Im Automobilbereich wäre es die Formel-1-Abteilung der Marke. Das sagte einmal Christian Selmoni, Style & Heritage Director bei Vacheron Constantin, über die Abteilung Les Cabinotiers der Genfer Manufaktur. Sie steht für Spitzenleistungen und baut aufwendigste Einzelstückeditionen für private Kunden und Kundinnen. Dabei kommt es, in Analogie zur Formel 1, nebenbei zu Entwicklungen, die auch in der Serienproduktion ihren Niederschlag finden können, in welcher Form auch immer.
Aus dieser Abteilung kam soeben ein Stück der Superlative: die monumentale «The Berkley Grande Complication». Es handelt sich um eine Taschenuhr, die allerdings kaum in einer Westentasche Platz hätte: Sie misst 9,8 Zentimeter im Durchmesser, baut 5 Zentimeter hoch und ist die bisher komplizierteste Uhr der Welt. Wir kommen auf sie zurück.
Ein Meisterwerk der Superlative
Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Produkte aus der «Formel 1»-Abteilung der Marke selten zu sehen sind, denn die meisten Kunden und Kundinnen pochen auf Diskretion. Aber hin und wieder gibt es Ausnahmen, 2021 zum Beispiel, als Vacheron Constantin ein anderes Stück der Extraklasse präsentierte. Es hiess «Les Cabinotiers Westminster Sonnerie – Hommage à Johannes Vermeer».
804 Teile hatte das Werk. Ein Tourbillon war durch den Glasboden zu sehen, und ein Schlagwerk mit fünf feinen Hämmerchen ermöglichte das Abspielen von unterschiedlichen Melodien beim Passieren der Viertelstunden. Dazu zeigte der Deckel eine aufwendige Emaille-Miniatur, die Reproduktion eines berühmten Vermeer-Bildes – «Das Mädchen mit dem Perlenohrring» –, ausgeführt von der Star-Emailleurin Anita Porchet.
Eine Tradition höchster Uhrmacherkunst
Die Uhr ist typisch für die 1755 gegründete Marke, die älteste Schweizer Manufaktur mit ununterbrochener Geschichte, seit je eine Spezialistin für akkurates Kunsthandwerk und komplizierte Mechanik. «Unsere Archive erwähnen bereits 1806 Uhren mit Schlagwerk», sagt Christian Selmoni. Die neue Preziose reiht sich so gesehen in eine Tradition ein, zu der herausragende Stücke wie etwa die 1918 präsentierte Taschenuhr «The Packard» gehören. Sie wurde im Juni 2011 für 1,8 Millionen Dollar in New York versteigert. Aber auch die hoch komplizierte «King Fouad» wäre aufzuzählen, sie wurde 1929 von der ägyptischen Gemeinschaft in der Schweiz dem König Fuad I. überreicht. Gerne erwähnt Style-Direktor Christian Selmoni überdies die Tour de l’Île von 2005, mit ihren 16 Komplikationen damals die komplizierteste je geschaffene Armbanduhr. Und 2015 gab es einen Paukenschlag: Die Genfer Marke präsentierte die sogenannte Referenz 57260, mit ihren 57 Komplikationen lange die komplizierteste Uhr der Welt.
Gebaut werden solche Ausnahmestücke, wie erwähnt, in der Abteilung Les Cabinotiers: «Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff die Räume in den oberen Stockwerken der Gebäude», erklärt Selmoni. «Da übten die Genfer Uhrmacher ihre Kunst aus, denn da hatten sie das bestmögliche Licht.» Geblieben sei der Name nun für die Wiege höchster uhrmacherischer Kunst und extremer Komplikationen, «heute wie damals eine der grössten Stärken von Vacheron Constantin», so der Style & Heritage Director.
Eine Weltneuheit
Das beweist man zurzeit mit der «The Berkley Grande Complication». Ihren Namen hat das Stück vom Käufer, dem 1946 geborenen amerikanischen Milliardär und Philanthropen William R. Berkley. Er besitzt auch andere Spitzenstücke der Marke und wusste genau, was die Uhr alles können müsste – viel, sehr viel.
63 Komplikationen hat die Uhr, Komplikationen sind in der Uhrmachersprache Zusatzfunktionen. Kein Wunder, wiegt sie gegen ein Kilogramm – 2877 Komponenten haben die Meister der «Cabinotiers»-Abteilung in sie eingebaut, darunter 31 Zeiger. Die Liste der Komponenten ist endlos, erwähnt seien neben dem Schleppzeigerchronographen und der Grande- und Petite-Sonnerie-Alarm-Funktion auch ein Dreiachstourbillon, ein gregorianischer ewiger Kalender, eine Himmelskarte und vor allem eine Weltneuheit: der wegen seiner vielen Unregelmässigkeiten hochkomplexe traditionelle ewige chinesische Kalender.
Ein solches Stück, so meint Christian Selmoni, erfordere «aussergewöhnliche uhrmacherische Fähigkeiten». Aber nicht nur: Es brauche auch Zeit, viel Zeit: Drei Uhrmacher waren mit dem Stück beschäftigt – elf Jahre lang.