Mitunter kommt es anders, als man denkt. Das erfuhr Chopard-Chef Karl-Friedrich Scheufele am Start zur Mille Miglia, der weltweit wohl schönsten Rallye mit automobilen Klassikern. Eigentlich wollte er sich auf den Beifahrersitz begeben, er fuhr zusammen mit der Rennfahrerlegende Jacky Ickx, und der sollte natürlich das Lenkrad übernehmen. Doch dieser hatte andere Pläne: «Du fährst», sagte er knapp zum Uhrenpatron. Und als Ickx kurz vor Rom einnickte, wusste der Uhrenpatron, dass sich der ehemalige Star-Rennfahrer offensichtlich nicht allzu unwohl fühlte.
Die Episode verrät einiges über den Co-Präsidenten des Familienunternehmens Chopard. Erstens, dass er ein Mann mit «Benzin im Blut» ist. Klassische Autos sind für ihn nicht etwa trendiges Accessoire oder oberflächliches Marketingvehikel – sie sind seine Passion. Zweitens: Karl-Friedrich Scheufele lässt es sich nicht nehmen, die Rallye selber zu fahren, mit seiner Ehefrau Christine oder mit Jacky Ickx. Drittens: Chopard ist nicht erst heute in die Welt der klassischen Autos eingetaucht, man ist seit bald 40 Jahren an der Mille Miglia dabei.
Dass aus der ersten Fahrt mit Ickx rasch eine Freundschaft entstehen würde, konnten die beiden Männer zunächst nicht ahnen. Doch dieses Jahr wird sie in Form einer Sonderedition für alle offenkundig: Chopard legt als Hommage an den Rennfahrer das Modell Mille Miglia Classic Chronograph Jacky Ickx auf – und zwar in einer auf 250 Stück limitierten Serie in Stahl sowie einer in 50 Exemplaren aufgelegten Version in Stahl und ethischem Gelbgold.
Traditionell bringt die Verbindung der Marke mit der «Mutter aller Autorennen» für jede Ausgabe eine spezielle Chopard-Mille-Miglia-Uhr hervor, stets mit Design-Hinweisen auf die vierrädrige Mechanik. Beispielsweise mit einer Gangreserveanzeige, die an die Benzinuhr im Auto erinnert. Oder mit einem Datumsfenster, das in einem Mille-Miglia-Richtungspfeil platziert ist. Furore machte die Marke, als sie Uhrenbänder mit Reifenmuster einführte – ein solches ist auch beim neuen Jacky-Ickx-Modell zu sehen: Erstmals gibt es hier das berühmte Kautschukarmband mit Dunlop-Profil auch in Mitternachtsblau. Der Boden der Uhr zeigt den blauen Helm von Jacky Ickx.
Auch das hat seinen Hintergrund: Ickx war 1969 der erste Rennfahrer, der einen Integralhelm trug, ab 1972 mitternachtsblau lackiert. Weitere Kennzeichen waren ein zweigeteiltes Visier sowie weisse Streifen, was den Helm wie eine Eule aussehen liess. Das Design geriet zum Erkennungszeichen von Jacky Ickx – und der «Eulenhelm» ist jetzt als Bild auf dem transparenten Gehäuseboden verewigt.
1000 Meilen
Zurück zur Mille Miglia. Ihren Namen hat sie, weil die Rallye von Brescia nach Rom und zurück über 1600 Kilometer führt. Oder eben über 1000 Meilen. Der Name wäre von den Faschisten seinerzeit beinahe verboten worden, wie im Museo Mille Miglia in Brescia zu erfahren ist: Die Sockenhalter von Benito Mussolini fanden, der Begriff Meilen sei ein unitalienischer Yankee-Import. Doch Giovanni Canestrini, Mitbegründer der Mille Miglia, parierte geschickt: Italien habe das Wort nicht importiert, sondern im Gegenteil erfunden. «Schon die alten Römer haben Entfernungen in Meilen gemessen», notierte er, «wir folgen also einer alten Tradition.»
1927 fand die erste Ausgabe statt, sie wurde bis 1957 jährlich als abenteuerliches Strassenrennen durchgeführt. Dann war – nach einem tragischen Unfall – Pause bis 1977, als man das Rennen als Klassik-Rallye wiederbelebte. Seither wächst die Faszination.
Auch für Karl-Friedrich Scheufele, der schon immer ein Faible für schöne alte Autos hatte – und eine entsprechende Sammlung. Man weiss, dass darunter Preziosen sind wie ein weinroter Porsche 356 Speedster 160 von 1954, ein himbeerroter Flügeltürer-Mercedes 300 SL, Baujahr 1954, oder ein weisser Bentley 4,5 Litre von 1929. Ab und zu setzt sich der Chef auch ans Lenkrad unkonventioneller Fahrzeuge, zum Beispiel auf einen roten Porsche-Junior-Traktor mit Ein-Zylinder-Dieselmotor von 1958. Und sein allererstes Auto, dies nebenbei, war ein postautogelbes VW-Käfer-Cabriolet.
Im erwähnten majestätischen Bentley schrammte der Chef an der Mille Miglia von 1994 an der Katastrophe vorbei – zusammen mit seiner damaligen Verlobten Christine, die auf dem Beifahrersitz sass. Schon zuvor war Scheufele aufgefallen, dass die Bremsen nicht sehr gut arbeiteten, in einer bergigen Haarnadelkurve wäre das Paar mitsamt Auto beinahe in den Abgrund gestürzt – erst in letzter Sekunde kam der Bentley zum Stillstand. Der Wagen war zwar frisch restauriert, allerdings nicht eben fachgerecht, wie sich herausstellte: Öl war auf die Bremsbeläge geraten, was ihrer Entschleunigungswirkung nicht gerade förderlich war. Dazu war eine Schraube in die Getriebekulisse gefallen und hatte den Ganghebel blockiert – damit fiel auch noch die Motorbremse aus. «Man kann heute darüber lachen», sagt Karl-Friedrich Scheufele, «aber wir sind wirklich erst einen Meter vor dem Abgrund stehen geblieben.»
Vertrag per Handschlag
Seine Verlobte nahm ihm die Panne offensichtlich nicht übel, denn einen Monat später heiratete das Paar. Und auch Scheufele verlor nicht die Freude am Anlass – er hat weiterhin kein Rennen verpasst. Ohnehin darf der Chopard-Chef für sich in Anspruch nehmen, ein Pionier gewesen zu sein. Er gehörte zu den Allerersten, welche die Welt der klassischen Automobile auch als Kommunikationsplattform für eine Uhrenmarke nutzten.
Schon 1988 stieg er als Sponsor bei der Mille Miglia ein – man besiegelte die Formalitäten per Handschlag. Bereut hat er es nicht. Was am Anfang vielleicht eine finanzielle Bürde war, macht sich für die Marke Chopard schon längst bezahlt, wie Scheufele bestätigt: Untersuchungen hätten belegt, dass der Bekanntheitsgrad der Uhren weit über Oldtimer-Enthusiasten hinausreiche und zunehmend auch jüngere Kunden begeistere. «Die Mille-Miglia-Uhrenkollektion hat uns massgeblich geholfen, Chopard auch als Herrenuhr zu etablieren», analysiert der Chef im Rückblick. Und sie sei nach wie vor «ein erfolgreicher und fester Bestandteil der Welt von Chopard».
Rekordhalter der Mille Miglia, dies als Nachtrag, ist seit 1955 der Brite Stirling Moss. Er fuhr die 1000 Meilen in rund zehn Stunden oder mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 157,6 Kilometern pro Stunde. Dies auf einer Strecke, die mitten durch Dörfer führte, an Bauernhäusern mit Hühnern und Ziegen vorbei und über mitunter unbefestigte, schlechte Strassen. Sein Beifahrer Denis Jenkinson, genannt «Jenks», hatte die Strecke genau rekognosziert und sich Anweisungen auf eine Papierrolle notiert, die er während des Rennens einfach vorspulen konnte. Mit Handzeichen gab er im lauten Wagen Anweisungen. Die Rolle war satte fünf Meter lang. Karl-Friedrich Scheufele, niemand wird überrascht sein, besitzt eine Kopie davon.
Seine Passion für Autos quittiert Ehefrau Christine übrigens gerne mit Humor: «Solange seine Freundinnen vier Räder haben», pflegt sie zu sagen, «ist für mich alles in Ordnung.»