Herr Müller, das Jahr versprach von Anfang an harzig zu werden. Ihr Fazit zum Ende des ersten Quartals?
Das Jahr wird schwierig, noch herausfordernder als erwartet. Wir werden die Exportzahlen für März erst am 17. April erfahren. Ich erwarte aber, dass diese den negativen Trend von Ende Februar fortschreiben. Das Minus betrug da gegenüber Vorjahr 8,2 Prozent. Und diese neue negative Entwicklung wird sicherlich nicht helfen, den langfristigen negativen Trend umzudrehen.
Im Gegenteil, der dürfte sich nun noch verstärken: Präsident Trump verteuert Schweizer Uhren mit 31 Prozent Zoll.
Das ist eine weitere sehr schlechte Nachricht für eine Industrie, die schon mit einem schwächelnden chinesischen Markt, einer komplizierten geopolitischen Situation und einem starken Franken zu kämpfen hat. Mit den extrem hohen Einfuhrzöllen wird der grösste und stark wachsende Exportmarkt – die USA – sicherlich von seiner Dynamik verlieren.
Mittlerweile hat Trump den meisten Handelspartnern der USA, unter anderem der Schweiz, eine Verschnaufpause von 90 Tagen eingeräumt. Bundesrat Parmelin und Bundespräsidentin Keller-Sutter sind beim amerikanischen Präsidenten vorstellig geworden. Wie schätzen Sie die Situation mit den vorläufig nur 10 Prozent Zusatzzoll ein?
Das wird sicherlich helfen, die Situation zu entschärfen. Aber ob das genügt, um den Markt wieder so zu drehen, dass die Konsumenten wieder volles Vertrauen schöpfen, wage ich zu bezweifeln. Nehmen wir das Positive und bleiben wir wachsam, denn Trump bleibt unberechenbar.
Herrscht Panik?
Es gab durchaus recht aufgeregte Aktionen seit vergangener Woche: Falls die Zahlen für März weniger schlecht ausfallen, als zu erwarten ist, hat das damit zu tun, dass die Marken, die Trumps Zölle antizipiert haben, ihre Exporte in Richtung USA frühzeitig erhöht haben. Alle Marken haben sich auch in den letzten Tagen beeilt, noch vor der offiziellen Einführung der neuen Zollrechte möglichst viele Uhren in die USA zu schicken. Deshalb dürften die Zahlen im April auch besser aussehen. Aber sie werden keine Trendumkehr bewirken.
Das heisst?
Ich habe in fast drei Jahrzehnten in dieser Industrie noch nie so eine Krise erlebt. Das wird noch viel heftiger werden als bisher. Was viele immer noch nicht begriffen haben, ist, dass die amerikanische Regierung ihren Druck aufrechterhalten wird. Die Unsicherheit, die dadurch entsteht, bedeutet, dass man nicht planen kann, weil man nicht weiss, was in der nächsten Woche oder im nächsten Monat passiert. Das ist wie in einem Schiessstand, in dem die Zielscheibe dauernd verschoben wird.
«Und die Amerikaner werden weiterhin reisen und hoffentlich weiterhin Uhren kaufen, wenn sie in Europa oder Asien unterwegs sind», schätzt Experte Müller ein.
Wie wird die Branche mit der 31-Prozent-Strafe umgehen?
Zuerst einmal muss man dazu bemerken, dass die Uhren nicht auf den Endverkaufspreis, sondern auf den Einfuhrwert um 31 Prozent höher belastet werden. Und das wird eine Nettopreiserhöhung von elf bis zwölf Prozent mit sich bringen – bei einer Luxusuhr über 100’000 Franken zu verkraften, bei einer 1000-Franken-Uhr wird wahrscheinlich der eine oder andere dankend absagen. Nun zur Frage, was die Marken dagegen tun können: möglichst viele Uhren in die USA schicken, bevor die Strafzölle umgesetzt werden, aber das ist natürlich nur kurzfristig. Längerfristig muss sich jeder überlegen, wie er seine Kunden noch besser bedienen kann, in den USA und anderswo. Und die Amerikaner werden weiterhin reisen und hoffentlich weiterhin Uhren kaufen, wenn sie in Europa oder Asien unterwegs sind.
Unsicherheit aufseiten der Käufer und Verkäufer – wie wird das Jahr enden?
Mit einem Minus von sechs bis acht Prozent gegenüber Vorjahr, was allerdings immer noch besser wäre als das Jahr 2019, vor Covid. Leider werden die Volumen massiv einbrechen. Ich erwarte, dass wir da etwa auf den Endstand von 2020 kommen werden, mit nur gerade 14 Millionen exportierten Uhren. Das wäre dann ein Minusrekord seit dem Zweiten Weltkrieg – mit ganz schlimmen Konsequenzen für die Zulieferer.
Schlimm, aber nicht nachhaltig, oder? Bis jetzt ist es schliesslich noch jedes Mal nach einer Krise wieder gut gekommen.
Unsere Industrie existiert jetzt schon seit fünf Jahrhunderten, und wir haben schon viele Krisen überlebt, auch dieses Mal wird sich unsere Resilienz durchsetzen. Wer überlebt, wird gestärkt aus dieser Krise kommen. Nachhaltige negative Folgen erwarte ich vor allem für unsere Zulieferer.
Wann rechnen Sie mit Besserung?
Ich erwarte mit den aktuellen Umständen keine signifikante Verbesserung vor dem zweiten Halbjahr 2026. Bis dahin müssen wir lernen, mit Ungewissheit zu leben.
Sie beraten Uhrenhersteller: Was ist Ihr bester Rat?
Seinen Kundenbeziehungen noch mehr Sorge zu tragen und wach zu sein. Wenn sich irgendwo eine Marktopportunität ergibt, sollte man nicht zögern. Und vor allem positive Botschaften aussenden. Die Bad News übernehme ich als Industrie-Analyst.
Ihr Eindruck von der Watches and Wonders?
Zur Eröffnung schien die Stimmung recht entspannt. Spätestens seit der Ankündigung der amerikanischen Strafzölle war es um die Coolness einiger CEOs aber geschehen, was einerseits verständlich ist, anderseits beweist, dass die Entspanntheit des Anfangs gespielt war. Zudem gab es einige sehr interessante Produktneuheiten, von denen ich zwei hervorheben möchte: Erstens die Land-Dweller von Rolex. Das komplett neue mechanische Werk hat mehrere Jahre Entwicklungszeit beansprucht und ist definitiv ein Gamechanger für die ganze Industrie. Rolex ist jetzt in Sachen Präzision mindestens gleichauf mit Omega und deren koaxialer Hemmung. Nun wird Rolex ihre Dominanz zusätzlich festigen.
Die andere herausragende Neuheit ist die Solaria von Vacheron Constantin, die mit 41 mechanischen Komplikationen die komplizierteste Armbanduhr der Welt ist. Die Marke hält übrigens auch den Rekord der kompliziertesten Taschenuhr der Welt mit 63 Komplikationen.
Und jetzt mal abgesehen von Marken und ihren Chefs?
Man merkte, dass sich fast alle Marken mehr anstrengen, um den Besuchern während der Publikumstage eine tolle Zeit an der Messe zu bieten. Die ganze Veranstaltung ist schon seit je auf einem sehr hohen qualitativen Niveau, aber jedes Jahr wird es noch ein bisschen besser.
Was hat Sie enttäuscht?
Dass die Swatch-Group-Marken und andere wie Breitling, Richard Mille oder Audemars Piguet nicht mitmachen. Es gibt gewiss viele Gründe, die man geltend machen kann, um der Veranstaltung fernzubleiben. Aber alle Marken sollten sich bewusst sein, dass die Watches and Wonders eine tolle Vitrine ist für eine ganze Industrie. Dieses Jahr waren 60 Marken dabei. Plus noch 70 an der «Time to Watches» in einer Villa gleich nebenan. Plus noch etwa 60 weitere Marken, die verteilt über die ganze Stadt Genf im Rahmen der «Watch Wonder Week» ihre Türen öffneten und ihre Zeitmesser zeigten. Das sind immerhin fast 200 Marken, aber immer noch viel weniger als an der Baselworld, die 2019 letztmals stattgefunden hat. Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren an der Watches and Wonders 150 Marken haben werden.
Warum?
Je mehr Marken ausstellen, umso repräsentativer wird die Messe und umso mehr Leute wird sie anziehen. Vor allem in schwierigen Zeiten muss man Einigkeit zeigen und gute Stimmung verbreiten.