Von seinem Eckbüro aus kann man den Lac de Joux sehen. Hier, im Dörfchen L’Abbaye im Herzen einer Uhrmacherregion, sitzt Philippe Narbel, Leiter und Gründer von Manufactor. Sein Weg zum Unternehmer in dieser Sparte war nicht vorgezeichnet, doch heute steht er an der Spitze einer Marke, die 15 Personen beschäftigt, darunter drei Uhrmacher und viele Praktikanten.

Manufactor wurde vor neun Jahren gegründet. Philippe Narbel arbeitete damals alleine. Er war auf die Dekoration von Skelettwerken spezialisiert – insbesondere für ein Skelettuhrwerk, das von Anfang an und nach wie vor das Herzstück seiner Aktivität darstellt: das Kaliber 3120 von Audemars Piguet oder AP, wie Markenfans kurz sagen. Die Hälfte der Manufactor-Kapazitäten ist dessen Platine und fünf Brücken gewidmet, die Hälfte des Umsatzes kommt davon. Das hat es in sich, denn Audemars Piguet auditiert ihre externen Dienstleister sehr genau. Es gibt sogar einen AP-Index, um die Leistung zu messen: «On time in full.» Das bedeutet, dass die Fristen eingehalten werden müssen und die Qualität nicht nachlassen darf. Narbel hält den Index wie eine Trophäe hoch: «Manufactor liegt bei 100 Prozent.»

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Manufactor arbeitet – unter anderem – für Audemars Piguet

«Wir arbeiten direkt und indirekt für AP», sagt er dann. Das bedeutet in seinen Worten, dass er im Vorfeld auch bei den Subunternehmern interveniert, dass seine Leistungen «über die Dekoration hinausgehen» und dass er «Teil der Lösung» sei. Auch andere Marken kontaktieren ihn zunehmend: «Manufactor ist zu einem Label geworden.»

Um zu verstehen, worum es bei dieser schrittweisen Verlagerung vom Dienstleister zum Partner geht, muss man einen Fuss in die Werkstatt setzen. Das Büro am Eingang ist das Büro von Frédéric, dem Methodenbeauftragten, der die Prozesse und Arbeitsabläufe formalisiert, um die Konstanz und die Einhaltung der Toleranzen zu gewährleisten. «Wir sind eine kleine Firma, die versucht, wie eine grosse zu funktionieren», fasst Philippe Narbel zusammen. 

Der Rest der Halle erinnert an eine Studierstube. Wir stören Jean-Marie kurz, er ist Anfang November angekommen und war zuvor bei Van Cleef & Arpels tätig. Er verkörpert die Zukunft: «Polykompetenz». Manufactor plant ein wenig Diversifizierung mit der kompletten Einschalung von Werken für externe Kunden und für die hauseigenen Kreationen von Narbel & Co, denn Philippe Narbel entwickelt auch seine eigenen Uhren. Das indes sei «mehr ein Uhrenabenteuer als eine eigentliche Marke».

Perlage einer Platine bei Manufactor: Arbeiten für Audemars Piguet.

Perlage einer Platine bei Manufactor: Arbeiten für Audemars Piguet.

Quelle: ZVG

Wir kommen zur Dekorationsabteilung. Ein zentrales Element der Manufactor-Methode ist dabei die Posage, zu Deutsch die Aufsetzvorrichtung. Das Beispiel, das Philippe Narbel anführt, ist eine massgefertigte und «gut durchdachte» Posage für die Unruhbrücke des Kalibers 3120 von AP. Das Prinzip ist einfach: Die zu verzierende Brücke wird sofort nach ihrer Ankunft auf die Vorrichtung geschraubt und erst nach Abschluss der Arbeit und der Kontrolle wieder gelöst. Die Vorteile seien beträchtlich, sowohl was die Qualität als auch was die Zeitersparnis betrifft. Narbel weist auf den wichtigsten Vorteil hin: «So können mehrere Personen an der gleichen Brücke arbeiten. Und deshalb müssen wir nicht zu 100 Prozent Experten einsetzen.» Dabei gelte das 80/20-Prinzip: 80 Prozent der Dekoration können von einer weniger erfahrenen Person durchgeführt werden, was nebenbei «zur Ausbildung beiträgt». Die Expertin übernimmt die restlichen 20 Prozent und sorgt dafür, dass die Qualität bei den sensibelsten Handgriffen maximal ist. Auch der Gewinn ist spürbar: 2022 hat Manufactor noch 220 Uhren dekoriert; 2023 waren es bereits um die 330.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz des Personals ist Sébastien, der seit 15 Jahren in der Dekoration tätig ist und den Touret beherrscht, den Polierstock. Das ist eine Technik zum maschinellen Polieren; sie hat es möglich gemacht, die Kundschaft zu diversifizieren, vorab für Marken, die mehr auf Stückzahlen setzen und dafür weniger Handarbeit in Kauf nehmen.

Die Vielfalt der Profile und der Herkunft der Mitarbeitenden ist typisch für das Unternehmen. Anne etwa hat 13 Jahre bei Vacheron Constantin gearbeitet, Chrystelle und Alexis waren Juweliere, Marco war Polierer, Sabrina wohnt einfach im Dorf, Jean-Luc war Schreiner. Und diese Verschiedenartigkeit der Lebensläufe ist für Philippe Narbel eine ganz wichtige Sache. Sie sei Teil des Manufactor-Projekts und stehe im Einklang mit seinem eigenen Werdegang. «Ich habe so viel vom Ökosystem der Uhrenindustrie erhalten, dass ich etwas zurückgeben möchte.»

Ein Autodidakt im Stacheldrahtverhau des Lebens

Hinter ihm ist ein holpriger Weg, der Lauf eines Autodidakten durch die Stacheldrahtverhaue des Lebens, immer auf der Suche nach einem anderen Ort – wie Steve McQueen in «Gesprengte Ketten», einem Film, der ihm viel bedeute.

Im Alter von 20 bis 29 hielt er sich als selbstständiger Juwelier in Sainte-Croix VD über Wasser. Mit 29 Jahren bewarb er sich für das Erwachsenenausbildungsprogramm von Audemars Piguet – ein Äquivalent zum Fähigkeitszeugnis eines Uhrmachers, allerdings ohne eidgenössische Anerkennung. Es gab ein paar Jobs, Narbel zog ins Vallée de Joux und fand vorübergehend eine Stelle bei einem Polierer. Dann wechselte er zu AP, bildete sich 18 Monate lang weiter, wechselte in die Produktion – und langweilte sich dort: Eine Stelle als Anglierer wurde frei, er wollte sie haben, bekam sie nicht, bestand darauf. Dann liess er sich zum Skelettierer ausbilden, verliess ein Jahr später das Atelier und begann, als Selbstständiger für AP zu arbeiten, spezialisiert auf das Kaliber 3120 mit Doppelskelettunruh.

Heute ist Philippe Narbel 47 Jahre alt, verheiratet, hat vier Kinder, ein Unternehmen, eine Marke unter seinem Namen und ein Credo mit drei Punkten: «Soziales Klima, Rentabilität, Qualität.» Und er hat noch genug Zeit, um neue Fluchtpläne zu schmieden.

 

Dieser Text ist zuerst bei «Watch Around» erschienen.