Wie kann man etwas ganz Einfaches machen, wenn man sich bisher sein ganzes Leben lang mit grossen Komplikationen beschäftigte? Uhrmacher Andreas Strehler hat sich die Frage ernsthaft gestellt. Und um den Hintergrund dazu richtig zu verstehen, muss man wissen, dass er seine Karriere als unabhängiger Designer 1998 mit einem sehr speziellen Stück begonnen hat: mit dem Bau einer Pendule Sympathique nämlich, einer dieser intelligenten mechanischen Pendeluhren, wie sie von Abraham-Louis Breguet eingeführt worden waren, diesmal halt auf Strehler’sche Art. Danach schaffte es der Uhrmacher mit einer hochpräzisen Mondphasen-Uhr ins Guinness-Buch der Rekorde – die Anzeige bleibt über zwei Millionen Jahre hinweg auf den Tag genau.

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Andreas Strehlers Ruf als Tausendsassa der Komplikation war mithin gefestigt. Doch sein Wunsch, einmal eine «nicht superkomplizierte, elegante, robuste, zuverlässige und dauerhafte Alltagsuhr» zu bauen, blieb bestehen. Es sollte ein Stück «mit allen Merkmalen der schönen Uhrmacherei» sein, eine Uhr mit den Qualitäten eines Einzelstücks – und mit Inhalt. Intellektuell, ästhetisch und finanziell würde sie aber zugänglicher sein als die Kreationen, die bisher seinen Namen tragen. Man sollte kein Experte sein müssen, um das Stück wertzuschätzen, klassisch, aber nicht zu sehr, zum Preis von rund 20’000 Franken.

Die Idee war nicht, «eine billige Andreas Strehler» zu machen, überhaupt hätten kommerzielle Überlegungen nicht im Vordergrund gestanden – seine bestehende Kollektion funktioniere sehr gut, erklärt der Unternehmer. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, den Ausdrucksbereich zu erweitern, «wie ein grosses Restaurant, das seine Brasserie eröffnet». Und überdies habe er zeigen wollen, was machbar sei – indem er für sich selbst umgesetzt habe, was er sonst für andere Marken entwickle. Strehler hat neben seiner Eigenmarke als zweites Standbein seine Manufaktur UhrTeil, welche für Dritte tätig ist.

Andreas Strehler

Andreas Strehler, Meister der Komplikation, wollte eine einfachere und zugänglichere Uhr erschaffen.

Quelle: ZVG

Die Idee entstand 2018. Die erste funktionierende Uhr war 2020 fertig, aber die endgültige Version schlüpft erst in diesem Frühjahr sozusagen aus dem Ei, nach einer ganzen Weile des Zögerns. Technisch war die Uhr zwar fertig, aber das Design überzeugte nicht. Die Uhr habe einen nicht zum Vibrieren gebracht, sagt Strehler, er habe das gemerkt, als er den Prototyp in der Hand hielt.

Auch der Name war ein Problem: Er hatte eine Marke für die Uhr angemeldet, Sirna – eine Kurzform von Sirnach, dem Dorf im Thurgau, in dem er ansässig ist. Es dauerte eine Weile, bis er sich stattdessen auf das Wesentliche besann, auf seinen eigenen Namen: Strehler steht auf dem Zifferblatt.

Die endgültige Linie dieser «Sirna by Strehler», so die Namensgravur auf dem Boden, wurde von Designer Eric Giroud entworfen. «Wir kennen uns schon lange, ich habe ihm von dieser Uhr erzählt», berichtet Strehler. Darauf habe Giroud seine Ideen eingebracht, «etwas Neues, ohne alles zu verändern». Der Designer überarbeitete vor allem das Zifferblatt, wobei er von den verfügbaren Werkzeugen ausging: UhrTeil hat eine eigene Gravurwerkstatt mit Graveur und Lasergravierer. Vielleicht erinnerte sich Giroud auch daran, dass das Atelier in einer alten Textilfabrik untergebracht ist: Das Zifferblatt der Uhr hat die Textur eines gewebten Stoffs.

Die neue Uhr ist kein Wendepunkt, sie ist eine Ergänzung in Strehlers Laufbahn. Und seine erste Uhr mit drei Zeigern: Stunde, Minute, kleiner Sekunde – «eine Zentralsekunde wäre zu sportlich». Sie ist überdies seine erste «Produktionsuhr», alle seine anderen Kreationen werden auf Bestellung Stück für Stück individuell angefertigt, die neue ist stückzahlenmässig nicht limitiert, «höchstens durch die Produktionskapazität». Im ersten Jahr sollen dreissig Uhren hergestellt werden, später vielleicht hundert pro Jahr.

Sirna by Strehler

Die Sirna ist die erste Produktionsuhr von Uhrmacher Andreas Strehler.

Quelle: ZVG

Für die äussere Form ging Andreas Strehler wie bei allen seinen Modellen vom Kaliber aus: «Die Uhr ist rund [die anderen sind leicht oval, Anm. d. Red.], weil das Werk rund ist. Und rund ist das Werk, weil es ein automatisches ist.» Das Kaliber wurde intern entwickelt, mit einer eigenen Architektur und Ästhetik. Aber das Gehäuse aus Stahl übernimmt einige der üblichen Strehler’schen Elemente, man sieht das bei den Flanken, den Hörnern und beim offenen Boden mit vier Schrauben. Sogar der Schmetterling, eine Art Fetisch für Strehler, findet man auf der Krone, ein Einsatz aus gebläutem Titan. Und überall die Spuren eines veritablen Uhrmachers, alle Teile des Uhrwerks sind finissiert. Die Uhr ist als künftiges Erbstück konzipiert, bereit, von zukünftigen Uhrmachern bearbeitet und gegebenenfalls restauriert zu werden. Bis hin zum Zifferblatt: Metallbasis, gebläutes Titan, mit abnehmbarer Minuten- und Sekundenskala, «für eine eventuelle Wartung».

Diese zweite Marke spiegelt auch die Entwicklung der UhrTeil-Manufaktur wider. Das Unternehmen zählt heute rund 15 Mitarbeiter, und das Team wird weiterwachsen. Es gibt zwei Konstrukteure (darunter Strehler selber), eine Werkstatt, in der komplette Uhrwerke, Ausstattungen, Gehäuse, Kronen und Zifferblätter hergestellt werden, und ein Gravuratelier. UhrTeil ist überdies ein Ausbildungsbetrieb geworden, der Lehrstellen in drei Fachrichtungen anbietet: Uhrmacherei, Mikromechanik und Gravur. Auch der Maschinenpark wurde erweitert. Seine Hauser-Koordinatenbohrmaschine steht immer noch in der Werkstatt – er hatte sie vor seiner Selbstständigkeit erworben. Später kamen zwei Erodierstationen dazu, und ein Dutzend numerisch gesteuerter Bearbeitungsstationen belegen die Halle, hauptsächlich deutsche Primacon-Maschinen, die intern gewartet und modifiziert werden. Alles ist auf die Produktion von Kleinserien ausgelegt. Die Maschinen sind nur so weit automatisiert, wie es nötig ist: Tagsüber wird eingestellt, nachts wird gefertigt.

Rückseite der Sirna

Sirna by Strehler: offener Boden mit vier Schrauben.

Quelle: ZVG

Eine kleine Nebenwerkstatt wurde für die Gravur von Uhrwerken, Zifferblättern und Gehäusen von Hand und mit Lasermaschinen eingerichtet. Die mechanische Werkstatt befindet sich im Untergeschoss, mit Sandstrahl- und Härtestation. In einem kleinen Raum steht noch ein Relikt: ein Laser zum Schneiden von Plexiglasmodellen, eine Angewohnheit aus den 1990er Jahren, als Andreas Strehler noch bei Renaud & Papi angestellt war.

In seinem Sirna-Modell steckt einiges von dem, was man beim Parcours durch die Werkstatt sieht. Aber auch einiges von dem, was man nicht sieht: die ständige Investition etwa – Strehler ist alleiniger Eigentümer seiner Marken und seiner Manufaktur. Das erste Jahrzehnt als unabhängiger Kreateur war eine kommerzielle Wüste, in der er nicht verstanden wurde und kaum etwas verkaufte. Erst die Zusammenarbeit mit Harry Winston an der Opus 7 im Jahr 2007 machte ihn sichtbar, und es sollten noch einige Jahre vergehen, bis er seinen eigenen Stil gefunden und verstanden hatte, «dass eine Uhr nicht nur darin besteht, ein Uhrwerk zu verpacken».

Dazu gehöre eine Lektion, die auch für einen unabhängigen Handwerker seines Formats gelte: «Es gibt drei Dinge, die den Verkauf fördern: das Gehäuse, das Zifferblatt und das Armband. Und auf diesem Gebiet stehen wir immer im Wettbewerb mit der grossen Produktion.»

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».

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