Stellen Sie sich vor, Sie laden ein paar Freunde zu sich ein. Einer der Geladenen will mit einem anderen Gast nicht am selben Tisch sitzen, weil ihm das von seinen Eltern verboten worden sei. Was tun Sie?

In Montesquieus Werk «De l’esprit des lois» (1748, «Vom Geist der Gesetze») gibt es ein Kapitel zur Rechtsgeschichte Frankreichs. Darin wird vom mittelalterlichen Frankreich erzählt, in dem noch kein Territorialrecht galt. In Nordgallien etwa trug jeder das Recht seiner Herkunft mit sich. Nach diesem sogenannten Personalitätsprinzip war eine Frage nach dem Recht des Volkes zu beurteilen, welchem eine Person angehörte. Leicht erkennbar ist, dass bei einem Streit zwischen Personen, die unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstanden, das Recht des Ortes, an dem gehandelt wurde (Frankreich), nur noch Kollisionsrecht war, vergleichbar heute dem Internationalen Privatrecht. Zu entscheiden war also primär, welches Recht zur Anwendung gelangen sollte. Von diesem Vorgehen ist Frankreich, ebenso wie der Rest Welt, bald abgekommen.

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Marcel Niggli ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg.

Heute dominiert das Territorialitätsprinzip, also das Prinzip, wonach sich das anwendbare Recht nach dem Ort der Handlung bestimmt. Zwar kann vertraglich ein anderes Recht für anwendbar erklärt werden, aber das setzt den Konsens der Beteiligten voraus. Das Personalitätsprinzip ist praktisch verschwunden. Es findet sich einzig noch in den Strafgesetzbüchern, als Ergänzung zum Territorialitätsprinzip. Damit stellt ein Staat sicher, dass er zuständig wird bzw. bleibt, wenn im Ausland Straftaten von oder an seinen Bürgern begangen werden. Das Prinzip gilt indes typischerweise nur mit der Einschränkung der sogenannten doppelten Strafbarkeit: Das Verhalten muss nicht nur nach dem Recht von Täter bzw. Opfer strafbar sein, sondern auch nach demjenigen des Handlungsortes. Weil das Recht des Handlungsortes berücksichtigt wird, handelt es sich also gerade nicht um das Personalitätsprinzip im eigentlichen Sinne.

Kürzlich ist am Zürcher Theater Neumarkt das Arbeitsverhältnis eines Schauspielers modifiziert worden, weil eine Schauspielerin vorgebracht hatte, es sei ihr nach dem Recht ihres Heimatstaates verboten, gleichzeitig mit diesem (jüdisch-israelischen) Schauspieler auf der Bühne zu stehen. Das Theater hat das berücksichtigt und die beiden nicht gleichzeitig eingesetzt. Es hat damit ausländisches (konkret: libanesisches) Recht angewandt. Nach Schweizer Recht ist nun aber unzulässig, bei Verträgen nach der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit der Vertragsparteien zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidung ist sachfremd und daher diskriminierend.

Wird trotz entgegenstehenden lokalen Rechts aufgrund der Staatsangehörigkeit einer Person deren heimatliches Recht angewandt, so ist dies gleichbedeutend mit dem Personalitätsprinzip und einer Rückkehr in die erwähnte mittelalterliche Vorstellungswelt.

Man mag vom Nationalstaat halten, was man will, das Personalitätsprinzip bietet jedenfalls keine Lösung für seine Probleme, sondern stellt selbst eines dar. Und es mag für die extraterritoriale Anwendung nationalen Rechts in gewissen Bereichen (wie etwa dem Steuerrecht) sogar legitime Gründe geben, diese Bereiche müssen aber stets auf das Verhältnis der betroffenen Person zu ihrem eigenen Staat beschränkt bleiben und können in anderen Staaten keinesfalls Aussenwirkung entfalten auf die Beziehungen zu Dritten. Dies nämlich käme einer Abkehr gleich von der Aufklärung und ihrer eigentlichen Leistung, der Abstraktion, namentlich der Abstraktion von Gruppenzugehörigkeiten, ohne welche die moderne Welt unvorstellbar ist: Wer immer Ihre Vorfahren waren, Sie werden in der Bäckerei bedient, wenn Sie sich anständig benehmen und bezahlen. Das ist das Prinzip.