Vor zwölf Monaten haben Sie an dieser Stelle für die Uhrenbranche ein Minus von fünf Prozent vorhergesagt. Geworden sind nur minus drei Prozent. Waren Sie zu pessimistisch? 

Das Minus von drei Prozent reflektiert die Situation nicht richtig, auch wenn man in Betracht zieht, dass die Vergleichsbasis sehr hoch ist, da 2023 ein absolutes Rekordjahr war. Die fünf grössten Schweizer Uhrenmarken machen mehr als die Hälfte des gesamten Umsatzes der Industrie aus, und die Mehrheit von ihnen hat letztes Jahr noch knapp Wachstum geschaffen. Man rechne! 

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Unzählige schlechte Jahresabschlüsse …  

Ja, das Gros der Marken lag im Minus, gewisse sogar zweistellig. 

Können Sie konkreter werden?

Nein, derzeit nicht.

Wie geht es der Branche auf einer Skala von 1 bis 10 aktuell, wenn 1 ganz schlecht, 10 formidabel ist?

Markenseitig ist die Situation sehr unterschiedlich, im Schnitt würde ich sagen, dass wir bei 5 sind. Und bei den Lieferanten – mit wenigen positiven Ausnahmen – würde ich den Wert bei 3 ansetzen.

Was hat Sie 2024 am meisten überrascht? 

Patek Philippe hat mit der Lancierung der Cubitus-Kollektion wieder einmal bewiesen, dass sie keinen Trends hinterherlaufen und den Mut, die Mittel und die langfristige Vision haben, Risiken einzugehen. Auch mittelpreisige Mikromarken wie Ba111od oder Furlan Marri konnten zeigen, dass es Potenzial gibt. Das gilt auch für gewisse Etablierte im unteren Preisbereich wie Raymond Weil, Frederique Constant oder Tissot. Eine Überraschung der ganz anderen Art war Mark Zuckerberg, der sich plötzlich für Uhren interessiert und sich mit ganz teuren Zeitmessern ablichten lässt. Wenn sich Top-Unternehmer, -Sportler oder -Schauspieler mit einem unserer Produkte zeigen, ohne dafür bezahlt zu werden, sind das für unsere Branche die glaubwürdigsten Imageträger. 

Und worüber haben Sie am meisten aufgeregt?

Dass die Oscars der Schweizer Uhrmacherei, der Grand Prix d’Horlogerie de Genève, immer mehr zu einem Wettbewerb der B-Liga wird. Unter den 20 Preisträgern war keine einzige Marke aus den Top 10 der jährlichen Morgan-Stanley-Klassifizierung und gerade zwei aus den Top 20. Ich freue mich für die Preisträger, aber ein solcher Anlass muss repräsentativ werden. Und am allermeisten hat mich geärgert, dass der Präsident dieser Veranstaltung sich erlaubt, mit einem chinesischen Billigstprodukt am Handgelenk an einem Interviewtermin mit der Presse zu erscheinen, und es auch noch erwähnt. 

Wenn Sie der Branche insgesamt einen Ratschlag erteilen könnten für 2025, wie würde er lauten?

Bei der Preisgestaltung vernünftig zu bleiben. Es gibt externe Umstände wie der unglaubliche Anstieg des Goldpreises, der dazu zwingt, gewisse Preisanpassungen vorzunehmen. Mein anderer Rat: Geduld zu üben, denn es deutet nichts darauf hin, dass 2025 eine nennenswerte Verbesserung der geopolitischen Lage bringen wird. Und schliesslich, Kreativität zu fördern, sich zu trauen, etwas zu riskieren, statt passiv zu sein und Trends hinterherzujagen. 

Es gibt nur ganz wenige Marken, die noch Volumen schaffen, neben den Swatch-Group-Marken sind das eigentlich nur Rolex, Cartier, TAG Heuer und Breitling.

Oliver Müller: «Es gibt nur ganz wenige Marken, die noch Volumen schaffen, neben den Swatch-Group-Marken sind das eigentlich nur Rolex, Cartier, TAG Heuer und Breitling.»

Quelle: Guillaume Megevand

Womit rechnen Sie für das neue Uhrenjahr?

Salopp ausgedrückt wird es für wenige ein stabiles und für viele ein sehr kompliziertes Jahr, das sie in die roten Zahlen treiben wird. Die meisten Märkte ausser den USA und Japan – dem grössten und dem drittgrössten Absatzmarkt für Schweizer Uhren – sowie Mexiko, Südkorea und Indien bewegen sich eher negativ oder seitwärts. Immerhin: Die Vergleichsbasis wird günstiger, weil wir im Jahr 2024 schon ein Minus registrieren. Zudem: Die Tendenz für Ultra-Luxus bleibt günstig und wird den Gesamtmarkt weiterhin positiv beeinflussen. 

Schwierig bleibt es für die meisten Lieferanten, die unter dem kontinuierlichen Schwund der Volumen leiden. Wir haben letztes Jahr beim Volumen ein Minus von zehn Prozent kassiert, und die negative Tendenz wird leider anhalten. Es gibt nur ganz wenige Marken, die noch Volumen schaffen, neben den Swatch-Group-Marken sind das eigentlich nur Rolex, Cartier, TAG Heuer und Breitling.

Welches sind die grössten Herausforderungen?

Eine wirtschaftlich angespannte Lage mit vielen Unsicherheiten, die vor allem mit dem Präsidentenwechsel in den USA zu tun haben. Wenn man zynisch ist, darf man sich freuen, dass der neue Präsident Luxus liebt und es nicht in erster Linie auf diese Produktkategorie abgesehen hat. Ich denke, dass die Gefahr von Strafzöllen für Schweizer Uhren relativ gering ist. Umso mehr, als sich Trump seine eigenen Uhren in der Schweiz anfertigen liess, auch wenn diese nicht gerade die Quintessenz des guten Geschmacks waren.

Wie sollte die Branche auf den Negativtrend reagieren?

Es wird sich banal anhören, aber Innovation ist das magische Wort. Wie bei der Mode müssen sich die Uhrenmarken immer wieder neu erfinden, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Wie holt man neue Kunden ab, die weniger an Tradition interessiert sind als vielmehr an Status und dem Coolness-Faktor einer Vintage-inspirierten Uhr? Und vielleicht müssen etablierte Marken vorsichtiger sein mit Preiserhöhungen. Preisflexibilität der Kundschaft ist nur im obersten Marktsegment eine Tatsache.

Die grössten Chancen?

Allgemein sehe ich langfristig ein massives Wachstumspotenzial, denn unsere Industrie wird immer mehr zu einer Nischenindustrie, die leider – und mit wenigen Ausnahmen – stetig an Volumen verliert, aber an Attraktivität gewinnt. Ich wage zu prognostizieren, dass es fünf Jahre brauchen wird, bis wir die 30 Milliarden Franken bei den Exporten schaffen werden, was einem Abverkaufswert von über 60 Milliarden entspricht. Das wäre das Dreifache der Uhrenexporte im Jahr 2000 und immerhin das Doppelte von 2010 und fast 40 Prozent mehr als im Prä-Covid-Jahr 2019.

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