Der beispiellose Höhenflug in der Pandemie, wo die Nachfrage nach Luxusuhren keine Grenzen kannte und die Zeitmesser als Anlagetools Karriere machten, mit zuweilen total abgehobenen Preisen, hat mit dem Ausbruch der Ukraine-Krise abrupt geendet. Zu bedrohlich die Lage, zu ungewiss die Zukunft – sodass selbst einem der grössten Optimisten in der Branche mulmig geworden ist. Anfang August hat Philipp Man, Co-Gründer und CEO einer der grössten Online-Uhrenplattformen, Chronext, 40 seiner knapp 150 Mitarbeitenden entlassen. Warum? Was geschah dann? Man erzählt hier in seinem ersten Interview nach der grossen Ernüchterung.
Herr Man, Sie haben vor ein paar Wochen Knall auf Fall einen Viertel Ihrer Belegschaft entlassen. What happened?
Wir sind fast zehn Jahre auf einer sehr steilen Kurve nach oben unterwegs gewesen, bis auf ein, zwei Quartale hat unserem Geschäft nichts, was sich in der Welt abgespielt hat, wirklich wehgetan. Als der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, wussten wir aber sofort, dass das einschneidend sein wird, und haben alles vorgekehrt, um Chronext langfristig zu sichern – und um Luft zu haben, durch diese schwierige Phase zu gehen.
Konkret?
Der Höhenflug ist gebremst, die Volumen sind kleiner. Es war rasch klar, dass wir uns etwas konservativer aufstellen müssen, was recht hart war. Es macht natürlich viel mehr Spass, Vollgas zu geben. So gesehen würde ich unsere Situation beschreiben als: Wir sind gerade dabei, erwachsen zu werden. Das zeigt sich auch in unserer Strategie.
Wie stark gebremst?
Zahlen gebe ich keine. Aber es war einschneidend. Nun nehmen wir an, dass das Schlimmste durch ist. Die Preise, die spekulativ hochgetrieben worden sind, haben je nach Modell 30 bis 40 Prozent nach unten korrigiert. Der Rolex-Markt erholt sich leicht und die Nachfrage zieht wieder an. Aber dieser Sommer war deutlich schwächer als der letzte. Wie lange es noch dauern wird, bis das Geschäft wieder richtig Fahrt aufnimmt, wissen wir nicht.
Was ist mit der Milliarde Umsatz, die Sie letzten Winter noch als Ihr nächstes grosses Ziel für in fünf Jahren angegeben haben?
Eine Milliarde Umsatz ist für uns nach wie vor drin, irgendwann. Zuerst einmal geht es nun darum, uns solide aufzustellen und nachhaltig profitabel zu arbeiten.
In Zahlen?
Wie der Umsatz 2022 aussehen wird, dazu machen wir grundsätzlich keine Angaben. Was ich aber sagen kann: nächstes Jahr wollen wir erstmals das volle Jahr profitabel zu sein im einstelligen Prozentbereich.
Das steht auch schon länger auf Ihrer Liste …
Wir haben es noch nie richtig versucht, uns war Wachstum immer wichtiger als Profitabilität, das ist das grosse Umdenken, das derzeit in uns vorgeht. Für uns als Unternehmen ist es der richtige Schritt. Wir haben ein Superteam, das nun sagt, wir sind lange Formel 1 gefahren, nun nehmen wir es etwas langsamer, aber wir ziehen es durch.
Erstens kam es anders und zweitens als Sie dachten?
Mir gefällt das Zitat des Rappers Drake besser: Tables turn, bridges burn, you live and learn. Das Leben verläuft nicht linear, das eines Unternehmers schon gar nicht.
Sie machen sich keine Vorwürfe?
Vorwürfe nicht, aber klar, man hätte das alles schneller machen können. Natürlich haben wir und auch ich Fehler gemacht. Die Strategie, die wir hatten, war die richtige im Kontext zu unseren Zielen und der Zeit. Jetzt haben wir eine Zeitenwende. Das nun zu ändern, war auch wichtig. Hätte man das schneller machen können und sollen? Ja.
Welche Fehler haben Sie gemacht?
Sehr viele und zwei besonders: Erstens haben wir zu viele Dinge gleichzeitig gemacht und zweitens sind wir am Anfang wohl etwas sehr selbstbewusst aufgetreten. Unsere Entschlossenheit und unser Enthusiasmus sind uns als Arroganz ausgelegt worden. Den ersten Fehler, den muss man machen, um daraus zu lernen. Den zweiten würde ich heute vermeiden, indem ich etwas konservativer und ruhiger auftrete.
Welche Schrauben stellen Sie neu in Ihrem Geschäftsmodell?
Der erste Punkt: Wir haben sehr stark in Marketing investiert im Kontext zu unseren sehr grossen Wachstumsambitionen. Und wenn man das Marketing reduziert, muss man ein Gefühl bekommen, was ist richtig, dass man es reduziert, und was nicht. Das ist schwierig. Das andere ist, die Kostenbasis zu kalibrieren und zu optimieren.
Auf Deutsch?
Sich so aufzustellen, dass man für den gleichen Umsatz weniger Geld ausgibt. Das wird uns auch gelingen.
Was ist Ihr Worst Case?
Ich habe keinen. Fakt ist: Man muss einfach realistisch bleiben, vieles basiert auf Annahmen. Wenn sie eintreten, ist es gut. Wenn nicht, muss man sie eben überdenken. Momentan läuft es so, wie wir uns gedacht haben, die Zahlen entwickeln sich so, wie wir das angenommen haben.
Wie viele Uhren haben Sie im Bestand?
Derzeit um die 4000, wenn wir mittelfristig 10’000 schaffen, wäre das gut. Die Chance, das zu haben, was eine Person sucht, steigt mit der Breite des Angebots. Und weil wir unseren Bestand nicht selbst besitzen müssen, haben wir die Möglichkeit, vieles anzubieten, ohne unser Kapital zu treffen.