Es geht hier um eine Familiengeschichte. Und sie reicht weit zurück – bis zu Papst Leo XIII. und Irénée Aubry, einem Uhrmacher aus den Freibergen, der dem Pontifex 1887 eine aussergewöhnliche Uhr baute: Sie hatte 40 Tage Gangreserve, damals eine Meisterleistung. Aubry, der auch der Schöpfer der Hebdomas-Uhren mit acht Tagen Gangreserve war, erhielt zur Belohnung ein Silberkreuz in den päpstlichen Farben, welches er «öffentlich tragen durfte», wie die Zeitung «L’Impartial» später vermerkte.
Diese Taschenuhr mit der aussergewöhnlichen Gangreserve machte Irénée Aubry zu einer zentralen Figur in der Familiengeschichte. Und das kam so: Die Aubrys heirateten in die Von-Gunten-Familie ein, und ein paar Generationen später brachte die Familie einen Mikrotechnik-Ingenieur hervor, Stéphane von Gunten, der in Le Locle ausgebildet wurde und wie sein Vorfahre über ein beeindruckendes Know-how verfügt. Unter anderem war er 13 Jahre lang technischer Direktor von Ulysse Nardin, wo er ein paar schöne Entwicklungen vorantrieb, darunter auch hochfliegende Weiterentwicklungen des Modells Freak.
Auf dem Höhepunkt kam die Wende
Stéphane von Gunten stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als ihn der Ruf von Irénée Aubry ereilte – via Telefon. Der Anruf kam von einem Cousin, einem Journalisten aus Südfrankreich, Autor eines Artikels über die besagte Uhr. Es sollte für Stéphane von Gunten eine Art Weckruf werden. Er verschlang den Artikel, nahm ein Foto des Uhrwerks unter die Lupe und rekonstruierte das Kaliber am Computer im Reverse-Engineering-Modus. Er wollte «verstehen, was das Besondere an der Uhr war» und wie sein Vorfahre gearbeitet hatte.
Da die Architektur des Kalibers «einfach und ohne Komplikationen» war, kam er zum Schluss, dass Irénée Aubry ein Genie für die Optimierung jedes noch so kleinen mechanischen Details gewesen sein musste. Von Gunten leitete damals ein Team von rund 100 Mitarbeitern beim Zeigerhersteller Universo, doch aus seiner Einsicht über die päpstliche Uhr machte er einen Sprung nach vorn und gab seine Karriere für die Selbstständigkeit auf, um seine eigene Uhr zu bauen.
Der Wunsch dazu brannte ihm schon seit einiger Zeit unter den Nägeln, da er ein wenig müde von den Kompromissen in einer Manufaktur war. Seine Uhr, die selbstverständlich nicht in der Tasche, sondern am Armband getragen wird, hat eine Gangreserve von 1000 Stunden – das sind exakt 41,666 Tage, etwas mehr als die famose Uhr des Papstes. Das sei sozusagen seine Art, «die Familienfackel zu übernehmen» und sie einen Schritt weiter zu tragen.
Die Technik ist präsent, unaufdrnglich präsent
Die Technik ist nicht aufdringlich, aber präsent. Man weiss, Stéphane von Gunten wiederholt es gerne, dass es eine grosse Herausforderung ist, bei den Abmessungen einer klassischen, schlanken und eleganten Uhr eine Gangreserve von 1000 Stunden zu erreichen. Die Feder des Federhauses ist zum Beispiel über drei Meter lang, und das Drehmoment zum Spannen der Feder ist eine grosse Komplikation an sich.
Weitere Punkte: Das Federhaus wird über die Lünette, geriffelt wie bei der Papstuhr, aufgezogen. Und das erste Räderwerk beginnt nicht bei der Trommel des Federhauses, sondern an seiner Welle – wieder, man ahnt es, wie bei der Papstuhr. Irénée hatte sich für eine zentrale Sperrklinke entschieden, Stéphane für ein grosses Differential, das gut sichtbar auf der Seite des Zifferblatts angebracht ist – aus Spass an der Technik, man soll nicht alles kopieren, findet er.
Patrik Hoffmann von Watchbox ist mit an Bord
Für die Konstruktion war Stéphane von Gunten auf sich allein gestellt, für die Realisierung zog er eine Handvoll Freiberufler bei, und für die Finanzierung wandte er sich zunächst an die Banken: «Ich habe aber bald realisiert, dass es da keine Chance gibt, wenn man noch nichts verkauft hat.» Dann wandte er sich dem Privatkapital zu. Patrik Hoffmann, ehemaliger Geschäftsführer von Ulysse Nardin, Leiter der Schweizer WatchBox und unabhängiger Unternehmer sowie Investor, stieg in das Kapital ein und holte weitere Investoren ins Boot. Darunter ist Saboo Yashovardhan, Leiter des indischen KDDL-Konzerns sowie Eigentümer von Ethos, dem grössten Uhreneinzelhändler Indiens.
Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».