In der Uhrenindustrie braucht man mehr als Fingerspitzengefühl für Mechanik – manchmal wirkt es, als zähle eine Schwäche fürs Rampenlicht genauso viel. Die Führungsriegen der Marken sind schliesslich Erben der Schweizer Meister, die ihre Werke einst selbst an Könige und Kaiser verkauften. Schaut euch die CEOs an: Georges Kern marschiert bei Breitling wie ein Rockstar durch die Messen, Nick Hayek von der Swatch Group lässt Sprüche fahren, die PR-Abteilungen anderswo in Panik versetzen würden. Und in Le Brassus hat François-Henry Bennahmias auch mit Aktionen wie seinem Travis-Scott-Micdrop oder dem GPHG-Kuss Audemars Piguet aus dem Elfenbeinturm geholt.
Viele dieser Marken sind nicht börsennotiert. Kein Aktienkurs zwingt sie, jedes Wort abzuwägen. Das gibt Freiheit, erklärt aber nicht alles. Die Uhrenwelt lebt von Tradition und Emotion – diese Chefs sind mehr als Manager, sie sind Markenbotschafter, oft Provokateure. Ihre Marken brauchen Geschichten, und wer erzählt sie besser als jemand, der laut aus der Reihe tanzt? Kern hat Breitling aus der Mittelmässigkeit geholt, Hayek hält Swatch mit Biss am Leben. Das ist Strategie, kein Zufall.
Ich persönlich finde das grossartig! Das sind keine glatt gebügelten Manager, sondern Unternehmer, die einer Marke ihren Stempel aufdrücken. Für mich ist es absolut Teil der Kaufentscheidung, den CEO hinter der Marke spannend zu finden. Ihre Persönlichkeit haucht dem Produkt zusätzlichen Charakter ein – jenseits von Zifferblatt, Werk und Historie. Sie machen die Marken lebendig und nicht bloss sichtbar. Natürlich kann ich nachvollziehen, wenn Sammler lieber nur die Uhr sprechen lassen und einen zurückhaltenden CEO bevorzugen. Aber als Unternehmer mag ich hier nun einmal befangen sein.
Ich würde mir sogar einen Schritt weiter wünschen, dass auch die Marken unter den grossen Konglomeraten mehr Charakter durch ihre Führungspersönlichkeiten zeigten. Vacheron Constantin. Omega. Marken mit Gravitas. Umso spannender wäre es, wenn ihre CEOs Laurent Perves und Raynald Aeschlimann lauter würden. Noch wichtiger vielleicht: Richard Mille. Die unabhängige Marke mit der lauten Designsprache und einer jungen Fanbase hätte das perfekte Set-up für eine markante Stimme – ob von Richard oder Alexandre Mille oder Peter Harrison. Ich finde es spannend, was jemand zu sagen hat, der eine Marke prägt – und ich glaube, viele andere auch.
Ein glatter CEO passt nicht zu einem Produkt, das Individualität verkörpert.
Die Uhrenbranche ist ein Club, fast ein Zirkel. Hier kennt man sich und trifft sich regelmässig, zum Beispiel an der Watches and Wonders. Die Kundschaft, Sammler und Enthusiasten, giert nach Nähe zu den Machern. Stern plaudert bei Events mit Fans über die Nautilus, Kern postet auf Instagram wie ein Influencer. Ein glatter CEO passt nicht zu einem Produkt, das Individualität verkörpert. Und die alten Familienstrukturen, die in den grossen Uhrenhäusern nicht fremd sind, helfen: Wer sein Unternehmen wie ein Königreich führt, darf den Ton angeben, ohne dass ein Aufsichtsrat zuckt – «Succession» lässt grüssen.
Natürlich hat diese Lautstärke auch Schattenseiten. Elon Musk ist das Extrembeispiel: Er hat Tesla mit null Marketingbudget zu einer der wertvollsten Marken der Welt gemacht – und beschädigt sie jetzt (unter anderem) mit seinem politischen Aktivismus, weil er grosse Teile seiner Kundschaft vergrault. Wenn Persönlichkeit zur Marke gehört, kann sie diese auch gefährden.
Natürlich ist dieser «Silberrücken-Gorilla»-Stil keine Pflicht oder gar ein Erfolgsgarant. Christoph Grainger-Herr, Éric Pirson und Ilaria Resta führen IWC, Tudor und Audemars Piguet mit subtilem Ansatz mindestens genauso erfolgreich. Besonders AP glänzte im letzten Jahr meiner Meinung nach mit dem frischesten Marketing der Branche.
Ilaria Resta macht einen exzellenten Job – ich bin überzeugt, dass sie mit ein paar Jahren an der Spitze die gleiche Markenintegrität aufbauen kann, die Bennahmias verkörpert hat. Und ich würde mich riesig freuen, dann auch einmal eine laute weibliche Stimme in der Branche zu hören. Denn ehrlich gesagt: Die fehlt noch.
Bis dahin bleiben die unangepassten Firmenpatriarchen ein Trumpf – ihre Lautstärke macht die Uhrenwelt bunter und interessanter, ein Kontrast, der anderen Sektoren mit sehr viel Wirtschaftsberatungs-Einheitsbrei an den Spitze fehlt. Denn am Ende verkauft die Uhrenwelt nicht nur Zeit – sondern Haltung. Und manchmal darf die ruhig laut ticken.