Es ist eine Personalie von Bedeutung. Denn sie betrifft mit Greubel Forsey eines der prominentesten Aushängeschilder der unabhängigen Szene in der Uhrenwelt. Und sie steht für einen neuen Kurs bei der Marke aus La Chaux-de-Fonds. Oder, besser gesagt, für das Zurück auf den ursprünglichen Kurs: «Back to the roots», nennt es Michel Nydegger.

Nydegger wurde eben zum neuen CEO der Marke ernannt. Er ist 34 Jahre alt und bringt einen eher ungewöhnlichen geistigen Rucksack mit sich: Er hat Philosophie studiert. Was ihm, so sagt er, beruflich zugutekomme: «Man lernt in der Philosophie, wie man eine Argumentation stringent aufbaut.» Und wie man «Struktur ins Hirn und ins Denken» bringe. 

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Mit der Uhrmacherei war er schon als Jugendlicher konfrontiert – am Küchentisch. Dort zeigte Robert Greubel, sein Stiefvater und Co-Gründer von Greubel Forsey, mitunter am Laptop Bilder von seinen Kreationen, die man ausgiebig besprach. Michel Nydegger erinnert sich noch heute, wie ihm die in eine Greubel-Forsey-Uhr eingebaute Mikroskulptur des Künstlers Willard Wigan faszinierte: «Das hat mir den Ärmel reingezogen», sagt er. Die Skulptur in der Uhr namens Art Piece 1 war so klein, dass sie nur dank eines eingebauten optischen Systems sichtbar wurde, welches eine 23-fache Vergrösserung bietet.

Michel Nydegger, CEO

Nydegger hat schon früh einen Einblick in die Uhrenwelt erhalten.

Quelle: Alex Teuscher

Was typisch ist für die Sammler-Ikone Greubel Forsey. Der Brite Stephen Forsey und der gebürtige Elsässer Robert Greubel gelten vor allem als Grossmeister des Tourbillons, das sie in komplexesten Variationen präsentiert haben. Sie sind aber ganz generell pingelig und detailversessen wie sonst kaum jemand in der Branche, wenn es um Ansprüche an Technik und Design geht. Beispiel: Wo anderswo die Décolletage-Maschine alle 15 Sekunden eine Spiralklötzchen-Schraube ausspuckt, wenn man sie nicht einfach billig einkauft, braucht man bei Greubel Forsey allein für den maschinellen Teil der Produktion geschlagene vier Minuten pro Stück, bis die Teile den hochgeschraubten Anforderungen genügen. Sie werden dann von Hand erst noch ewig lange nachpoliert. Und ganz generell dauert das Handfinishing einer Uhr, also das Anglieren, Polieren, Gravieren und Dekorieren ihrer Teile, mehrere Monate. Was sehr wohl seinen Preis hat: Unter 160’000 Franken geht gar nichts, im Durchschnitt sind für einen Zeitmesser von Greubel Forsey 600’000 Franken fällig. Oft viel mehr.

Robert Greubel und Stephen Forsey, die ihre Marke 2004 gegründet hatten, holten 2020 den Manager Antonio Calce an Bord, einen Mann, der zuvor unter anderem Corum sowie die Sowind-Gruppe mit den Marken Girard Perregaux und Ulysse Nardin geleitet hatte. Langsam, so das Ziel der Neubesetzung, wollten sich die zwei Gründer aus dem Tagesgeschäft zurückziehen. Und sie wollten das langfristige Bestehen der Marke gesichert wissen. In der Folge wurden auch die 20 Prozent des Aktienkapitals, welche die Richemont-Gruppe hielt, 2022 von Greubel Forsey zurückgekauft.

Die Gründer Stephen Forsey (links) und Robert Greubel.

Die Gründer Stephen Forsey (links) und Robert Greubel.

Quelle: Patrice Schreyer

Antonio Calce zündete umgehend ein Feuerwerk von Ankündigungen und verordnete der Marke eine waghalsige Wachstumskur: Statt wie zuvor 100 Uhren pro Jahr wollte er die Produktion auf 500 Stück steigern – und dafür einen gigantischen Neubau errichten, dreimal so gross wie das bisherige Gebäude. Doch jetzt zog Nydegger, der Calce ablöste, die Reissleine; das Bauprojekt ist gestoppt, in Bezug auf Wachstum wird man vorsichtiger und pragmatischer agieren. Und, dies nebenbei: Antonio Calce hält zwar weiterhin zehn Prozent des Kapitals, im Verwaltungsrat indes sitzt er nicht mehr.

Dafür sitzt Michel Nydegger fest im Cockpit. Und er beginnt nicht bei null. 2016 trat er als 26-Jähriger ins Unternehmen ein und verantwortete zunächst das Ressort Kommunikation und Pressearbeit. Rasch allerdings kümmerte er sich um wesentlich mehr, als sein Visitenkärtchen vermuten liess. Er wurde zunehmend ins Tagesgeschäft einbezogen, in Fragen um Distribution sowie Verkauf und in die Strategiediskussionen.

Sein Programm ist klar: zurück zur Grundphilosophie von Robert Greubel und Stephen Forsey sowie Optimierung der Prozesse. «Ich habe zwar nichts dagegen, wenn wir die Produktion auf 250 Uhren steigern können. Ich fände es im Gegenteil super – aber nur, wenn es ohne Kompromisse bei den Anforderungen an die Qualität geht.» Dass man zum Beispiel billigere Schrauben verwende, komme nicht in Frage. «Niemals!», sagt Nydegger. Im Gegenteil, man hirne derzeit an einer weiteren Verbesserung herum, welche die Schrauben noch hochwertiger, aber auch aufwendiger in der Herstellung machen.

An der Qualität wird also nicht gerüttelt, gleichzeitig will Nydegger aber die Prozesse optimieren, um die Kosten zu senken. Eine Quadratur des Kreises? «Klar», sagt er, «das mag etwas widersprüchlich erscheinen. Aber wir ziehen es durch.»

Sein Philosophiestudium, dies nebenbei, könnte eventuell ganz hilfreich sein. Jedenfalls gibt es einige prominente Führungskräfte mit dem entsprechenden Studium. «Sie machen den Unterschied», titelte einst das deutsche «Manager Magazin» und führte als Beispiele den LinkedIn-Gründer Reid Hoffman an, den nicht unumstrittenen PayPal-Mitbegründer und Facebook-Investor Peter Thiel oder Stewart Butterfield, Erfinder des Fotoportals Flickr. 

Wohin die Reise bei Greubel Forsey führen könnte, zeigte kürzlich das neue Modell Nano Foudroyante. Es kombiniert in einem Handaufzugswerk einen Chronographen, ein fliegendes Tourbillon und eine blitzende Seconde foudroyante. Letztgenannte hat, wie der Name verrät, einen Zeiger, der die Sekunde in sechs Segmente unterteilt, also in einer Sekunde sechs Mal nach vorne springt und dabei das ganze Zifferblatt umrundet – eine hübsche Komplikation, die allerdings normalerweise sehr viel Energie verschlingt. Dank eines smarten Energiemanagements gelang es Greubel Forsey, den Energieverbrauch auf 16 Nanojoule pro Zeigersprung zu reduzieren, etwa 1800-mal weniger als die sonst üblichen 30 Mikrojoule.

Es könnte – im übertragenen Sinne – das Programm für Greubel Forsey werden. Motto: Man kann mit weniger Energie sehr wohl viel mehr erreichen.

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