nötigen Massnahmen zu ergreifen, ungeachtet der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit. «Es war gut zu sehen, dass die im Bereich Compliance wichtigen Verhaltensrichtlinien ‹Zero Tolerance› und ‹Tone at the top› nicht nur Floskeln sind», so Bischof.

Verstösst jemand in grossen Unternehmen gegen Compliance-Regeln, steht schnell einmal das ganze Unternehmen im Fokus der Öffentlichkeit. Mittendrin die General Counsels, Sparringspartner, Unternehmensgewissen. Dann geht es vor allem darum, das Unternehmen möglichst unbeschadet aus dem Sturm zu manövrieren. Auch für CS-General-Counsel Romeo Cerutti dürften wieder abwechslungsreichere Zeiten kommen, wenn sich die aktuellen Stürme gelegt haben.