Sie ist derzeit zweifelsfrei eine der erfolgreichsten Uhren überhaupt – das Modell PRX von Tissot hat sich als tickender Überflieger entpuppt. «Unsere Prognosen sind massiv übertroffen worden», freut sich jedenfalls CEO Sylvain Dolla, «wir verkaufen 20-mal mehr Stück, als wir es ursprünglich geplant hatten.»
Genaue Stückzahlen kommuniziert die Marke zwar nicht, man kann aber davon ausgehen, dass Tissot allein von der PRX-Kollektion mehr Uhren verkauft als viele grosse Schweizer Brands von all ihren Linien zusammengenommen. Immerhin sind mehr als ein Drittel der in der Welt verkauften Schweizer Uhren im Preissegment der Marke eine Tissot, das zur Swatch Group gehörende Unternehmen verkauft mehrere Millionen Uhren pro Jahr, und die PRX ist in einigen Märkten derzeit klar die Nummer eins, in den USA zum Beispiel oder in Europa.
Sylvain Dolla, der vor etwas mehr als zwei Jahren das Steuer der Marke von François Thiébaud übernahm, schwor damals seine Teams umgehend auf die Uhr mit integriertem Stahlband im Sport-Chic-Bereich ein. Und dabei liess er sich einer Lektion der Swatch-Schulung leiten, die ihm vor 17 Jahren eingetrichtert worden war. «Es gibt für den Erfolg im Uhrengeschäft vor allem etwas, das zählt», sagt er: «Erstens das Produkt, zweitens das Produkt und drittens das Produkt.» Deshalb habe man an allen Details gefeilt, am Spiel zwischen polierten und satinierten Flächen, am Zifferblatt mit dem Schachbrettmuster-Relief und generell an den Proportionen der Uhr.
Neu erfinden musste man diese natürlich nicht, die PRX basiert in weiten Teilen auf dem Urmodell von 1978. «Wir haben davon Tomografien gemacht, um die Masse des Gehäuses genau ermitteln zu können», sagt Dolla.
Passend zur Vintage-Anmutung der Uhr zogen die Marketingteams eine Kommunikationsstrategie auf, die sich ganz spezifisch an die 18- bis 30-Jährigen richtet, mit viel Retro-Chic, Seventies-Glam und einem cool inszenierten Buick Skylark im Werbespot. Die Uhr gibt es in verschiedenen Variationen, mit Quarzwerk oder einem automatischen Powermatic-80-Kaliber, neuerdings auch wie damals im 35-Millimeter-Gehäuse oder als Chronograph mit einem Valjoux-Werk.
Der Erfolg liess nicht auf sich warten, «eine Flutwelle», freut sich Sylvain Dolla. Als Verwandte und Uhrenfans ihm zu erklären begannen, dass Kollegen den Chronographen unbedingt wollten und ihn nicht kriegten – ob er da etwas machen könne? –, da dämmerte ihm, dass ein Bestseller geboren war.
Dass die Powermatic-Version für gerade 645 Franken zu haben ist, hat mit der industriellen Potenz der Marke und der Swatch Group zu tun. «Wenn Sie 300’000 Zeiger bestellen, haben Sie ganz andere Karten, als wenn Sie nur ein paar hundert brauchen», sagt Dolla. «Wir profitieren da von einem gewissen Skaleneffekt.» Aber es gebe auch viele Massnahmen, die etwas brächten, ohne Kosten zu verursachen: «Manchmal müssen Sie zum Beispiel dreimal ein Gehäuse zurückweisen, bis die Sache wirklich stimmig ist.» Das koste nichts, bringe aber entscheidenden Mehrwert.
Mit Preisen in der Regel zwischen 300 und 1000 Franken bewegt sich Tissot in einem Bereich, in dem sich die Schweizer Uhrenindustrie derzeit sonst schwertut. «Wir allerdings nicht», meint Dolla, die Marke habe in letzter Zeit deutlich Marktanteile gewonnen, jährlich zwei Prozentpunkte in den vergangenen drei Jahren. Im Angebot sind 60 Prozent Quarz- und 40 Prozent mechanische Werke, wichtigste Märkte sind derzeit Europa, gefolgt von China und den USA mit einem «sehr prononcierten zweistelligen Wachstum». Man glaube aber auch stark an Japan und Indien und investiere entsprechend in diese Absatzregionen.
Sylvain Dolla hat den Besucher eben durchs Tissot-Firmengebäude am Chemin des Tourelles 17 in Le Locle geführt, von der Terrasse aus auf das Gebäude von Charles-Félicien Tissot gezeigt, welcher die Marke 1853 gegründet hatte, und nebenbei auch noch einen Stopp im firmeneigenen Studio eingelegt, das im Zuge der Covid-Pandemie Angelpunkt für den Kontakt mit Dritten eingerichtet wurde – aber auch für die interne Kommunikation. «Luden wir früher die Brand- und Marketing-Manager für eine Schulung nach Le Locle ein, kamen vielleicht 60 Personen», sagt Dolla. «Heute erreichen wir dank der Videotechnik locker 350.»
Es seien zwei aufregende Jahre gewesen, zieht der Chef über seine bisherige Zeit bei Tissot Bilanz, Pandemie und Krieg hätten die Sache nicht einfach gemacht.
«Aber es war exzessiv spannend, wir haben viele Projekte aufgezogen, die sich jetzt konkretisieren», die PRX natürlich oder die neue Generation der Tissot T-Touch, an deren Realisierung Dolla schon federführend beteiligt war, als er noch bei Hamilton arbeitete. Auch sonst hat er sichtbare Spuren hinterlassen – ganz konkret zum Beispiel im Katalog, der massiv ausgedünnt wurde: Früher gab es 150 Referenzen, heute sind es noch 100. «Das hat nebenbei den Vorteil, dass die Teams für die Arbeit mit den verbliebenen Modellen 44 Prozent mehr Zeit zur Verfügung haben.»
Tissot-Bestseller bleibt nach wie vor das sehr klassische Modell Le Locle, das vorab in China die Nummer eins ist. «Wir haben das Glück, dass unsere drei wichtigsten Kollektionen daneben alle etwa gleich stark sind», meint Dolla, «Bellissima, Seastar und PRX.»
Womit indirekt gesagt ist, dass die T-Touch mit einem geschätzten Anteil von fünf Prozent Anteil in Tissots Kollektionenportfolio rein kommerziell kein Schwergewicht ist – sehr wohl hingegen für die Reputation die Marke. Wichtiger Unterscheidungspunkt im Vergleich mit anderen vernetzten Uhren: Die T-Touch Connect Solar sei keine Smartwatch, sondern eine richtige Uhr, betont die Marke bei jeder Gelegenheit. Sie hat physisch reale Zeiger und vor allem: Sie muss nicht ständig geladen werden. Sechs Monate halte sie locker durch, bevor man sie an der kabellosen Ladestation andocken müsse, verspricht Tissot.
Sylvain Dolla hat nach der Tour durch das Gebäude in einem Sessel Platz genommen, auf die T-Touch an seinem Handgelenk getippt und den Ladezustand abgefragt: «Voll», sagt er. «Ich trage sie seit anderthalb Jahren, und ich musste sie bisher noch nie aufladen.» Grund dafür ist eine Solarzelle, die etwa zwei Drittel des Zifferblattes ausmacht. Und auf diese Komponente ist der Markenpatron besonders stolz: «Fast alles an dieser Uhr ist Swiss Made, man kann sogar sagen, Swatch-Group-Made.» Der einfachere Weg wäre gewesen, Komponenten und Know-how bei den grossen Tech-Firmen einzukaufen, das aber sei nicht in Frage gekommen: «Wir wollten unabhängig sein, deshalb zum Beispiel die Software selber realisieren und die Solarzellen in der Schweiz selber fertigen.» Aktuell wird dafür ein Reinraum eingerichtet, Tissot engagiert für die Solartechnologie nach wie vor Ingenieure und Operateure.
Wer eine Art Smartphone am Handgelenk möchte, wird mit der T-Touch nicht glücklich, das war auch nicht das Ziel der Entwicklung. Man kann sich aber, wenn man will, eingehende Telefone und Mitteilungen – auch von Apps – anzeigen lassen. Und eben wird auch die GPS-Funktion aktiviert. Man kann eine Tour aufzeichnen und später am Computer genauer anschauen. Oder sich an den Ausgangspunkt zurücklotsen lassen. Weitere Funktionen sind in Entwicklung.
In die Uhr wird nach wie vor investiert. Vor allem, um den Energiehunger weiter zu drosseln. Denn je weniger Energie die Uhr verbrauche, desto mehr Funktionen könnten implementiert werden, so Dolla. Wobei man vor allem an Sport und Freizeit denke, in den Medizinbereich wolle man nicht gehen – «junge Leute tragen keine Medizinuhr». Ausgeschlossen sei auch das Sammeln und Verkaufen von Daten der Benutzer. «Der Datenverkauf ist nicht unser Geschäft», sagt Dolla. «Das ist nicht unsere Philosophie, wir sind Uhrenbauer.»
Designer dieses Uhrenbauers können sich übrigens ganz einfach von alten Stücken inspirieren lassen. Im Archiv wird seit 1853 von jedem Tissot-Modell ein Exemplar aufbewahrt. In den Schubladen liegt also zum Beispiel die erste PRX von 1978. Oder die PR 516 von 1965. Oder die Tissot Stratos by Bertone, entworfen mit dem berühmten Autodesigner Nuccio Bertone. Aber auch Modelle wie die Rock Watch oder der legendäre Two-Timer. Im Raum nebenan sind die Bücher untergebracht.
Hier findet man in einem dicken Schmöker etwa den Hinweis, dass die goldene Savonette-Uhr mit Kaliber- sowie Gehäusenummer 27448 am 18. Mai 1900 an die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt verkauft wurde.
Nicht weniger eindrücklich ist das Logistikzentrum im Gebäude, welches auch von Mido und Certina benützt wird – mehrere Stockwerke hoch, in der Mitte ein riesiger gelber Aufzugskran. Boxen mit fertigen Uhren oder Komponenten fahren computergesteuert auf endlos langen Förderbändern, beschriftet mit elektronischen RFID-Etiketten. 100’000 Teile oder 15’000 Uhren können täglich verarbeitet werden – am Ende erhalten die Uhren automatisch auch das richtige Preisschild für den vorgesehenen Markt und landen in ihrer Verpackung. Momentan, kein Wunder, ist der Anteil an PRX-Uhren, die von den Bändern kommen, besonders hoch. Sylvain Dolla wird das wohl besonders freuen: «Ich liebe diese Uhr», sagt er. |
Dieses Interview erschien zuerst bei «Watcharound».