Davide Cerrato, Kreativdirektor, Designer und neuer Chef von HYT, blickt gerne zurück. «Als HYT 2012 auf den Markt kam, verkörperte die Marke den Wunsch nach Innovation», sagt er. «Und sie nährte die Fantasie, dass es viele Variationen geben würde.» Doch zehn Jahre später beschränke sie sich immer noch darauf, mittels medizinischer Fluidtechnologie farbige Flüssigkeiten zur Anzeige der Zeit zu benützen.
Jetzt will Cerrato die Marke in neue Sphären führen – in höhere Sphären. Und dafür hat der Manager als Metapher passend das Thema Weltraum gewählt. Das erste Modell der dritten HYT-Modellgeneration ist ein Zeugnis dafür: Es heisst Hastroid, ist völlig neu gestaltet und mutet futuristisch an.
Es ist auch ein Symbol der Auferstehung nach der Serie von Memento-mori-Uhren, die das vorherige Management vor seinem Rückzug präsentiert hatte. Der Weltraum als Thema sei ein wichtiger Hebel und Imagefaktor, erklärt Davide Cerrato, der die alte Strategie geshreddert hat.
«Die Raumfahrt verkörpert alle Adjektive, die das Management braucht.»
Davide Cerrato, Kreativdirektor, Designer und Chef von HYT
Sie bestand im Wesentlichen darin, dank tieferen Preisen die Stückzahlen zu erhöhen und eine Kundschaft anzusprechen, die mehr an technischer Anmutung denn an uhrmacherischer Substanz interessiert war. Das Kundeninteresse blieb hinter den Erwartungen zurück. Aber es gab «den positiven Effekt, dass der Bekanntheitsgrad der Marke gesteigert wurde», wie Cerrato einräumt.
Vor diesem Hintergrund will er zwar die Startrampe tauschen, beim Zünden der Rakete aber auf eine Preispositionierung zurückkommen, die an die Anfänge der Marke erinnert.
10’000 Mal wasserdichter als eine Taucheruhr
Der Einstieg liegt neu bei 70’000 Franken. Wie lässt sich der Flug auf diese hohe Umlaufbahn rechtfertigen? Die Antwort, so Cerrato, liege auch hier im Thema Weltraum. Die Raumfahrt verkörpert alle Adjektive, die das Management brauche, sie sei innovativ, bahnbrechend, technisch, rigoros, qualitativ hochwertig – «und natürlich teuer».
Die Firma hat dafür einen Begriff, der alles zusammenfasse: «Hyper Feature». Gemeint sind hochfliegende technologische Wortbausteine, die das Storytelling in Hyperlative kleiden, in eigentlich unmögliche Steigerungen von Superlativen. Ein Beispiel dafür ist das vollmundige Wording um das Fluidmodul – «10’000 Mal wasserdichter als eine Taucheruhr». Es arbeite mit Kolben, deren Wände nur «ein Viertel des menschlichen Haares» messen.
Nicht genug: Die Technik könne auch locker Temperaturschwankungen ausgleichen, da das Fluid «1000 Mal empfindlicher» auf thermische Schwankungen reagiere als klassisches mechanisches Gerät. Kleiner technischer Exkurs: Beim Fluidmodul aktiviert das mechanische Werk zwei Kolben, die durch ein Kapillarrohr verbunden sind.
Zwei verschiedenfarbige Hightech-Flüssigkeiten zirkulieren in dieser Kapillare, ohne sich zu vermischen, und die Trennlinie erlaubt das Ablesen des Stundenverlaufs. Man ahnt, dass die Herstellung eines solchen Moduls ein technisch anspruchsvoller Vorgang ist.
Die Herausforderung besteht nun darin, solche Best-in-Class-Technik mit der Tradition der Uhrmacherei zu verbinden. Auch hier stützt sich die Strategie des neuen Geschäftsführers auf die Ursprünge von HYT und die sehr starken Verbindungen, welche die Marke mit dem Know-how der Uhrmacherei unterhielt. Bei der Einführung hatte sich HYT insbesondere die Dienste von Dominique Renaud gesichert, der zu diesem Anlass zur «Uhrmacher-Legende» geadelt wurde.
In den letzten zehn Jahren wurden mehrere Ansätze getestet, mehrere Strategien ausprobiert, mehrere Dutzend Millionen Franken investiert, mehrere Geschäftsführer eingesetzt – ohne je die Rentabilitätsschwelle zu erreichen. Bis zum Konkurs nach einem Aktionärskonflikt im März 2021. Vier Monate später kam der Neustart mit der Käuferin Kairos, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Neuenburg, deren Vorsitzender Vincent Perriard ist. Er war einst der erste CEO von HYT.
Das Modell ist neu eingekleidet, es hat eine neue Version des Fluidmoduls, ein neues mechanisches Kaliber, das weniger dick ist, und es wurde von Star-Uhrmacher Eric Coudray (TEC Group) technisch überarbeitet und korrigiert.
Besondere Aufmerksamkeit galt der Ablesbarkeit: Die Minutenanzeige wurde mit einem grossen Zeiger in die Mitte gerückt, die Kapillare der fliessenden Stunden wird durch den strukturierten Hintergrund des Zifferblatts hervorgehoben, die Segmente sind markiert und von grossen Ziffern flankiert.
Kolossaler Aufwand für einen banalen Zeiger
Mit dem etwas paradoxen Ziel, der üblichen Zeitanzeige so nahe wie möglich zu kommen. In der Entwicklung von HYT schliesst Hastroid damit eine Klammer: Von 2012 bis 2017 baute HYT auf dem Konzept der Hybridisierung von Mechanik und Fluidik auf – es war die Ära der «Hydro-Mechanical Technology».
Von 2017 bis 2021 fokussierte man ganz auf die Fluidität. Leitmotiv: «Time is fluid.» 2022 konzentriert sich HYT wieder auf die Verbindung von mechanischer Uhrmacherei und Strömungswissenschaft. Schlagwort: «Meca-Fluidic Technology».
Kleiner historischer Exkurs: HYT ist ein Spin-off der Firma Preciflex, einem Unternehmen aus der Medizintechnik, welches sich im Besitz des Investors Patrick Berdoz befindet. Preciflex wurde um ein mikrofluidisches Verfahren herum gegründet, das in erster Linie für den medizinischen Sektor bestimmt war.
Weil dieser Bereich hohe Investitionen und ein komplexes Zulassungsverfahren mit sich bringt, wollte man einen Umweg über die Uhrenindustrie gehen, um die Marktdurchdringung zu beschleunigen und der Technologie Sichtbarkeit zu verleihen.
Die Realität erwies sich als steiniger als erwartet. Bis heute befinden sich die Absatzmärkte in der Medizinaltechnik noch im Aufbau, und in der Uhrmacherei hat es die Mikrofluidik, so innovativ sie auch sein mag, noch nicht geschafft, über die Stundenanzeige hinauszukommen. Platt gesagt: Man hat mit einem kolossalen Aufwand gerade mal einen banalen Zeiger ersetzt.
Für die Zukunft hat Davide Cerrato ein paar Trümpfe. Zunächst einmal seine Persönlichkeit. Er sei mit einem 360-Grad-Gehirn ausgestattet, sagt er gerne, welches «ebenso analytisch wie kreativ» arbeite.
Und er hat schon allerlei Herausforderungen zu meistern gehabt: Zur Jahrtausendwende war er bei Panerai, wo es darum ging, übergrosse, militärisch geprägte Uhren in der Luxusuhrenindustrie einzuführen. Bei Tudor war er an Bord, als die Rolex-Schwester nach neuem Schwung suchte – er entwarf dafür den Bestseller Black Bay.
Es folgte ein Gastspiel bei Montblanc, wo er die Integration der Manufaktur Minerva und den Einstieg in die Welt der Komplikationen begleitete. Bei HYT kann er auf Entwicklungen zählen, die wegen der Insolvenz auf Eis gelegt worden waren.
Und so konnte das neue Team schnell voranschreiten: Übernahme von HYT durch Kairos im Juli 2021, Neustart Ende Januar 2022 mit Hastroid.
Die Rakete ist gestartet
Die Veränderung betrifft die gesamte Produktstrategie und die Kommunikation. Sie verändert die Marketinglogik, den Vertrieb, die Produktion und die Zielsetzungen. Unter dem vorherigen Management hatte HYT angekündigt, fast 500 Stück pro Jahr zu produzieren und ein Netz von etwa 70 Verkaufsstellen zu unterhalten.
Davide Cerrato und Kairos rechnen mit einer Produktion von 150 bis 200 Uhren im ersten Jahr, mit etwa 20 Verkaufsstellen und einer massvollen Steigerung auf etwa 30 Verkaufsstellen innerhalb eines Zeithorizonts von fünf Jahren. Bei einer entsprechenden Steigerung der Stückzahlen.
«Ich will HYT mit Kraft, Kohärenz und Konsistenz wieder sichtbar in die Landschaft bringen, die Komplikationen klarer gestalten und in den Luxusbereich vordringen.»
Davide Cerrato, Kreativdirektor, Designer und Chef von HYT
Die Produktion stützt sie sich auf zwei Hauptlieferanten: TEC Group für das mechanische Uhrwerk und Preciflex für das Fluidmodul. Das interne Team – etwa zehn Personen – kümmert sich um die Montage und den Kundendienst, der für alle bisher hergestellten HYT-Uhren garantiert wird.
Davide Cerrato, 51 Jahre alt, davon 22 Jahre in der Uhrenbranche tätig, fasst seinen Flugplan wie folgt zusammen: «Ich will HYT mit Kraft, Kohärenz und Konsistenz wieder sichtbar in die Landschaft bringen, die Komplikationen klarer gestalten und in den Luxusbereich vordringen.»
Es sei nicht nötig, den Countdown zu starten – «die Rakete hat bereits abgehoben».
Dieser Text erschien zuerst bei «Watcharound».