Es war ein eher bizarrer Preis für eine alte Uhr. Bezahlt wurde er Ende März an einer Versteigerung des ehrwürdigen Auktionshauses Henry Aldridge & Son, das in der englischen Grafschaft Wiltshire domiziliert ist. Der Zeitmesser, eine goldene Taschenuhr der amerikanischen Marke Waltham, heute normalerweise eher schwierig zu verkaufen, ging für sage und schreibe 1,175 Millionen Pfund an den neuen Besitzer – das wären umgerechnet rund 1,35 Millionen Franken.
Schöne Fantasie
Nun, man ahnt es, war es nicht die Uhr an sich, die den Käufer seinen Geldsäckel solcherart öffnen liess – es waren die Fantasien, die ihr ehemaliger Besitzer auslöste: Das gute Stück gehörte nämlich dem reichsten Passagier des 1912 gesunkenen Luxusdampfers «Titanic». Der US-amerikanische Millionär John Jacob Astor (1864–1912) trug sie bei sich, als er tot aus dem eisigen Wasser gefischt wurde. Man fand neben der Golduhr am Mann im blauen Serge-Anzug auch erlesene Manschettenknöpfe, einen Diamantring mit drei Steinen, 225 britische Pfund und 2440 Dollar in Banknoten, ein paar Münzen und einen goldenen Bleistift.
Edle Dinge also, was nicht verwundert: Astor – Wirtschaftsmagnat, Immobilienentwickler, Investor, Schriftsteller, Oberstleutnant im Spanisch-Amerikanischen Krieg und prominentes Mitglied der Astor-Familie – gehörte mit einem Nettovermögen von rund 87 Millionen Dollar zu den reichsten Männern der Welt. Heute wären das umgerechnet gegen drei Milliarden Franken.
Illustrer Käufer
Laut Auktionshaus ist die Uhr das wertvollste je versteigerte «Titanic»-Andenken. Teurer als der bisherige Rekordhalter, eine Geige, die während des Untergangs gespielt worden war und 2013 für rund 1,25 Millionen Franken unter den Hammer kam. Der Käufer ist kein Unbekannter. Es handelt sich laut einem Bericht der Agentur Bloomberg um Patrick Gruhn. Gruhn hatte das europäische Geschäft der Kryptowährungsbörse FTX geleitet, des
Unternehmens, welches Ende 2022 zusammenbrach. Gründer Sam Bankman-Fried wurde später wegen Betrugs zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Der heute in den USA lebende Gruhn habe damals nichts von Bankman-Frieds Betrug gewusst, sagt er. Und das Geld für die Uhr, so der Bloomberg-Bericht, stamme aus dem Verkauf seiner Unternehmen: «Wir wollen, dass die Menschen in den USA dieses historische Relikt sehen und bewundern können.» Doch wie war die Uhr von John Jacob Astor in den Verkauf gekommen? Der Käufer vertraut im Wesentlichen einer unterzeichneten eidesstattlichen Erklärung. Der Hintergrund: Nach der Bergung des Leichnams von Astor wurde die Uhr an seinen Sohn Vincent Astor geschickt, der sie vollständig restaurieren liess. Vincent habe sie dann, so das Auktionshaus, 1935 zur Taufe des Sohns von William Dobbyn IV, dem ehemaligen Sekretär John Jacob Astors, verschenkt. Dessen Schwiegertochter bekräftigt in der eidesstattlichen Erklärung, dass es sich beim Auktionsstück um genau diese Uhr handelt.
Eine Prise britischer Humor
Etwas dünn für 1,35 Millionen? Immerhin: Die Uhr ist auch in einer ganzseitigen Abbildung in einem Buch über «Titanic»-Memorabilien abgebildet («Titanic Fortune and Fate», Verlag Simon and Schuster). Und sie war immer wieder an Ausstellungen und in Museen zu sehen. Ob es darüber weitere Dokumente gibt, ist unklar: Bis zum Redaktionsschluss liess das Auktionshaus eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Kleine Pointe zum Schluss, die einem treuen Leser und Beobachter der Auktion nicht entging: An der Auktion erwies sich Auktionator Alan Aldridge als Kenner cooler Uhren und Mann mit Sinn für britischen Humor. Er trug eine Uhr aus der Kollektion von Blancpain X Swatch. Name des Modells: Antarctic Ocean.