Neun Jahre des Lebens einer Uhrenmarke lagen in einem Lieferwagen: 1400 Uhren, Komponenten für 700 weitere, 7500 Armbänder, Reiseetuis, Notizbücher, Displays – die neun Jahre passten auf drei Paletten. «Ich schaute in die Kartons», sagt Uhrenunternehmer Christian-Louis Col. «Und ich mag da nicht in die Details gehen. Sonst würde ich die Sache nicht mehr kaufen.»
Gekauft hat Christian-Louis Col die Uhrenmarke Klokers. Seine zweite Marke. Es ist mithin das zweite Mal, dass er ein Geschäft übernimmt, welches zweimal in Konkurs gegangen war. Beide Marken stehen für Uhren mit sehr ähnlichen Zügen, sie sind designorientiert, sehr rund und ohne aufgesetzte Bandanstösse.
Die erste Marke war Ikepod. Die zweite ist Klokers, ein französisches Projekt, dessen Konzept für die Zeitanzeige auf der Optik einer Rechenscheibe beruht. Col liebte diese Produkte schon immer, seit sie 2015 auf den Markt kamen: «Ich liebe Uhren, die keine Kopien von Kopien sind. Ich liebe Klokers, weil die Marke einzigartig ist, weil der Rechenschieber mich an meine Kindheit erinnert – und weil ich nicht wegen meiner Uhr überfallen werden möchte.» Bei Ikepod und bei Klokers bestehe diesbezüglich kein Risiko.
Eine grosse Sache will er daraus nicht machen, es seien die Umstände, welche das neue Kapitel angeschoben hätten. Ein spezielles Zifferblatt, ein unternehmerisches Abenteuer, mehr brauchte es nicht, um Christian-Louis Col zu überzeugen: «Ich bin kein Kreateur, kein Markengründer, ich bin ein Übernehmer», sagt er.
2017 kreuzte er ein erstes Mal den Weg von Klokers. Er hatte gerade Ikepod übernommen, bereitete den Relaunch auf Kickstarter vor und war auf der Suche nach etwas Expertise. Jemand riet ihm, zu Richard Piras zu gehen, dem Mitgestalter von Klokers. Der verwies ihn an die Agentur, mit der sie zusammengearbeitet hatten: «Ich hatte das Gefühl, mit Jungs von Peugeot zu sprechen, die Raketen starten lassen. Sie sprachen wie junge Leute, die Geld verbrennen und ein Einhorn züchten, derweil sie den Exit vorbereiten. Es war die Art von Projekt, die es für mich in der Uhrenindustrie nicht geben kann.»
Erste Pleite
Das Einhorn hat in der Tat nie den Regenbogen erreicht. Klokers musste 2019 einen ersten Konkurs hinnehmen. Christian-Louis Col erinnerte sich an Richard Piras, warf einen Blick auf die Details, und verstand, dass es kompliziert war. Die Marke hatte einen Fuss in Frankreich, den anderen in der Schweiz, handgestrickte Patente etc. Ergo kaufte er nicht. Die Marke wurde versteigert, eine Gruppe von sechs Investoren, die dem Geschäft nahestanden, zogen das Wrack heraus und dichteten die Lecks ab. Mit Ambitionen: Auf dem Papier war alles für einen Kassenschlager mit einem Umsatz von mehreren Dutzend Millionen Euro vorbereitet. Aber auch daraus wurde nichts: «Der Konkurs war unausweichlich, ehe sie verstanden, wie ihnen geschah.»
Im Oktober 2022 erinnerte sich Nicolas Boutherin, einer der Retter von Klokers, an Christian-Louis Col und rief ihn an: Die Lage sei ernst, einer der Partner sei kurz davor zu sterben. Boutherin schlug vor, die Ressourcen zu bündeln. «Danke, aber ich bin nicht gut darin, Partner auszuwählen. Ich arbeite lieber allein», lehnte Col ab. «Andererseits, wenn die Firma zum Verkauf steht, schicken Sie mir die Unterlagen.»
Dann überstürzte sich alles. Tod, Unternehmen in Liquidation, ein Käufer. Die Liquidation wurde eröffnet: 1400 Uhren auf Lager, wie erwähnt, Komponenten für 700 weitere, 7500 Armbänder. Col machte ein Angebot, das Gericht in Annecy nahm es an.
Und das unternehmerische Abenteuer begann. Chaotisch. «Es war eine Liquidation, und da passen die Leute nicht auf. Sie haben sogar Uhren weggeworfen. Eine Lagerbox in Annecy, deren Miete nicht bezahlt worden war, wurde ausgeräumt.» Aber der Fall sei trotzdem sauber, «sauber, weil es ein sehr kleiner Fall war und niemanden interessierte».
Wirtschaften «wie ein Obst- und Gemüsehändler»
Christian-Louis Col ging pragmatisch vor, «wie ein Obst- und Gemüsehändler». Er hatte sein Lager, er würde damit arbeiten, und wenn es Bargeld gäbe, würde er es reinvestieren. Er legte den Preis in einer simplen Addition fest: ein Uhrenkopf + ein Armband + ein zweites Armband gratis = 495 Euro. «Ich darf nicht über 500 Euro liegen. Wenn ich den Bestand verkaufen kann, mache ich eine neue Uhr.»
Col hat nun zwei Arme, eine Mini-Markengruppe ganz für sich allein. Er bedauert nur, dass er nicht früher damit angefangen habe. Ikepod bleibe sein «Meisterstück», sagt er. Denn Ikepod sei der Beweis dafür, dass es ein Leben nach Pleiten geben kann und dass es möglich sei, eine Marke zu führen, ohne massiv zu investieren, ohne sich in Serien-Rekapitalisierungen zu verstricken.
In fünf Jahren hat er Ikepod eine gewisse Glaubwürdigkeit zurückgegeben, die Marke langfristig etabliert. Er hat sie mit neuen Kreationen und Vintage-Produkten aufgewertet und in der Nische der kreativen Qualitätsuhrmacherei verankert. Und er hat sie mit einer Rückkehr zum Swiss Made – nach einem Abstecher zum Miyota-Kaliber-Modus – wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht und das Interesse einiger Einzelhändler geweckt. Zehn Verkaufsstellen gibt es bislang weltweit.
All das braucht Zeit. Also nimmt er sie sich. Und zitiert dazu den 1986 verstorbenen französischen Komiker Coluche: «Es braucht zehn Jahre, um über Nacht bekannt zu werden.»
Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».