Eine der faszinierendsten Erfolgsgeschichten der letzten 50 Jahre ist der Aufstieg von Hip-Hop zur einflussreichsten Unterhaltungsbranche der Welt. Mitte der 1970er Jahre hoben Afroamerikaner in New Yorker Ghettos das Genre aus der Taufe – mittlerweile ist aus Hip-Hop eine milliardenschwere Industrie geworden, die in den Bereichen Mode und Design Massstäbe setzt.

Rapper sind globale Vorbilder, was Konsumstile und Marken angeht. Als die Hip-Hop-Gruppe Run DMC im Jahr 1984 ihre Adidas-Sneakers besang, erlebte der strauchelnde Konzern in Herzogenaurach ein fulminantes Comeback. Seit vierzig Jahren ist Hip-Hop fester Bestandteil des Marketingmix unzähliger Unternehmen: Rapper beschwören in ihren Songs die grossen Luxusbrands – von Prada über Gucci bis Bentley, Benz und Beamer (das Slangwort für BMW) –, und Marketingabteilungen von Stuttgart bis Sydney sind elektrisiert.

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Nur die Uhrenindustrie droht einen der bedeutendsten Konsumtrends der Gegenwart zu verpassen. Das Marketing der grossen Marken richtet sich weiterhin an Zielgruppen mit hohem Einkommen und rekrutiert Testimonials aus den Sparten Tennis, Golf, Segeln oder Polosport. Phil Mickelson, Roger Federer oder Rafael Nadal: Das sind die klassischen Werbeikonen der Premium-Uhrenbrands. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber man kann mit dieser Ausrichtung die Zukunft aus dem Blick verlieren. 

Die relevanten Uhrenliebhaber und -käuferinnen von morgen sind Vertreter der Gen Z. Diese Generation identifiziert sich je nach Studie bis zu 80 Prozent mit der Hip-Hop-Kultur. Ihre Kaufentscheidungen werden umfassend von Hip-Hop und seinen Akteuren geprägt. Luxusuhren sind fester Bestandteil dieses Lifestyles, insbesondere auch weil Rap-Superstars in ihren Songs wertvolle Uhren als Statussymbole inszenieren. In den Worten von Jay-Z: «New watch alert: Hublots or the big face Rollie / I got two of those» (aus dem Song «Otis»).

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Die Fashion- und speziell die Sneaker-Industrie haben Hip-Hop von allen Sparten wohl am besten für sich nutzbar gemacht. Besonders die Sneaker, die während der Pandemie wahrscheinlich noch einen grösseren Hype genossen als Uhren, sind aus dem Hip-Hop nicht mehr wegzudenken – und umgekehrt. Unzählige Kollaborationen erlauben es Fans, Designs ihrer Idole auch an den Füssen zu tragen. Auch in puncto Zuteilung könnte sich die Uhrenindustrie übrigens von der Sneaker-Industrie inspirieren lassen. Die Bewerbung für den Kauf via Raffle scheint mir doch deutlich humaner zu sein als Wartelisten von bis zu sieben Jahren. Sind Uhren nicht für uns Boomer das, was Sneaker für die Gen Z sind? Tolle Brands, ikonische Modelle, sammelbar, und man hat eigentlich immer mehr, als man braucht.

Aber zurück zum Thema. Wenn mittlerweile selbst auf konservative Zielgruppen fixierte Modemarken wie Tommy Hilfiger und Ralph Lauren ihr Marketing anpassen – bei der diesjährigen New York Fashion Week bildete die Rap-Gruppe Wu-Tang Clan den Höhepunkt von Hilfigers Show –, kann die Uhrenindustrie auch etwas lernen. Bislang hat nur Audemars Piquet die Zeichen der Zeit wirklich erkannt: Für den Rap-Superstar Travis Scott wurde die Royal Oak Perpetual Calendar in brauner Keramik entwickelt – schon jetzt eine ikonische Uhr in der Hip-Hop-affinen Gen Z. 

Travis Scott bei der Audemars Piguet Party in New York (im November 2023), wo die Collaboration von AP und Travis Scotts Label gefeiert wurde.

Travis Scott bei der Audemars Piguet Party in New York (im November 2023), wo die Collaboration von AP und Travis Scotts Label gefeiert wurde.

Quelle: WWD via Getty Images

Die Ausrichtung auf Hip-Hop als Leitkultur der Generation Z ist meiner Meinung nach eine lohnende Investition für Luxusbrands. Sie wird sich nicht im Umsatz der nächsten Jahre niederschlagen, aber eine wichtige Perspektive eröffnen. Denn die jungen Hip-Hop-Begeisterten von heute sind die Käufer und Käuferinnen von morgen. Wenn Audemars Piguet (AP) ihren konsequenten und stilsicheren Kurs weiterverfolgt, könnte die Marke dank ihrer Nähe zu Hip-Hop vielleicht nicht direkt zur Konkurrenz für Rolex werden. Allerdings könnte sie sich klar als Nummer zwei positionieren – zumindest in Bezug auf den Markenwert. 

Ilaria Resta, die neue CEO bei AP, kommt von Procter & Gamble, sie hat dort zahlreiche Innovationen lanciert und grosse Erfolge verbucht. Uhren sind für sie jedoch ein neues Terrain. Das ist ein Vorteil, weil sie mit neutralem und frischem Blick unvoreingenommen bewerten kann. Insbesondere im Marketing könnte sie mutiger sein als ein Grossteil der Konkurrenz und wird die Innovationen, die ihr Vorgänger François-Henry Bennahmias losgetreten hat, konsequent weiterführen. Wie hat Rap-Star 50 Cent so treffend gesagt? «Before me is endless possibility, around me is boundless opportunity.»