Sie begannen Ihre Karriere in einem Kaff Namens Parkersburg, West Virginia. Haben Sie je daran gedacht, weltbekannte Filme wie «Toy Story» oder «Finding Nemo» zu produzieren und 13 Oscars zu gewinnen?
Ed Catmull*: Nicht wirklich. Als ich in den 1950er-Jahren zur Schule ging, waren Computer etwas Entrücktes. Dass so ein Ding zu Hause stehen würde, war schon gar kein Thema, dazu hätte unser Wohnzimmer nicht gereicht.
Sie prägen mit Ihrer Forschung und Ihrer Innovation, mit dem computeranimierten Film die digitale Transformation. Zufall?
Am College wollte ich mich auf Physik konzentrieren. Da merkte ich aber schnell, dass der Aufwand riesig wäre, um ganz vorne dabei zu sein. Weil Computerwissenschaft eine sehr junge Disziplin war und mich Computer faszinierten, war die Rechnung simpel: Mit Computern schaffe ich es – im Gegensatz zu Physik – schneller an die Spitze. Und ich hatte Glück.
Inwiefern?
Am 4. Oktober 1957 schossen die Russen Sputnik 1 ins All. Als Reaktion beschlossen die USA, riesige Summen in Computertechnologie zu investieren. Damals wurden Spitzenunis mit Staatsgeldern beglückt. Ein Projekt war für die Universität von Utah vorgesehen, wo ich studierte. Dort fokussierte man auf Computer Graphics – auf exakt das, was mich faszinierte.
Ihr erstes Projekt?
Anfänglich ging es um Bildqualität auf Bildschirmen. Damals gabs nur Schwarz-Weiss-Bilder mit miserabler Auflösung. Ich aber hatte die Vision, mit dem Computer Geschichten zu erzählen. Mit meiner Dissertation digitalisierte ich eine Hand und brachte sie auf dem Bildschirm in Bewegung.
Ihr Durchbruch?
Nein. Ich hatte mir ja zum Ziel gesetzt, den ersten computeranimierten Film zu produzieren. Als ich mich nach dem Studium um ein Stipendium bewarb, hielt man das Filmprojekt für hirnrissig. Weil ich keine Forschungsgelder auftreiben konnte, landete ich bei einer kleinen Firma, die computer-gestütztes Design machte. Kurz darauf stiess ich auf ein Institut in New York, das meine Idee toll fand. Also stieg ich in den nächsten Flieger, reiste an die Ostküste und heuerte beim New York Institute of Technology an. Dort wurde ich bald Chef des neuen Computer Graphics Lab. So begann die Reise, die mich in den 1970er-Jahren zu Lucasfilm und zu Pixar brachte.
1986 gründete Apple-Gründer Steve Jobs die Filmgesellschaft Pixar. Sie wurden Chief Technology Officer, waren seine rechte Hand und übernahmen 2001 die Firmenleitung.
Wir waren am Anfang 35 Mitarbeiter, mit ihnen begann eine unglaubliche Story. Ich arbeitete 26 Jahre mit Steve – ich habe wohl länger und intensiver mit ihm gearbeitet als jeder andere.
Keine Meinungsverschiedenheiten mit Ihrem Geldgeber?
Doch, immer wieder.
Und wer hatte recht – Steve oder Ed?
Es war kompliziert, denn wir hatten ein eigenes Clearing-System: Das Ausräumen von Differenzen zwischen ihm und mir konnte mehrere Wochen beanspruchen. Steve war ein brillanter, schneller Denker. Brachte ich ein Argument vor, schoss er bereits beim letzten Wort sein erstes Gegenargument.
Tönt anstrengend.
Anregend, nie langweilig (lacht). Da ich im Kopf nicht so schnell war wie er, hörte ich ihm zu und legte mir fürs nächste Meeting meine Argumente zurecht. Auf diese schoss er sich dann wieder ein. Dieses Spiel konnte Wochen dauern.
Wie ging dieser Wettbewerb um das bessere Argument aus?
Bei ungefähr einem Drittel der Themen bekam er am Schluss recht, bei einem Drittel der Fälle gab er mir recht, indem er keine neuen Gegenargumente mehr aus dem Ärmel schüttelte. Und bei einem Drittel der Fälle meinte er kurz und bündig: Mach, was du für richtig hältst. Diese Art der Entscheidung war mitunter mühsam, aber es war ein Erfolgsfaktor von Pixar.
Pixar gilt als Film-Traumfabrik mit Milliardenwert.
Wir kamen aus unterschiedlichen Ecken – Steve war der Unternehmer, der Visionär, ich vertrat das Kreative und Technische. Wir haben uns ausserordentlich geschätzt, weil wir wussten: Einigen wir uns, haben wir die beste Lösung.
Jobs galt als stur, exzentrisch.
Herrisch, tyrannisch. Ich kenn all diese Prädikate und sie machen mich traurig. Ich jedenfalls erlebte Steve bei Pixar anders. Es gibt ein grosses Missverständnis: Er war in den letzten Jahren empathischer, zugänglicher, doch das blieb den meisten verborgen. Er hatte ja einen abrupten Abgang bei Apple, dann hatte er mit seiner Computerfirma Next und am Anfang mit Pixar nicht den Erfolg, an den er gewöhnt war. Das hat ihn verändert. Er war nicht mehr derart stur, sondern schätzte es, wenn Leute dagegenhielten. Manchmal behauptete er etwas, um Widerstand zu provozieren. Einmal warf er bei Pixar zwei Verwaltungsräte raus, weil sie ihm bloss zunickten.
Also doch ein Besserwisser?
Das beschreibt vielleicht seine erste Phase. Er setzte hohe Ziele, die er mit Passion verfolgte. Wer in der zweiten Phase gute Argumente hatte, konnte ihn schon mal überzeugen. Die Leidenschaft für grosse Ziele verlange ich auch von mir und meinen Direktoren. Es geht nicht um Grössenwahn, sondern um höchste Qualitätsansprüche. Das gehört zur DNA von Pixar – und zum Erfolg.
Sie sind Teamplayer, setzen auf Kreativität, gewähren den Leuten Freiheit. Manager lieben Kontrolle, Hierarchie.
Ich stehe immer auf dem Standpunkt, dass die Mitarbeiter etwas reissen wollen und Ideen mit sich herumtragen, die es wert sind, genauer betrachtet zu werden. Deshalb ist mein Credo als Manager: Lass die Leute ihre Ideen umsetzen. Kreativität darf nicht mit Vorgaben oder Bürokratie niedergemacht werden. Gebt Kontrolle ab, bietet Freiraum. Das haben wir durchgezogen. Bei Pixar kann jeder seinen Arbeitsplatz selber gestalten. Da gibts einen am Hauptsitz, der hat einen Western Saloon eingerichtet.
«Behind-the-scenes look» im Pixar Studios Komplex in Kalifornien.
Kostenkontrolle, Rendite sind zentrale Aspekte der Führung.
Zweifellos. Doch um Kreativität freizusetzen, müssen wir Risiken eingehen. Was bei Pixar besonders war: Wir alle wussten aufgrund der harten Erfahrung der ersten Jahre, dass es keinen Sinn hat, Meisterwerke zu entwickeln, die niemand sehen will oder finanziell aus dem Ruder laufen. Jeder weiss, dass wir künstlerisch und kommerziell überzeugen müssen.
Computer zerstören Jobs. Am Schluss brauchts keinen Brad Pitt oder keine Meryl Streep mehr, weil der Computer alles erledigt.
Im Filmgeschäft sehe ich das überhaupt nicht, im Gegenteil. Die Digitalisierung gibt uns ganz neue Möglichkeiten, Filme und Effekte umzusetzen. Hingegen sehe ich diese Gefahr in der industriellen Produktion. Nur: Die Digitalisierung zu bremsen, um Jobs zu retten, ist Blödsinn. Das Digitale eröffnet für alle Produktionsformen Möglichkeiten.
Die drei Erfolgsfaktoren der Traumfabrik Pixar?
Erstens: Wir haben stets die besten Talente in Computer Graphics angezogen. Zweitens: Wir haben das Zusammenspiel zwischen Computer und Kunst früh begriffen, beide sind gleichberechtigte Partner. Drittens: Der Braintrust.
Braintrust – ein Think Tank?
Nein, vertrauliche Feedback-Runden, in denen nur die Idee zählt, nicht die Hierarchie oder das Ego. Dafür habe ich sämtliche Zeichen der Macht aus dem Sitzungszimmer entfernt, auch den langen Tisch, wo oben der Chef sass. Stattdessen sitzen wir seit 2001 um einen quadratischen Tisch, ohne Sitzordnung oder Protokoll. Die Runde analysiert im Braintrust regelmässig einen spezifischen Film. Der Regisseure und die Filmverantwortlichen hören zu, sind aber nicht gezwungen, die Anregungen zu übernehmen. Was im Braintrust diskutiert wird, ist absolut vertraulich. Dieses Instrument führte ich auch bei den Disney Studios ein, als wir die Führung dort übernahmen. Damit haben wir auch bei Disney einen Kreativitätsschub ausgelöst.
Pixar hat eine spezielle Kultur.
Uns sind neben der Arbeit auch andere Dinge wichtig, etwa Feste. Das haben wir sogar in unseren Firmenstatuten drin. Da sind Feiertagspartys, Film-abschlusspartys, Autoshows, Papierfliegerwettbewerbe und anderes fixiert.
Pixar ging einmal fast pleite.
Einmal? Wir standen mehrmals Abgrund. Es gab schwierige Zeiten mit einem riesigen Schuldenberg. Wir haben am Anfang lange am Geschäftsmodell herumgedoktert. Wir produzierten zwar tolle Filme, doch die Rechnung ging nicht auf. Weil uns Managementinstrumente und Erfahrung fehlten, aber auch weil die Hardware unendlich teuer war. Erst als die Supercomputer billiger wurden, konnten wir richtig loslegen.
Eigentümer Jobs wollte Pixar dreimal verkaufen, weil er am Anfang nicht mehr an einen Erfolg glaubte.
Ich bin nicht sicher, ob er wirklich verkaufen wollte. Dafür verlangte er zu viel Geld. Ich glaube eher, er war frustriert, weil wir am Anfang Millionen verbrannt und Schulden aufgetürmt hatten.
Ihr liebster Film – «Wall E», «Monsters, Inc.», «Cars», «Finding Dory»?
Das ist wie bei Kindern, wir schätzen alle (lacht). Ich hab einen anderen Blick auf Filme als Kinobesucher, weil bei mir nicht die Endversion am Schluss hängen bleibt, sondern die Schwierigkeiten bei der Produktion. Unser dritter Film, Toy Story 2, löste eine interne Krise aus, weil wir nochmals an den Start mussten. Für die Selbstfindung war dies enorm wichtig. Als wir endlich durch waren, gewannen wir weltweit unzählige Preise.
Zehn bekannte Schweizer Pixar-Filme.
Wie hält man den Ball nach 13 Oscars am Rollen?
Der Hunger ist nicht das Problem, wir alle sind sehr ambitioniert. Das Problem ist eher, schaffen es die Filme über die Hürde, die wir immer höher legen. Ab und zu haben wir es beim ersten Sprung nicht geschafft, dann haben wir die Hürde etwas tiefer gelegt – und nochmals von vorne angefangen.
Zurück auf Feld eins, das kostet Millionen.
Mich hätte es nervöser gemacht, wenn wir nicht die Reset-Taste gedrückt hätten. Schwieriger wäre es geworden, wenn Steve Jobs oder die Vermarkter uns den Termin diktiert hätten. Das hätte mir schlaflose Nächte bereitet, wenn wir etwas hätten abliefern sollen, das nicht unseren hohen Standards entsprach. Steve Jobs sah das genau gleich. Auch die Chefs von Disney haben das akzeptiert.
Auch «Finding Nemo» funktionierte am Anfang nicht.
Niemand erinnert sich, wenn ein Film um ein paar Monate verspätet ist, hingegen erinnert man sich, wenn er langweilt. «Finding Nemo» war über ein Jahr verspätet, dann holte er einen Oscar, drei Academy-Nominationen, einen Grammy und unzählige Filmpreise rund um den Globus.
Pixar und Disney Animation Studios sind voll mit Screens und Supercomputern. Wie viele Screens und Computer haben Sie zu Hause?
Einen Desktop, einen Portable, ein iPad, ein iPhone, nichts Verrücktes. Wir wollen nicht, dass die Leute zu Hause weiterarbeiten. Mir ist lieber, sie erholen sich und tun was ganz anderes. Ich bin kein Computer-Junkie, ich meditiere jeden Tag und gehe drei- bis viermal die Woche ins Gym.
Und Zeitungen lesen Sie nur digital?
Ich häng mich täglich bei Newsportalen rein. Zu Hause habe ich eine Lokalzeitung, dazu die «New York Times» und das «Wall Street Journal» – alles in Print. Auch Bücher lese ich am liebsten mit Hard Cover.
*Edmund «Ed» Catmull (71) ist der Co-Gründer und Präsident Pixar-Studios sowie Präsident Walt Disney Animation Studio.