Lionel Bruneau hat sein Uhrenprojekt Ultramarine auf einer ethischen Maxime aufgebaut: Der Unternehmer aus Orléans in Frankreich will Schweizer Uhren bauen, die wirklich vollständig in der Schweiz hergestellt werden – und auch ausschliesslich mit Hilfe von Schweizer Zulieferern. Man sagte ihm, dass dies unmöglich sei, aber er begann trotzdem damit. Noch ist nichts gewonnen, aber einige Etappen wurden erreicht. Zwei besonders: Ultramarine überlebte erstens die Gesundheitskrise und schaffte es zweitens, Kaliber des Uhrwerkher-stellers Kenissi zu erhalten, eines Joint Venture von Tudor, Chanel und Breitling. Fast ein Jahr lang sei verhandelt worden; den Deal abgeschlossen zu haben, ist eine Anerkennung an sich.
Lionel Bruneau kommt nicht aus der Uhrenbranche. Seine einzige Verbindung zu Uhren, bevor er sie herstellte, war, dass sie ihm gefielen. Er kommt aus dem audiovisuellen Bereich, wo er Unternehmensfilme drehte, und er wollte in eine andere Welt wechseln. Eine Frage beschäftigte ihn dabei: Warum werden nicht alle Schweizer Uhren vollständig und ohne Diskussion in der Schweiz hergestellt? Seine Antwort war ein persönliches Projekt: Ultrama-rine, zu 100 Prozent schweizerisch. «Wenn ich ein Schweizer Produkt verkaufe, will ich, dass es schweizerisch ist», sagt er, «und zwar nicht zu extravaganten Preisen.»
Um die Positionierung zu unterstreichen, erfand Bruneau eine Bezeichnung, «die dem entspricht, was ich machen will». Statt des Labels Swiss Made prangt auf seinen Zifferblättern das Kürzel I.O.E.S. (Intégralement ouvré en Suisse – vollständig in der Schweiz hergestellt).
Die Umschulung kam spät. Lionel Bruneau war 48 Jahre alt. Anfang 2018 fuhr er durch den Jura. Er hatte ein Budget von einigen zehntausend Euro und dreieinhalb Monate Zeit, um mit funktionierenden Prototypen zurückzukommen. Und das gelang ihm auch. Der Vorverkauf startete 2019. Rund 40 Kunden meldeten sich, genug, um die Produktion zu starten.
Die Sache machte neugierig. Bruneau und sein Profil als französischer Aussenseiter, der sich für die Redlichkeit in Bezug auf die Ursprungsbezeichnung einsetzte, erregen die Aufmerk-samkeit der Medien in Frankreich und der Schweiz. Hierzulande wirkte vor allem «Le Temps» als Echokammer und hob am 22. Juni 2019 den Zeigefinger: «Eine französische Lektion für die Schweizer Uhrenindustrie.»
Das erste Modell war eine Dreizeigeruhr namens Albatros, es folgte Morse mit zweiter Zeitzone und kleiner Sekunde. Beide Uhren wurden von Eterna-Ateliers motorisiert – oder von dem, was davon übrig geblieben war. Die Marke war zu diesem Zeitpunkt bereits in Schieflage, aber Lionel Bruneau realisierte das nicht. Die erste Auflage fand ihr Publikum, eine zweite Lieferung von Uhrwerken war für Ende 2019 geplant. Doch es gab Probleme mit der Qualität – die Kaliber wurden retourniert, die Fristen auf Februar 2020 verschoben. Dann kam Covid, das Projekt versandete, Eterna, in chinesischer Hand, stand still. Bruneau sah sich zur Untätigkeit verdammt. Die lang ersehnten Uhrwerke wurden schliesslich Ende 2020 geliefert, doch dann gingen reihenweise Zulieferer in Konkurs, darunter zweimal der Montagebetrieb. Das Projekt hing an einem seidenen Faden, Lionel Bruneau hielt es aus: «Zum Glück zahlte ich mir ohnehin keinen Lohn.»
Nach fast einem Jahr der Untätigkeit stand er vor der Wahl: Aufgabe der Geschäftstätigkeit oder Kapitalbeschaffung. Er entschied sich für die zweite Option und schaffte es, von etwa 20 Privatanlegern einige hunderttausend Euro zu erhalten, die er auch benötigte. Das dritte Modell, Beluga, eine Taucheruhr mit Drehlünette (im Bild), ist im Entstehen begriffen: Hybrid-Design, ein bisschen Blancpain, ein bisschen Longines, Kenissi-Kaliber und dazu eine Partnerschaft mit der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd. Die Serie ist auf 100 Stück limitiert.
Was die Kollektion betrifft, so sind die beiden nächsten Modelle bereits im Brutkasten: Cormoran (eine Beluga mit fester Lünette) und Narval (eine Uhr mit integriertem Metallarmband). Zwei neue Versionen der Albatros und der Morse sind ebenfalls geplant. Ziel für 2023 ist die Produktion von 500, allerhöchstens aber 1000 Stück, da nicht mehr Kaliber zur Verfü-gung stehen. Dann soll schrittweise um 500 Uhren pro Jahr erhöht werden, um in vier oder fünf Jahren bei etwa 2000 Stück zu landen, alles im Direktverkauf. Aktuell kosten die Uhren 2000 bis 3500 Euro, bald werden es 2500 bis 4000 Euro sein. Und um den Bekanntheitsgrad zu steigern, ist eine Boutique auf Ende 2023 in Paris geplant.