Romaric André macht keinen Hehl daraus, dass dies nicht sein erstes Businesskonzept ist. Bevor er Seconde/seconde/ ins Leben rief, hatte er versucht, den Markt mit mechanischen Luxustelefonen aufzumischen. Aber erst mit der Hinwendung auf ein Teilchen der Uhr hat er sich einen Namen gemacht. Er entwirft Zeiger und pflanzt sie ein, wo immer er kann: in viele Vintage-Uhren und auch – bei einigen Kollaborationen – in aktuelle Zeitmesser, etwa der Marke H. Moser & Cie. Oder neuerdings Nivada Grenchen.
Kurz nach seinem Abschluss an der Ecole Supérieure de Commerce in Grenoble stieg André in die Uhrenbranche ein. Dann gelang es ihm, erhebliche Mittel für die Marke Celsius aufzubringen, die ein Tourbillon in ein Telefon integrierte. Er sei getragen gewesen von einer schönen Utopie, wie er sagt: «Es war die Zeit von 2005 bis 2010, in einer Art leichtem Wahn dachten wir, dass die Mikromechanik der Uhrmacherei andere Industrien beflügeln könnte.»
2014 wurde das Projekt endgültig begraben, doch schon hatte Romaric André in die Uhrmacherei hineingeschnuppert und Lunte gerochen. «Ich wollte auf in diese Welt zurück, sowohl in Bezug auf die Produktion als auch auf die Finanzierung. Die Arbeit mit Zeigern ist in gewisser Weise eine Rückkehr durch die Hintertür.» Eine kleine Hintertür, kann man ergänzen, zumal André sich zunächst auf schlichte Vintage-Uhren aus den 1950er und 1960er Jahren konzentrierte.
Variante eins seines Angebots: Der Kunde bringt seine eigene Uhr und bestellt einen Zeiger. Variante zwei: Romaric André sucht die Uhr für seinen Kunden aus, lässt sie revidieren und liefert sie costumized aus. Sein Stil hat einen derart hohen Wiedererkennungswert, dass sich in letzter Zeit Variante drei eröffnet hat: die Zusammenarbeit mit Marken, die mit limitierten Serien punkten wollen.
Die Grundinvestition ist minimal – auch wenn der Stückpreis der Zeiger hoch ist, zwischen 300 und 500 Euro. «Wir mussten den einzigen französischen Zeigerhersteller überzeugen, der in der Lage war, sie auf Mass zu produzieren. Da dessen Aufträge in der Regel aber in der Grössenordnung von 1000 bis 2000 Stück liegen, haben meine Mikroserien von zehn bis zwanzig Zeigern zwangsläufig ihren Preis.»
Dieser Text erschien zuerst bei «Watch Around». Autorin ist Noëmie Ansermet.
Spielerisch, radikal, schockierend
Seconde/seconde/ war 2019 auf der Baselworld zu sehen. Die spielerische Seite des Designs fand ihr Publikum, einige Sammler und Persönlichkeiten aus dem Uhrenkosmos machten Mundpropaganda. «Ich belebe manchmal vernachlässigte Vintage-Uhren auf radikale, sogar schockierende Weise, aber ohne etwas zu zerstören, indem ich einfach einen Originalzeiger austausche – den der Kunde übrigens behält.»
Seit der Markteinführung wurden mehrere Dutzend Zeigerdesigns entwickelt, «und sie sind jeweils philosophisch, technisch und künstlerisch nur mit einem einzigen Produkt kompatibel». Jeder Antrag auf Zuordnung eines Designs zu einem anderen Modell als dem, für das es entworfen wurde, werde deshalb abgelehnt.
Jetzt zu den verwendeten Symbolen: Es gibt keinen Zweifel an der Inspiration, alles stammt aus der gleichen Quelle: digitale Piktogramme, die verpixelt sind, Populärkultur par excellence, die gerne nostalgisch mit dem Stil der Space Invaders flirtet. Es ist bunt, es ist gefällig, zugänglich, ultrareferenziell und generationenübergreifend.
Die Fans von Seconde/seconde/ sind in allen Altersgruppen und mit jeglicher Herkunft zu finden – allerdings mit einer männlichen Dominanz. Romaric André erklärt, dass er das Pixel «wegen seiner ästhetischen Effizienz, seiner Kontraste und seiner Farben, die im krassen Gegensatz zum üblichen grafischen Vokabular der Uhrmacherei stehen», ausgewählt habe. Die Idee war, «eine Botschaft schnell und auf kleiner Fläche zu vermitteln». Manchmal reichen zwei oder drei Striche aus, um eine Botschaft zu vermitteln, aber das sei kein Selbstzweck: «Meine Zeigerdesigns sind nicht auf Pixel beschränkt, und ich behaupte auch nicht, zu einem nostalgischen Gamer-Stamm zu gehören.»
Ein Tomahawk für die Royal Oak
Eine Wolke für die Rolex Air King, ein Tomahawk für die Audemars Piguet Royal Oak, eine Pause-Taste für die Omega Chronostop etc. Romaric André pflegt seinen Sinn für Abwechslung und Assoziationen von Ideen immer mit Leichtigkeit und Humor, in einem Geist, der eher spielerisch als ikonoklastisch ist. Einige Hersteller haben ihn entdeckt und schätzen ihn. Die Schaffhauser Marke H. Moser & Cie zum Beispiel, deren legendäre Nüchternheit André mit einem Radiergummi-Zeiger in der Mitte eines leeren Zifferblatts unterstreicht.
Der Designer bietet dazu seine eigene Exegese an: «Ein völlig banaler Alltagsgegenstand, der per definitionem den Fehler löscht – wir radieren, wenn wir einen Fehler machen. Oder das verborgene Gesicht des Erfolgs – wir machen einen Fehler und radieren oft, bevor wir ihn finden. Ich wollte die üblichen Werte der Uhrenindustrie wie Exzellenz und Leistung in Frage stellen. Ich denke, diese Branche sollte weiterhin über diese Werte sprechen, aber ich nehme mir das Recht, sie auf eine etwas respektlose Art und Weise aufzurütteln.»
Der Radiergummi bei H. Moser & Cie, dessen Direktor, Edouard Meylan, am Celsius-Abenteuer beteiligt war, hat weitere Kooperationen angeregt. Eben mit Nivada Grenchen, wie erwähnt, weitere Marken sollen folgen.
Bleibt die Frage: Haben wir es mit Kunst zu tun oder mit Recycling? Romaric André hat eine sehr klare Vorstellung von den Grenzen des Spiels. «Ich widerspreche nicht, wenn Leute meine Arbeit als künstlerisch bezeichnen, aber es steht mir nicht zu, das zu sagen. Ich füge mit meinen Entwürfen lediglich eine intellektuelle und poetische Aufladung hinzu.»