Frau Borowski, wofür steht eigentlich die Marke Nomos?
Wir hören auch aus dem Handel, dass wir mit unseren Uhren gut in der Zeit liegen. Wir stehen für demokratischen Luxus und moderate Preise, das passt. Unsere Uhren sind nicht ostentativ, nicht überbordend, nicht extrem gross, nicht extrem bunt. Und sie sind im Grossen und Ganzen für eine grosse Gruppe von Menschen erschwinglich.
Nämlich?
Das geht in der Regel von 1000 bis 4000 Euro. Der Schwerpunkt liegt bei 3000 bis 3500 Euro.
Sie bleiben dieser Preisspanne treu?
Ja, wir fühlen wir uns da sehr zu Hause. Wir machen es bei Nomos tatsächlich so, dass wir die Preise kalkulieren und nicht einfach irgendetwas in die Luft werfen und schauen, wie viel wir dafür verlangen könnten. Wir berechnen, was an Arbeitszeit und Material in einer Uhr steckt.
Sie haben auch Golduhren im Angebot. Wie ist da die Akzeptanz?
Die Golduhren für 7000 bis 9000 Euro sind sehr gut gefragt. In der Preiskategorie über 12’000 Euro haben wir es nicht ganz so leicht.
Und wie hat es Nomos mit den Damenuhren?
Wir sind nicht so Fan von Stereotypen-Gestaltung, also zum Beispiel von etwas Rosarot mit Diamanten oder Comic-Figuren für Frauen. Das würde nicht zu Nomos Glashütte passen. Als Marke sind wir im Bauhaus-Design gut aufgehoben, wir arbeiten nach den Regeln vom Deutschen Bauhaus und vom Deutschen Werkbund, da verbieten sich gewisse Dinge. Das heisst, wir sind im Design, wie man heute neudeutsch sagt, genderneutral.
Also keine Damenuhren?
Unsere Uhrenfamilien sind vom Design her kongruent. Unterschiedlich sind hingegen die Grössen, einfach weil auch die Menschen unterschiedlich gross sind. Wir haben Damenuhren in dem Sinne, dass wir unsere Serie 33 im 33-Millimeter-Gehäuse haben. Und dann haben wir unsere quadratische Uhr Tetra, schon seit 1993 ein Erfolgsmodell. Es gehört zu den meistverkauften nichtrunden Uhren überhaupt. Die Tetra gilt durchaus als Damenuhr, sie wird zu 95 Prozent von Frauen gekauft.
Das fördern Sie?
Für das Modell gibt es klassischerweise alle zwei Jahre eine neue Kollektion mit Farben, die wir für richtig halten. Damit versuchen wir, mehr Frauen anzusprechen. Aber wir suchen nach Farben, die ein bisschen von Dauer sind, sie sollen nicht nur zu einer Bluse passen.
Wie viele Kundinnen haben Sie?
Wir verkaufen zwischen 30 und 40 Prozent an Frauen. Ganz eindeutig ist das nicht, weil es auch Uhren gibt, die gekauft werden, um verschenkt zu werden. Aber mit 30 Prozent liegen wir sicher nicht zu hoch. Und der Anteil wächst.
Nomos hat sich politisch gegen rechts aussen engagiert. «Wir ticken international. Nein zu rechtem Gedankengut», hiess es zum Beispiel auf einem Transparent, welches die Marke an die Manufakturfassade hängte. Wie waren die Reaktionen?
Ich finde, es hat sich gelohnt. Aber wir haben natürlich in den sozialen Netzwerken und per Post auch böse Kommentare bekommen. Es ging damals um einen Ableger der Pegida und um einen Streit in Glashütte, wo 26 geflüchtete Menschen untergebracht werden sollten. Wir sind bei Nomos der Ansicht, dass wir als Unternehmen, das seine Produkte in 52 Länder weltweit verkauft, nicht fremdenfeindlich sein dürfen, schon aus geschäftlichen Gründen nicht. Weil wir als Geschäftsführer auch Gesellschafter sind, können wir uns die Freiheit nehmen zu sagen, dass wir in unserem Unternehmen Toleranz und Weltoffenheit leben wollen.
Akzeptieren dies die Mitarbeitenden? Glashütte hatte gegen 40 Prozent AfD-Wähler, darunter sicher auch Nomos-Mitarbeiter. Wie regieren die?
Wir feuern niemanden. Und wer in Glashütte arbeiten will, hat tatsächlich freie Auswahl. Es gibt zurzeit neun Unternehmen, die Uhren bauen. Und wenn nicht gerade Corona die Aktivitäten beschränkt, stellen diese Unternehmen permanent Leute ein, wir haben in Glashütte eine Arbeitslosenquote von nahezu null. Wer also der Meinung ist, die bei Nomos spinnen ein bisschen, der kommt vielleicht nicht unbedingt zu uns.
Sie führen auch Workshops für das Personal durch. Funktioniert das in einem Teil des Landes, das bis zum Mauerfall politische Schulungen in Unternehmen kannte?
Es gibt nicht nur Applaus. Und es gibt natürlich Vorurteile, obwohl diese DDR-Erfahrung meist nicht persönlich gemacht wurde, sondern eher tradiert ist von den Eltern oder so. Aber wir machen ja keine Schulungen – die Workshops sind eher ein Training. Es geht zum Beispiel um Hate Speech im Netz. Oder darum, wie man damit umgeht, wenn seine Kinder in den sozialen Netzwerken gemobbt werden, wie man herausfinden kann, aus welcher Quelle ein Bild stammt, wie man einen Faktencheck durchführt. Die Workshops veranstalten wir mit anderen Unternehmen zusammen, zum Beispiel mit der Ufa, mit Volkswagen, mit der Deutschen Bahn, mit der Deutschen Bank, Evonik – es sind sehr viele Unternehmen dabei. Wir konnten Nomos in Ostdeutschland erst nach dem Mauerfall gründen, vorher, ohne Marktwirtschaft und Demokratie, wäre das ja nicht möglich gewesen. Ohne Demokratie würde es Nomos nicht geben, diese historische Erfahrung steckt uns in den Knochen.
Apropos Politik: Im Bundestag ist die meistgetragene Uhr eine Nomos Tangente. Haben Sie die Politiker speziell beworben?
Nein. Es ist wahrscheinlich einfach so, dass man als Politiker des Bundestags besser keine Uhr für 50’000 Franken aus der Schweiz trägt. Medien fanden es während der Wirtschaftskrise 2009 etwa auch nicht so toll, wenn CEOs von grossen Unternehmen sehr teure Uhren trugen und gleichzeitig für die Entlassung vieler Menschen verantwortlich waren. In einem ähnlichen Kontext steht vielleicht auch die Uhr im Bundestag. Unsere frühere Kanzlerin wurde immer wieder dafür gelobt, dass sie bescheiden eine Quarzuhr von Boccia für etwa 80 Euro trägt. Die Tangente ist teurer, aber dennoch in ihrer Preisklasse unangreifbar und gleichzeitig ein Qualitätsprodukt Made in Germany. Und nicht nur im Bundestag – auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trägt übrigens eine.
Die Sie ihm geschenkt haben?
Alle Politiker haben ihre Uhren gekauft. Bei einigen wissen wir, dass sie sie als Geschenk erhalten haben. Aber von uns wurde keine einzige verschenkt.
«Wir glauben, dass sich der stationäre Handel zunehmend mit Online verschränken und es viele hybride Formen geben wird.»
Sie hatten sehr früh mit den Internetplattformen Chronext und Chrono24 gearbeitet und waren deshalb aus den Regalen der Juwelierkette Wempe geflogen. Ist der Streit heute vergessen?
Das ist zum Glück beigelegt. Ich würde heute sagen, dass es ein Fehler war, denn wir waren zu früh. Heute aber sehen wir, dass die Hersteller und Fachhändler zunehmend E-Commerce betreiben, auch diejenigen, die ihn lange abgelehnt haben. Wir sind der Meinung, dass es ohne Internet nicht mehr geht. Uns ist daran gelegen, das Internet so gut wie möglich zu bedienen, mit Service, Informationsangebot, kompetenter Beratung und aller Kundenfreundlichkeit, die da möglich ist.
Ihre Strategie?
Wir glauben, dass sich der stationäre Handel zunehmend mit Online verschränken und es viele hybride Formen geben wird. Zum Bespiel kann der Juwelier dank Internet mit einem kleineren Lager arbeiten. Er kann den Kunden durch das Sortiment führen und etwa eine Uhr ohne Datum zeigen, die es aber auch mit Datum gibt. Die eine kann man anprobieren, die andere auf dem Bildschirm anschauen. Wählt der Kunde die Uhr, die nicht an Lager ist, wird sie am nächsten Tag nach Hause geliefert. So bleibt das schöne Einkaufserlebnis erhalten, man hat den Blick in die Augen des Verkäufers, die Haptik der Uhr, spürt ihr Gewicht, sieht, wie sie am Arm wirkt. Die Vorteile des stationären Fachhandels zu nutzen und gleichzeitig mit dem zu verschränken, was Online besser kann, halte ich für sehr sinnvoll. Und das kleinere Lager ist sicher ein Vorteil für den Fachhandel.
Sie gehören in Glashütte zu den wenigen Marken, die nicht in Schweizer Hand sind. Was unterscheidet Sie am stärksten von Schweizer Marken?
Es gibt zunächst viel, was uns verbindet, Glashütte wird häufig als Schweiz im Kleinformat bezeichnet. Die Schweiz ist weltweit der Inbegriff als Herkunftsland guter Uhren, aber auch in Glashütte weiss man, wie man gute Uhren baut. Ein Unterschied hier in Glashütte ist vielleicht, dass Nomos keine Konzernmarke, sondern eine unabhängige Marke ist. Diese Unabhängigkeit ist für Nomos entscheidend – wirtschaftlich, aber auch technologisch. Und dann gibt es noch etwas Weltanschauliches, diese Verbindung zum Deutschem Werkbund und zum Deutschen Bauhaus. Es ist eine sehr deutsche Designsprache, aber sie steht für viel mehr als Design, nämlich für eine Zusammenarbeit von Ingenieuren, Handwerkern und Gestaltern auf gleicher Augenhöhe. Noch augenscheinlicher ist der Preis. Die Schweiz ist ein Hochlohnland, wir sind in Glashütte in der Lage, preiswerter zu arbeiten. Wir machen alle unsere elf Kaliber vor Ort mit einer Fertigungstiefe von gegen 95 Prozent, und ich würde schüchtern, aber auch selbstbewusst sagen: Bei uns gibt es besonders viel Uhr fürs Geld. In der Schweiz baut man auch wundervolle Uhren, mit die wunderbarsten überhaupt, aber die haben ihren Preis.
Wir würden behaupten, das hat nicht nur mit den Lohnkosten zu tun.
Wahr ist: Wir blasen bei der Berechnung der Preise keine Marketingluft rein. Wir haben selbstverständlich auch Marketingkosten, aber diese Handelsspanne ist bei uns sicherlich geringer.
Wie sieht es mit der internationalen Expansion aus?
Wir sind vor allem in unserem Heimatmarkt Deutschland besonders stark, danach kommen die USA als Wachstumsmotor, dann China, wo wir eine Niederlassung in Hongkong und in Shanghai haben, dann Westeuropa. Wir arbeiten uns Stück für Stück vor. Aber wir sind als Marke – auch weil wir im Vergleich zu den Konzernmarken keine gigantischen Marketingsummen aufbringen können – vielerorts etwas für Trüffelschweine. Noch.
Wie viel Prozent macht der Heimmarkt aus?
Die DACH-Region, Deutschland, Österreich und die Schweiz, macht rund 60 Prozent aus. Österreich läuft gut, die Schweiz leider weniger. Aber die hat ja eigene Uhren …
Oder die Schweizer kaufen in Deutschland.
Wir haben tatsächlich in Konstanz eine Fachhändlerin, die Nomos wie geschnitten Brot verkauft. Und ähnlich ist es generell entlang der Grenze. Aber zweifellos ist es auch so, dass Schweizerinnen und Schweizer gerne Schweizer Uhren kaufen. So wie die Deutschen in der Regel ungern japanische Auto fahren. Das kann man auch ganz ohne Emotionen betrachten.
Dieses Interview erschien zuerst bei «Watcharound».