Leere macht sich breit. Zeitungen schreiben kaum noch über Bitcoin, Charts sieht man nirgends mehr, seit der Kurs diesen Winter phasenweise um 70 Prozent abstürzte. Jetzt dümpelt die Digitalwährung bei 8000 Dollar. Langeweile, Desinteresse überall. Auf Google sucht niemand mehr nach Begriffen wie Bitcoin oder Blockchain. Von anderen Kryptoprojekten wie Ethereum wollen Massenmedien schon gar nichts mehr wissen. Dezentrale Ökonomie – das ist höchstens was für Freaks. Wars das nun mit Krypto? Ein Hype, verglüht schon in den äussersten Schichten der Atmosphäre? Hier fünf Thesen zum aktuellen Zustand der Kryptowährungen und der ganzen Branche.
1. Das Bläschen ist geplatzt
Unbestreitbar nahm das globale Interesse an Kryptowährungen gegen Ende des letzten Jahres mittelschwere Formen kollektiver Hysterie an. Fernsehsender wie CNBC setzten Sondersendung an Sondersendung. Jeder hatte eine Meinung, welcher Coin jetzt die Revolution bringen würde. Höher, weiter, schneller. Millionen von neuen Anlegern machten sich über Nacht zu Experten im Selbststudium. Das konnte nicht gut gehen. Viele hatten es vorausgesagt. Und sie hatten natürlich recht: Mitte Januar platzte die Blase. Ohne gravierenden Grund, abgesehen von einem einzelnen Riesen-Verkaufsauftrag, der den Kollaps vielleicht beschleunigte.
Der Punkt ist nur: Die Blase war höchstens ein Bläschen. Der Absturz war volkswirtschaftlich so unbedeutend, dass zwei Wochen nach Crash-Beginn die letzte Zeitung ihr Interesse an den täglich neuen Tiefstständen verlor. Es gab auch wenig zu berichten: Die Technologie funktionierte weiter, Enttäuschungen blieben aus. Nur die Preise waren aufgebläht gewesen.
Am fundamentalen Trend hat sich gar nichts geändert. Die Zahl von Programmierern, die Blockchain-Tech entwickeln, nimmt ungebremst markant zu. Bei Consensys – einer grossen Ethereum-Firma mit Ableger in der Schweiz – sind derzeit beispielsweise 175 Stellen zu besetzen. Und weiterhin springen auch etablierte Konzerne auf den Zug auf: Samsung produziert Bitcoin-Hardware, die Bank Barclays installiert einen Venture-Fonds und einen Trading Desk – um nur zwei Meldungen der letzten Tage zu nennen.
Ebenso deutlich muss gesagt sein: Die neue Technologie ist schlicht nicht bereit für Primetime und Alltag. Das dauert noch Jahre. Ins Scheinwerferlicht ist die ganze Sache so früh nur geraten, weil von Tag eins an jeder und jede irgendwo auf der Welt in die Technologie investieren konnte. Ist Geld und damit Gier im Spiel, geht es immer schnell auf die grosse Bühne.
2. Zukunft von Bitcoin klärt sich nicht 2018
Bitcoin bleibt der Branchenprimus. Noch immer stehen sich zwei Lager gegenüber: Die einen glauben, Bitcoin werde einen goldähnlichen Status als Wertaufbewahrungsmittel erlangen, eine Absicherung gegen die nächste Finanzkrise bieten oder sogar im Alltag als Zahlungsmittel Gebrauch finden. Das andere Lager bleibt überzeugt, Bitcoin sei nutz- und damit längerfristig auch wertlos. An der Unversöhnlichkeit der Positionen wird sich noch Jahre nichts ändern.
Was sich aktuell ändert, sind die Einsatzmöglichkeiten der Digitalwährung. Seit einigen Wochen können sich Bitcoin-Nutzer so etwas wie garantierte, sofort einlösbare und unfälschbare Bitcoin Cheques in beliebiger Zahl und zu extrem tiefen Kosten zusenden. Dieses sogenannte Lightning soll helfen, Bitcoin im Alltag für den Massengebrauch tauglich zu machen und die bisherigen Kapazitätsprobleme aus der Welt zu schaffen. Ob diese Lösung der lang ersehnte Durchbruch ist oder nicht, ist noch nicht entscheidbar.
3. Die Token kommen schneller als gedacht
Bitcoin ist möglicherweise nicht einmal jenes Phänomen, welches die Kryptowelt für breite Kreise interessant machen wird. Entscheidend ist der generelle Trend, dass die Offline-Welt zunehmend mit der Online-Welt verschmilzt und deshalb der ganze digitale Raum von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnt. Damit rückt eine Frage ins Zentrum: Wie organisieren wir in Zukunft Eigentum und Zugangsrechte in einer zunehmend digitalen und global verschränkten Welt?
Was super theoretisch klingt, hat viel mit unserem Alltag zu tun. Auch heute sind Eigentum und Zugang geregelt, meistens durch einzelne Firmen und Institute mit ihrer je eigenen Infrastruktur: Das Hotel handhabt die Zimmervergabe, Spotify den Zugang zu Musik-Streams, die Migros verwaltet die Cumulus-Punkte, die Bank hält die Aktien, Microsoft führt Buch über den Status der einzelnen Spieler im «Minecraft»-Game. Das funktioniert zwar bestens, aber möglicherweise ist es nicht maximal effizient, wenn jede Firma, jede Branche für sich selber solche Systeme bauen und unterhalten muss. Genau deshalb setzen so viele Forscher, Firmen und Investoren so viel Hoffnung in Blockchain.
Die Technologie erlaubt, dass sowohl Cumulus-Punkte, Hotelzugänge und Aktien als sogenannte digitale Token abgebildet werden können. Eigentlich sind das bloss eine Art digitale Zertifikate. Aber sie sind standardisiert, auf einfache Weise übertrag- und handelbar, und – entscheidend – Computerprogramme, geschrieben von wem auch immer, können autonom mit diesen Token umgehen. Das verspricht neue Anwendungen, neue Business-Modelle, neue Akteure und mehr Liquidität in den Märkten. Bereits existieren erste voll funktionierende Apps, in denen solche Token eine Rolle spielen. Aber sie stecken in den Kinderschuhen. Echte Tatbeweise gibt es schlicht noch nicht. Am Schluss wird wie überall das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen für Konsumenten und Dienstleister darüber entscheiden, ob sich eine neue Technologie durchsetzt.
4. Ethereum erhält ernsthafte Konkurrenz
Diese neue Token-Ökonomie braucht so etwas wie ein Betriebssystem. Ethereum ist die bekannteste Plattform, auf der solche Token kreiert und verwaltet werden können. Aber ähnlich wie Bitcoin ist auch Ethereum vorderhand in der Leistung arg limitiert. Das schmälert den Wert der Plattform, und damit auch den Wert der Ethereum-Währung Ether, die zuletzt ebenfalls stark an Wert verloren hat. Aber auch da arbeiten mehrere Teams überall auf der Welt an Skalierungslösungen mit Namen wie Sharding, Plasma oder State Channels. 2018 ist ein Übergangsjahr. Fortschritte oder Misserfolge werden sich im Kurs von Ether widerspiegeln.
Ethereum sieht sich inzwischen beträchtlicher Konkurrenz ausgesetzt. Es gibt bereits ein Dutzend ernstzunehmender Projekte, die gerne als Basis für die neue Token-Ökonomie dienen möchten. Darunter sind öffentliche Blockchains mit ihren je eigenen Währungen wie Dfinity, Tezos, Aion oder Cosmos, aber auch Plattformen von Firmen wie IBM oder von Bankenkonsortien. Die IBM- und Banken-Lösungen kommen ohne eigene Währung aus, weil die Sicherheit dieser Plattformen nicht komplett dezentral, sondern von den beteiligten Firmen gewährleistet wird. Wer sich durchsetzen wird, ist noch nicht absehbar. Aber die Währungen der Verlierer werden irgendwann crashen.
5. ICO-Boom sorgt für Enttäuschungen
Noch immer kommt es täglich zu ICO, dieser neuen Form von Kapitalaufnahme, bei der die Investoren im Gegenzug ein Token des Projekts erhalten. Aber der ganz grosse Boom scheint erst einmal vorbei. Und es wird bereits in absehbarer Zeit zu schmerzhaften Enttäuschungen für die Investoren kommen.
Die meisten dieser neuen Utility Token, die oft zum Bezug einer Dienstleistung berechtigen, sind aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten nur störend. Wer will schon zum Posten eines Inserates zuvor einen dafür notwendigen Coin kaufen müssen? Zudem dürfte die hohe Umlaufgeschwindigkeit vieler dieser Coins dazu führen, dass sie nie kräftig an Wert zulegen werden. Die Spreu wird sich dieses und nächstes Jahr vom Weizen trennen. Wie in der gesamten Kryptobranche.