Jean-Frédéric Dufour spricht kaum öffentlich. Niemals in seiner Funktion als Chef von Rolex – ein heiliges Prinzip der Marke mit der Krone. Und nur ganz selten in seiner Rolle als Präsident der Stiftung, welche die Genfer Uhrenmesse Watches and Wonders ausrichtet. Aber wenn er spricht, dann hat das Gewicht. Wie jüngst in einem Interview mit «Le Temps». Da sprach er über die Öffnung der Messe gegenüber neuen Marken und für die Öffentlichkeit. Dufour sagte: «Plus on est de fous, plus on rigole.» Zu Deutsch in etwa: «Je mehr Verrückte da sind, desto lustiger wird es.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Es ist eine beinahe programmatische Ansage für eine Branche, die sich vornehm zurückhaltend vor Verrücktheiten jeglicher Art drückte und fast erstarrte vor lauter Ehrfurcht vor ihrer langen Tradition und ihrem Jahrhunderte umspannenden Erbe.

Aber: Dufours Ansage, die durchaus als Appell verstanden werden darf, ist nötiger denn je. Denn die Umwälzungen im Geschäft mit Uhren sind gewaltig. Erstens, weil die Käuferinnen und Käufer immer jünger werden; ein Viertel der immerhin 70 Franken teuren Eintrittskarten für die Genfer Uhrenmesse wurde an Menschen verkauft, die jünger als 25 Jahre sind. Zweitens, weil der Markt immer digitaler wird – und immer stärker vom Handel mit gebrauchten Uhren geprägt wird. Heute schon gilt er als grösser als das Geschäft mit neuen Uhren, mit dem allein die Schweizer Marken gegen 24 Milliarden Franken generieren. Und er wird in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach schneller wachsen.

Das Alte stärkt das Neue

Marken wie Rolex, Audemars Piguet, Jaeger-LeCoultre und Cartier haben das erkannt und investieren ins Secondhandgeschäft. Sie nehmen es selbst in die Hand oder verbünden sich mit ihren Händlern oder Occasionsspezialisten. Andere Marken wiederum – unter den Grossen insbesondere Omega – verhalten sich zögerlich bis ablehnend.

9,3 Milliarden Franken

Umsatz hat Rolex im Jahr 2022 mit neuen Uhren gemacht.

29,2 Prozent

beträgt der Marktanteil von Rolex im Geschäft mit Schweizer Uhren.

Dabei sollte mittlerweile jedem Uhrenmanager – Frauen an der Spitze von Marken gibt es immer noch kaum – klar sein: Die Zukunft einer Marke hängt längst nicht mehr nur davon ab, wie die Neuheiten vom Markt aufgenommen werden. Sondern auch und immer stärker davon, wie die aktuellen und früheren Kollektionen auf den Marktplätzen für gebrauchte Uhren performen. Steigen die Preise im Secondhandgeschäft über das Niveau der gleichen Uhren in der Neuwarenboutique, ist das der Ritterschlag für eine Marke. Wie die Warteschlange vor einem angesagten Nachtclub, zeigen Preise «above retail» an, dass die Nachfrage nach einer bestimmten Uhr stärker ist als das Angebot.

Für den Nimbus einer Marke ist es also von höchster Relevanz, ob ihre Oldtimer im Wert steigen oder – was bei Autos und Uhren die Regel ist – sinken. Schliesslich sind Uhren neben Statussymbolen und Liebhaberobjekten längst auch zu Wertanlagen geworden. Und Wertanlagen, deren Wert sinkt, verdienen ihren Namen nicht.

Der Effekt der grünen Daytona

Den Goldstandard definiert da, genau wie im Geschäft mit neuen Uhren, Rolex. Kaum ein Modell der Genfer Marke wird, wie die Daten von Watchcharts unterstreichen, unter seinem Neupreis gehandelt. Selbst angesehene Rivalen wie Audemars Piguet oder Patek Philippe schaffen das nur mit einzelnen Modellen, nicht aber in der Breite von Rolex.

Sicher: Auch die Preise für gebrauchte Rolex-Uhren sind im letzten Jahr erheblich unter die Räder gekommen, im Gleichklang mit dem Abschwung auf dem Gesamtmarkt (siehe Grafik). Aber die leichte Erholung, die die Daten von Watchcharts – sie umfassen ein Portfolio der sechzig am häufigsten gehandelten Uhren verschiedener Marken in diversen Preisklassen – für die letzten Wochen anzeigen, verdeutlichen eben doch die Sonderstellung von Rolex.

Grafik Secondhand-Uhren

Daytona John Mayer: Dieses Rolex-Modell hat den Gesamtmarkt gehoben.

Quelle: watchcharts.com

Denn das Plus ist nicht Ausdruck dafür, dass sich der Occasionsmarkt vom Platzen der Blase durch den Zerfall des Bitcoins erholen würde. Denn noch immer tendieren die Preise für die allermeisten Marken ab- oder bestenfalls seitwärts.

Das Plus hängt fast ausschliesslich damit zusammen, dass sich ein wichtiges Modell von Rolex – eine goldene Daytona mit grünem Zifferblatt, die nach dem bekannten amerikanischen Sänger auf den Spitznamen John Mayer hört – um mehr als 12 Prozent verteuert hat. Hintergrund des Ganzen: Rolex-Chef Dufour hat an der von ihm präsidierten Messe Ende März verkündet, die Produktion dieser spezifischen Uhr einzustellen. Und das hat sich sofort auf die Preise auf dem Secondhandmarkt ausgewirkt, den ganzen Markt bewegt. Hamza Masood von Watchcharts hat konkrete Zahlen: «Während der aktuelle Marktpreis der grünen Daytona bei rund 72’000 Dollar liegt, verlangen viele Verkäufer für diese Variante inzwischen sechsstellige Beträge. Und mehrere Ebay-Angebote von durchaus seriösen Verkäufern wurden zuletzt für über 90’000 Dollar realisiert.»

Das Beispiel zeigt: Selbst kleine Entscheidungen von Jean-Frédéric Dufour haben Einfluss auf einen Markt, der – bei aller Dominanz der Krone – doch umfassender ist als Rolex allein. Wer das als Marke schafft, hat gewonnen.

Rolex und Co.: Warum Luxus-Secondhand-Uhren immer günstiger werden

Alle weiteren Folgen von «Handelszeitung Insights» finden Sie hier.

BILANZ Watches Newsletter abonnieren
Erhalten Sie jeden Freitagnachmittag unseren BILANZ Watches Newsletter und erfahren Sie alles über aussergewöhnliche Zeitmesser, die Macherinnen und Macher hinter den Marken, Branchengeflüster und Trends.
BILANZ Watches Newsletter abonnieren