Stefan Muff gehörte zu den besten Schwingern des Landes. 2004 gewann er einen Kranz am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest. 2005 wurde er zum Sieger des Luzerner Kantonalschwingfests gekrönt. 2006 nahm er an der berühmten Unspunnen-Schwinget teil. Nach vier Knieverletzungen gab sich der Eidgenosse 2008 dann geschlagen.
Muff konzentriert sich seither auf Hof und Familie. In der Luzerner Gemeinde Gunzwil ist er Herr über 75 Milchkühe, 24 000 Masthühner und 50 Hektaren Land. Seine Kühe, die Muff liebevoll als «Spitzensportler» bezeichnet, liefern im Schnitt fast 11 Tonnen Milch pro Laktationsperiode, also in der Zeit zwischen der Geburt des Jungtiers und dem Trockenstellen. Sein bestes Tier Merano – Rasse Holstein – bringt es gar auf 16 Tonnen Milch in 305 Tagen. Das sind über 50 Liter pro Tag. Gemolken wird Merano aber nicht von Muff selber, sondern von einem Roboter der Firma Delaval.
Schweden mit Sitz am Genfersee
Das ist ein schwedisches Unternehmen. Es ist gemäss eigenen Angaben führend in der Milchwirtschaft und gehört zur Tetra-Laval-Gruppe, die ihren Sitz in Pully im Kanton Waadt hat. Zusammen mit dem Schwesterkonzern Tetra Pak sorgt Delaval dafür, dass sämtliche Arbeitsschritte von der Zitze bis zur abgefüllten Milch abgedeckt sind. Delaval produziert Produkte wie Melkbecher, Tierfutter und Entmistungsgeräte. Tetra Pak verarbeitet die Milch, packt sie ab und liefert sie an Supermärkte.
Während der Verpackungskonzern weltberühmt ist, kennt ausserhalb der Bauernwirtschaft kaum jemand die kleine Schwester Delaval. Dabei machen die Schweden jedes Jahr mehr als 1 Milliarde Franken Umsatz. 4600 Mitarbeiter stehen im Sold der Firma, 270 davon in der Schweiz. Über 16 000 Bauernbetriebe zählen hierzulande zur Delaval-Klientel. «In der Schweiz haben wir zu sieben von zehn Milchbauern eine Geschäftsbeziehung», sagt Produktmanager Urs Schmid. Der Umsatz hierzulande beläuft sich auf knapp 50 Millionen Franken.
Aufbruch nach Feuer
Bauer Muff setzt seit einem Jahr auf den vollautomatischen Melkroboter der Schweden. Im Januar 2015 brannte sein Stall bis auf die Grundmauern nieder. 53 Rinder verloren ihr Leben. Muff stand vor den Trümmern jahrelanger Arbeit und vor der Frage, ob er die Familientradition in der Milchwirtschaft weiterführen will.
Nur auf die Hühnermast zu setzen, war ihm zu riskant. «Ich wollte wieder ein zweites Standbein haben», erinnert sich Muff. Gleichzeitig schreckte er vor dem Aufwand zurück, denn Milchkühe verlangen viel Aufmerksamkeit. Jeden Morgen musste Muff den Stall misten, seine Hochleistungskühe melken, das Melkgeschirr putzen und die Rinder füttern. Das dauerte mindestens zwei Stunden. Abends das Gleiche noch einmal. Viel Arbeit. Deshalb entschied sich der Ex-Schwinger für einen Roboterstall. Melken: Das erledigt jetzt eine Maschine. Entmisten: Passiert ganz automatisch.
Sind die Daten einer Kuh kritisch, gibt es ein SMS
Finanziell gesehen war es ein Hosenlupf. Ein Normstall wie er bei Muff steht, kostet rund 800 000 Franken. Der Melkroboter schlägt mit 200 000 Franken zu Buche. Ein Mistroboter kostet nochmals 30 000 Franken. Und eine automatische Fütterungsanlage erleichtert das Portemonnaie um bis zu 160 000 Franken. Doch wer es öffnet, erhält den Rundumservice. Der Roboterstall ist 24 Stunden in Betrieb.
Die Kuh entscheidet selbst, wann sie gemolken werden möchte. Wenn ihr Euter voll ist, betritt sie den Roboter. Die Maschine identifiziert sie anhand des Halsbandes und gibt eine speziell auf die Kuh zugeschnittene Ration Kraftfutter frei. Ein hydraulischer Arm stülpt die Melkbecher über und setzt sie wieder ab, wenn die Kuh gemolken ist. Danach werden die Zitzen desinfiziert. Die Kuh kann zurück in den Stall. Das Ganze dauert weniger als zehn Minuten. Tritt eine Störung auf, erhält der Bauer eine Meldung auf sein Handy.
Mehr Gerechtigkeit im Stall
Der Melkroboter kann aber noch mehr. Er registriert, welche Kuh wann gemolken wird. Wie viel Milch durch welche Zitze fliesst. Wie hoch der Fettanteil ist. In welcher Konzentration Kalcium und Eiweiss vorhanden sind. Die Datenfülle erlaubt genaue Rückschlüsse auf Fruchtbarkeit und Eutergesundheit. Bakterielle Infektionen wie die gefürchtete Mastitis werden vom Roboter frühzeitig erkannt. Ansteckungen können vermieden werden. «Ich brauche den Tierarzt viel weniger als früher», sagt Muff.
Der Roboter sorgt auch für mehr Gerechtigkeit im Stall. Bei traditioneller Haltung füllt der Bauer den Futtertrog zweimal täglich. Die starken und in der Herde ranghohen Tiere fressen zuerst. Für die schwächeren Omega-Tiere bleibt nur der Rest übrig. Der Melkroboter dagegen portioniert das Kraftfutter für jede einzelne Kuh. Wer mehr Milch gibt, braucht mehr Futter, mehr Soja, mehr Mais. In der Summe sorgt das dafür, dass die Milchproduktion um bis zu 10 Prozent steigt.
Hunderte Robo-Ställe
Rund 550 derartige Roboter sind in der Schweiz im Einsatz. Knapp 300 stammen von Delaval, die anderen von konkurrierenden Firmen wie dem holländischen Unternehmen Lely.
Global gesehen ist die Schweiz damit aber ein Zwerg. Wirklich zur Sache geht es in Südamerika. Rund 500 Kilometer südlich von Santiago de Chile entsteht der grösste Robotermelkbetrieb der Welt. Bereits Anfang 2017 sollen sich 64 Roboter um 4500 Kühe kümmern. Die tägliche Milchausbeute beläuft sich auf 225 000 Liter Milch. Damit produziert die chilenische Farm in drei Tagen so viel Milch wie Bauer Muff in einem ganzen Jahr.
Der Erfolg wird zum Bumerang
Der Markt für Melkroboter hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Das erste Patent wurde 1982 ausgestellt, die ersten Roboter kamen in den 1990er-Jahren auf den Markt. Die Bauern waren eine schwierige Klientel, sie zögerten am Anfang, begegneten der Technik mit wenig Wohlwollen.
Die Vorteile lagen aber auf der Hand: Weniger Arbeitseinsatz, mehr Output, verbessertes Tierwohl. Die Verkaufszahlen zogen an. Firmen wie Delaval und Lely verzeichneten Rekorderlöse. Sie investierten in noch leistungsfähigere Roboter für noch grössere Farmen. Das Resultat: Übervolle Milchseen weltweit. Der Milchpreis ist mittlerweile im Keller – nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa.
Übervolle Milchseen
Der eigene Erfolg wird zum Bumerang für die Roboterhersteller. Das Investment in ein Melksystem lohnt sich kaum noch. «Die Absatzmenge in der Schweiz liegt bei etwa 35 Melkrobotern pro Jahr», sagt Produktmanager Schmid. Gleich viel wie in den Jahren zuvor. Und auch Bauer Muff bestätigt: «Bei den aktuellen Milchpreisen ist es eine Herausforderung, dass der Roboter rentiert.»
Das Investment reut ihn aber nicht. Er hat jetzt mehr Zeit für seine Frau und die drei Kinder. Und für seine Passion, den Schwingsport. Beim jüngsten Eidgenössischen in Estavayer-le-Lac sass er selbst auf der Tribüne. Dass es seinen Kühen an nichts mangelte, überprüfte er via Handy.