Maximilian Büsser, Sie haben immer transparent kommuniziert. Mit welchem Ergebnis schlossen Sie das Jahr 2021 ab?
Wir haben mit 278 Uhren einen Umsatz von 21,8 Millionen Franken erzielt. Das entspricht in Bezug auf die Stückzahlen dem Jahr 2013.
Aber nicht in Bezug auf den Umsatz?
In der Tat hatten wir 2013 etwa 15 Millionen Euro umgesetzt.
Ist die Differenz auf heute höhere Preis zurückzuführen?
Der Unterschied im Ergebnis erklärt sich einerseits durch die Erhöhung des Durchschnittspreises – wegen viel komplexerer Stücke – und andererseits durch die Erhöhung unserer Marge. Wir verkaufen heute 20 Prozent unserer Produktion direkt über unseren E-Shop sowie die M.A.D. Gallery in Genf (eine Galerie für mechanische Kunst in der Altstadt, M.A.D. steht dabei für Mechanical Art Devices, Anm. d. Red.). 2013 war dies noch nicht der Fall.
Und was ist Ihr Ziel für dieses Jahr?
Unser Ziel ist es, etwa 70 Uhren mehr zu produzieren, also 350 Stück, und dieses Tempo in den nächsten Jahren beizubehalten.
Bei Ihrem technischen Niveau und Ihrer Produktionskapazität sind 70 zusätzliche Uhren eine stolze Menge, nicht?
Es ist ein grosser Schritt. Aber im Vergleich mit der Nachfrage ist es ein Tropfen auf den heissen Stein.
Wie erklären Sie sich die Begeisterung für Ihre Spezialitäten?
Es ist der Sekundärmarkt, der alles verändert hat. Noch vor drei oder vier Jahren war ein Kunde, der eine MB&F-Uhr kaufte, ein Liebhaber der Marke. Er wusste genau, dass er einen gewissen Betrag verlieren würde, wenn er dereinst die Uhr weiterverkaufen möchte. Wie für einen Ferrari wäre der Wiederverkaufswert niedriger als der Kaufpreis, minus 30, 40 Prozent. Dann kam der Zeitpunkt, als sich der Wert zwischen Kauf und Wiederverkauf ausglich. Und wo wir früher einen Kunden hatten, waren es nun fünf oder acht. Dann stiegen wir in die Premiumkategorie auf, und aus diesen fünf oder acht Kunden wurden 25 oder 30. Bei einem Wachstum der Kundschaft um den Faktor 25 scheint es wohl nicht unvernünftig, 70 zusätzliche Uhren zu produzieren.
Übertreiben Sie da nicht?
Die Realität ist noch beeindruckender. Ich nenne Ihnen das Beispiel der Legacy Machine Sequential EVO. Wir stellten sie am 31. Mai vor: Geplant war eine Jahresproduktion von 35 Stück, acht wären für unsere Boutique in Genf reserviert. Nach 48 Stunden wollten 27 Kunden der M.A.D. Gallery eines der acht Genfer Stücke kaufen, und zur gleichen Zeit erhielten wir 96 Anfragen von Personen, die wir noch nicht kannten und mit denen wir individuell per Zoom Kontakt aufnehmen werden. Parallel dazu hat die M.A.D. Gallery in Dubai eine Warteliste von über vier Jahren erstellt.
Wie sieht es mit dem Rest Ihres Einzelhandelsnetzes aus: Werden die Händler von Anfragen genauso überschwemmt wie Sie?
Es gibt überall Wartelisten, aber es gibt wohl eine gewisse Asymmetrie: Immer mehr Kunden wollen über uns kaufen. Wir mussten unser Netzwerk straffen, weil es keine einzige Uhr mehr in den Geschäften gibt und wir nicht genug haben, um sie zu beliefern. Im letzten Halbjahr mussten wir sechs unserer 21 Verkaufsstellen schliessen.
Wie lange wird das so weitergehen?
Das ist die Frage, die sich jeder stellt. Sollen wir bei unserer derzeitigen Grösse bleiben oder uns für Wachstum rüsten? Wir haben uns dafür entschieden, unsere Strukturen zu stärken, obwohl wir wissen, dass der Markt überhitzt ist und es sehr schwierig ist, die Leute zu finden, die wir brauchen. Das gilt zum Beispiel für Régleure oder Ingenieure für Forschung und Entwicklung.
Ist der instabile internationale Kontext nicht ein Risiko?
Logischerweise doch, aber bislang hat das keinen grossen Einfluss gehabt. Der Krieg in der Ukraine? Keine Auswirkungen für uns. Der Zusammenbruch der Tech-Werte und der Kryptowährungen? Folgenlos. Aber eines ist klar, es gibt eine Auftragsblase, und es wird zu einer Korrektur kommen.
Der berühmte «Peitscheneffekt». Wäre es nicht besser, in diesem Umfeld auf Wachstum zu verzichten?
Zweifellos, aber die Kundschaft ist trotzdem gewachsen, die wahren Liebhaber der Marke sind da.
Ist das eine strategische Entscheidung?
Es ist eine Lebensentscheidung. Ich für meinen Teil habe beschlossen, diese verrückte Nachfrage zu nutzen, um das Image der Marke zu festigen.
Und wie wollen Sie dies tun?
Zum Beispiel an den Verkaufspunkten. Wir haben ein neues Einzelhandelskonzept eingeführt, die MB&F Labs, eine Art Mini-M.A.D.-Gallery. Wir werden die Galerie in Hongkong schliessen, sodass es vorerst nur noch drei Galerien weltweit geben wird. Dafür werden in den nächsten zwölf Monaten fünf MB&F Labs eröffnen. Jeder unserer Partner verlangt da von uns mindestens 20 Uhren pro Jahr – das sind 100 zusätzliche Uhren, was bereits über die geplante Volumensteigerung hinausgeht. Wir werden auch die Verbindungen zu unserer Community stärken, denn abgesehen von der Produktion zusätzlicher Uhren ist es uns am wichtigsten, unsere Kunden zu kennen und vorrangig die Liebhaber der Marke zu beliefern. Wir sind als freundliches, sympathisches und zugängliches Haus bekannt und wollen diese Einstellung, dieses Mindset, unbedingt beibehalten.
Ihre Gemeinschaft bezeichnen Sie auch mal als «Stamm».
Genau das ist es. Wir haben die Gemeinschaft vor fast vier Jahren ins Leben gerufen und unsere Kunden eingeladen, sich zu registrieren, damit wir mit ihnen in Kontakt bleiben und sie informieren können. Sogar diejenigen, die eine MB&F auf dem Sekundärmarkt erwerben, können sich bei «The Tribe» anmelden. So können wir die Uhren und ihre Besitzer verfolgen. Das ist sozusagen unsere Mini-Blockchain – nur viel einfacher, denn Blockchain ist heute alles andere als einfach.
Dieser «Stamm» soll ein wenig wild geworden sein, seitdem Sie eine Uhr für 2900 Franken auf den Markt gebracht haben, die ursprünglich nur für die Mitglieder bestimmt war. Was war die Überlegung dabei?
Lange Zeit erhielten diejenigen, die sich anmeldeten, einen persönlichen Brief von mir und eine Mütze, sodass sich viele Kunden dafür gar nicht die Zeit nahmen. Aber als wir das Modell M.A.D. 1 nur für Mitglieder einführten, zog der Stamm plötzlich sehr viele Leute an. Es waren nicht nur ausgewiesene Kunden, wir mussten den Eintritt deshalb kontrollieren. Wir werden auch weiterhin mit unserer Gemeinde zusammenarbeiten. Dies war erst der Anfang.
Wenn wir das richtig verstehen, haben Sie mit einer Art Relationship Management oder sogar mit Compliance begonnen?
Und das ist nicht gut für uns. Diese Macht, die man uns gibt, wollen wir nicht. Unser Ziel ist es, unsere ganze positive Energie in die Kreation aussergewöhnlicher Uhren zu stecken.
Und dennoch haben Sie mit einer zweiten Auflage nachgelegt, der M.A.D. 1 Red. Mit 1000 Stück, für die das Kaufrecht per Lotterie verlost wurde.
Die Nachfrage übertraf unsere kühnsten Erwartungen: Mehr als 22’000 Personen haben sich dafür registriert.
Wenn man es mit einem Haute-Couture-Haus vergleicht, ist es so etwas wie Ihre Prêt-à-porter-Abteilung.
Nur dass das Ziel der Konfektionskleidung normalerweise darin besteht, Wachstum und Gewinn zu generieren. Bei uns belastet die Aktion unsere Verkaufs- und Kommunikationskapazitäten erheblich – für ein paar Prozent unseres Umsatzes.
Andererseits ist der Bekanntheitsgrad eindeutig gestiegen, und zwar über den Kreis der Kenner hinaus. Kein positiver Aspekt?
Es ist klar, dass ich als Kreateur immer mit Angst im Bauch arbeite und das Risiko eingehe, zu enttäuschen. Wenn sich alles verkauft, was man macht, wird man natürlich etwas gelassener. In Wirklichkeit besteht darin der grosse Vorteil des Bekanntheitsgrades, ich entdecke das eben, dass er meinen Alltag verändert. Früher musste ich ständig reisen, erklären, werben. Seit Januar 2020 bin ich nicht mehr gereist (ausser zwischen dem Hauptsitz in Genf und Dubai, wo Maximilian Büsser seinen Wohnsitz hat, Anm. der Redaktion). Das ist fantastisch. Ich habe Zeit für meine Familie, für mich, das sind die schönsten Jahre meines Lebens. Aber es liegt in meinem Charakter, dass ich mich immer auf die nächste Herausforderung konzentriere.
Und was ist die Herausforderung, die Ihnen Sorgen bereitet?
Dass wir trotz der Aufhellung des Marktes fair, sympathisch und menschlich bleiben. Die Herstellung von weiteren 70 Uhren ist auch eine grosse Herausforderung für uns: Wir sind eine der letzten Uhrenmarken, bei der 100 Prozent der Komponenten von Hand gefertigt sind. Unsere grösste Herausforderung ist es jedoch, unser kreatives Niveau zu halten. Der Erfolg hat einen negativen Effekt: Wenn sich die Wartelisten über mehrere Jahre erstrecken, fünf Jahre, zehn Jahre, dann wollen die Kunden keine Neuheiten mehr, sondern nur noch, dass produziert wird. Wir haben beschlossen, unsere zukünftigen Produkte in grösseren Abständen auf den Markt zu bringen und unseren Entwicklungszeitplan auf mehrere Jahre auszudehnen.
Nochmals: Warum ist es ein Problem, wenn sich alles verkauft?
Es wirkt sich auf meine Kreativität und meine Ideen aus. Ich hatte erst gestern wieder eine sehr lustige Idee. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Max von 2030 seine Idee von Juni 2022 immer noch so toll findet.
Was also tun?
Ich habe Spass in anderen Bereichen. Im Moment arbeite ich zum Beispiel an Lautsprechern mit einem Designer, der verrückt genug ist, mir zu folgen.
Wir wollten Sie eher zu Ihrer Tätigkeit als Uhrmacher hören: Bedeutet das, dass sich Ihr Verhältnis zu Neuheiten ändert?
Richtig. Bisher beruhten fast drei Viertel des Umsatzes auf den Neuheiten des Jahres. Unsere Produktionskapazitäten sind jedoch zunehmend mit unlimitierten Editionen ausgelastet, was dazu führt, dass der Anteil der Neuheiten sinkt. In diesem Jahr werden sie weniger als die Hälfte des Umsatzes ausmachen, und bis 2023 wird dieser Anteil wahrscheinlich auf ein Drittel des Umsatzes sinken. Aber darüber kann ich mich nicht beklagen, denn nach 17 Jahren für MB&F und 31 Jahren in der Branche, in denen ich ständig mit dem Fuss auf dem Gaspedal stand, fühle ich mich in der Lage, das Tempo zu ändern.
Sie klingen, als bestehe kein Fahrplan.
Ich schreibe gar nichts auf. Wenn ich mir anschaue, was wir erreicht haben, bin ich ein bisschen schockiert: 20 Kaliber in 17 Jahren, alle Teammitglieder, die am Anfang dabei waren, sind noch da. Es gibt keine Geschäftslogik, darauf bin ich sehr stolz. Es gibt evolutionäre Kreaturen, aber ich gehöre nicht dazu, ich bin eher ein Entdecker. Es gibt so viele Dinge, mit denen ich noch experimentieren möchte. Man darf die Grundlagen nie aus den Augen verlieren. Die Uhrmacherei ist eine komplexe Kunst, aber in erster Linie ist sie eine Kunst. Nun ähneln sich 99,9 Prozent der Uhren, also lasst uns neue Gebiete erkunden.
In diesem Sinne haben Sie sich mit der klassisch angehauchten Legacy-Linie ein wenig verraten.
Das war letztlich eine weitere Herausforderung, ein weiteres Verlassen meiner Komfortzone. Es ist eine Herausforderung, ein innovatives klassisches Stück zu entwerfen. Es ist sogar noch schwieriger, als ein – in Anführungszeichen – «verrücktes» Stück zu kreieren.
Ich möchte stolz auf das sein, was ich tue. Und um das zu erreichen, muss ich Risiken eingehen.
Ist es Ihr Geschäftsmodell, sich nicht festzulegen?
Das ist das Modell in meinem Kopf: Ich möchte stolz auf das sein, was ich tue. Und um das zu erreichen, muss ich Risiken eingehen und mich dahin begeben, wo mich niemand erwartet. Meine Angst ist immer, dass jemand anderes es vor mir tut.
Und dennoch sind Sie heute auf dem Gebiet der aussergewöhnlichen Uhren sehr einsam.
Es stimmt, dass es nicht mehr viele Marken gibt, die «verrückte» Uhren herstellen. Und Sie haben noch gar nicht die HM11 gesehen, die wir 2023 vorstellen werden – vier Jahre Entwicklungszeit!
Noch ein paar Worte zum Unternehmen MB&F, denn hinter den Kreationen ist im Laufe der Jahre eine echte integrierte Manufaktur entstanden. Wie weit sind Sie? Wie viele Mitarbeitende haben Sie?
Wir sind 38 und werden Ende des Jahres 41 Mitarbeiter haben. Von diesen 38 sind 29 in der Produktion beschäftigt. Unsere Fertigungsabteilung ist eine der am schnellsten wachsenden Abteilungen: Wir haben gerade unsere siebte CNC-Maschine in Betrieb genommen. Wir stellen bereits 75 Prozent unserer Gehäuse und fast 20 Prozent unserer Kaliberkomponenten selbst her. Aufgrund der angespannten Liefersituation müssen wir unsere Kapazitäten noch weiter ausbauen. Wir brauchen viel mehr Platz. Wir planen übrigens, den gesamten Rest des Unternehmens in der zweiten Jahreshälfte in ein 100 Jahre altes Haus in Carouge umzuziehen.
Dieser Text erschien zuerst bei «Watcharound».