Der Mann, der extra aus New York nach Niederwangen bei Bern gereist war, hatte einen klaren Plan im Kopf: Barry Cohen wollte Uhren produzieren, spezielle Uhren, die auch für endlose Nächte taugen, und dafür brauchte er ein ganz bestimmtes Produkt aus Niederwangen: winzig kleine Leuchtröhrchen, Trigalight genannt. Die Teile sind so klein und so leicht, dass man sie problemlos auf Zeiger und Indizes von Uhren applizieren kann, vor allem aber können sie ohne äussere Energiezufuhr ununterbrochen leuchten – gut und gerne 20 Jahre lang. Superluminova zum Vergleich, das klassische Leuchtmittel im Uhrenbau, verliert die Leuchtkraft innert Stunden und muss immer wieder neu mit Licht «aufgeladen» werden.
Das Ziel von Barry Cohen aus New York, ein KMU in Niederwangen, gibt es nach wie vor. Es heisst MB-Microtec, feierte 2019 den 50. Geburtstag, hat rund 100 Angestellte und produziert immer noch selbstleuchtende Trigalight-Röhrli. Bekanntester Kunde – neben der eigenen Uhrenmarke Traser – ist die heute zur Mondaine-Gruppe gehörende Marke Luminox, dazu kommen 40 bis 50 Uhrenbrands in der ganzen Welt, welche die Niederwangener Technologie einbauen. Aber auch für selbstleuchtende Notausgang-Beschilderung, Gewehrvisiere, Fischernetzmarkierungen etc. wird geliefert. 90 Prozent der Produktion gehen ins Ausland, alles ist 100 Prozent Swiss Made.
«Wenn es bei uns eine Beständigkeit gibt, dann ist es das Sich-immer-wieder-neu-Erfinden.»
Roger Siegenthaler, Chef von MB-Microtec
Barry Cohen, Gründer von Luminox, hatte damals zunächst vergeblich versucht, per E-Mail an den Patron des Unternehmens zu gelangen. Bis ihm jemand den richtigen Tipp gab: «Das ist ein Schweizer Unternehmen, da musst du schon den Besitzer persönlich treffen.» Was 1989 mit Erfolg geschah: Firmenchef Oskar Thüler war vom jungen New Yorker offenkundig angetan, er unterzeichnete nicht nur einen Liefervertrag, sondern gab dem mittellosen Cohen auch gleich einen Kredit über 80’000 Franken. Pro Uhr, so der Deal, sei davon künftig ein Franken abzuliefern. Nach einem Jahr – die Realität übertrifft mitunter jedes Märchen – war die Schuld getilgt.
Roger Siegenthaler, der heutige Chef von MB-Microtec, erzählt die Geschichte gerne. Und sieht in der Historie des Unternehmens eine klare Konstante: «Wenn es bei uns eine Beständigkeit gibt, dann ist es das Sich-immer-wieder-neu-Erfinden.»
Brandgefährlich
Tatsächlich liegt hier ein roter Faden der Firma – und zwar seit der Gründung. Am Anfang standen die zwei Berner Chemiker Walter Merz und Alfred Benteli, die 1918 die Firma Merz + Benteli gründeten. Dass der Name vielen Menschen bekannt vorkommen dürfte, hat einen einfachen Grund: Cementit, der berühmte Schweizer Klebstoff, ist, wie man auf der Packung lesen kann, ein Produkt von Merz + Benteli.
Begonnen hatten die Jungunternehmer allerdings mit Radium-Leuchtmitteln für die Uhrenindustrie – als noch niemand ahnte, wie brandgefährlich der radioaktive Stoff sein kann. Fast über Nacht wurde er später verboten, man musste sich, um bei den Worten von Chef Roger Siegenthaler zu bleiben, neu erfinden. Die Lösung: Was bisher als Decklack für die radioaktive Leuchtfarbe gedient hatte, erwies sich als hervorragender Leim – und trat als Cementit einen triumphalen Siegeszug in die Schweizer Bastelstuben an.
Es war der Schwiegersohn von Walter Merz, Oskar Thüler, der Merz + Benteli sozusagen ein weiteres Mal neu erfand und 1969 die Trigalight-Röhrli entwickelte. Die Firma MB-Microtec – MB steht für Merz + Benteli – wurde als Schwesterunternehmen gegründet.
Von 150 Zentimetern zu 0,1 Millimetern
Ausgangsmaterial sind daumendicke Glasrohre, rund 150 Zentimeter lang. Im sogenannten Ziehprozess werden sie nach Erhitzen in die Länge gezogen, bis am Schluss ein Röhrchen von 0,3 Millimetern daraus geworden ist, der Innendurchmesser ist mit 0,1 Millimetern so fein wie ein Haar. Mit einer Art Klebstoff wird die Innenseite mit Zinksulfid beschichtet und dann mit Tritiumgas aufgefüllt. Tritium ist schwach radioaktiv und zerfällt in Elektronen, was die nötige Energie abgibt, um das Zinksulfid weiss oder in jeder gewünschten Regenbogenfarbe zum Leuchten zu bringen. Zuletzt werden die Kapillaren mit Lasertechnologie auf Länge geschnitten und luftversiegelt. Aus dem ursprünglichen Glasrohr sind so am Ende 2000 Leuchtröhrchen geworden.
Die erste Bestellung kam 1989 von der amerikanischen Armee, sie orderte 300’000 Uhren der Referenz Traser P6500 Type 6. Es war die erste Uhr der Welt mit Trigalight-Röhrli. Zupass kam dem Niederwangener Unternehmen, dass die Uhren die strenge US-Armeespezifikation MIL-W-46374F locker erfüllten, unter anderem weil sie in der Nacht genügend lang leuchten.
Heute ist MB-Microtec mehr als nur Weltmarktführer, der Betrieb ist sozusagen Monopolist: 90 Prozent beträgt der Weltmarktanteil. Und weil das Sich-ständig-neu-Erfinden ein roter Faden des Unternehmens bleiben soll, forscht man auch nach neuen Absatzfeldern. Ein Projekt im Medtech-Bereich, so CEO Roger Siegenthaler, habe man zwar kürzlich fallenlassen müssen, es habe sich als nicht zukunftsträchtig erwiesen. Doch es gebe ein zweites, derzeit noch geheimes Projekt, das sich vielversprechend angelassen habe. «Wir glauben an die Zukunft», sagt Siegenthaler, das zeige sich zum Beispiel daran, dass MB-Microtec 20 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiere. 250’000 Franken wurden für Patente ausgegeben, vor fünf Jahren zog man einen lichtdurchfluteten Neubau für 23 Millionen Franken hoch.
Darin werden neben den Trigalight-Röhrli auch die Traser-Uhren produziert, Traser war die erste Marke überhaupt, die Trigalight in Uhren einbaute. Klientel war zunächst in erster Linie die sogenannte taktische Community, also Armeen, Feuerwehrleute, Spezialeinheiten etc. 2015 kam ein zweites Bein hinzu: die Adventure- und Outdoor-Lifestyle-Community.
Bisher wurde die Uhr vor allem in Waffenläden und Fachgeschäften für Fischereibedarf oder Messer verkauft, neu ist man zunehmend auch in der klassischen Distribution zu finden, bei Sonderegger in Bern zum Beispiel, bei Casagrande in Luzern oder online bei Kirchhofer. «Niemand hat auf Traser gewartet», sagt Traser-Chef Michele Starvaggi, «aber langsam und stetig geht es aufwärts.» Die Produktion liegt in guten Jahren bei rund 30’000 Stück pro Jahr. Da Russland ein sehr guter Markt war, liegt man heute darunter.
Überschuhe sind Pflicht
Wer die Trigalight-Produktion besuchen will, muss sich übrigens nicht nur amtlich ausweisen, er muss auch einen weissen Arbeitskittel sowie Überschuhe aus Kunststoff tragen. Peinliche Sauberkeit ist Pflicht, denn Tritium ist leicht radioaktiv, entsprechend streng sind die Sicherheitsvorkehrungen. Mit dem einstigen gefährlichen Radium hat das Material allerdings nichts mehr gemein, wie ein Schaukasten mit allerlei Zahlen im Eingangsbereich aufzeigt. Wer es schaffen würde, alle Trigalight-Röhrli in einer Uhr zu zerbrechen und das gesamte Gas einzuatmen, hätte gerade mal 0,004 Millisievert Radioaktivität intus. Zum Vergleich: Wer eine ganz normale Banane ist, nimmt 0,04 Millisievert ein. Und wer 6000 Kilometer im Flugzeug zurücklegt, hat 0,06 Millisievert absorbiert.