Das Nachschlagewerk für den Bullshit, der uns in der modernen Geschäftswelt tagtäglich um die Ohren fliegt.
Sel|fie, das
Von self (engl. selbst), Kurzform für «self-potrait», (engl. Selbstporträt), angefertigt durch Selbstdarsteller oder -innen. Gemeinsames globales Kulturgut der Generation der Digital Natives. Zum S. wurde das zuvor selten praktizierte fotografische Selbstporträt durch die Phase der Digitalisierung in der Fotografie. Erst führte der Wegfall variabler Kosten (Film, Entwicklung) zu einer Verbreitung des S. Den Durchbruch erlebte das S. jedoch erst dank dem Aufkommen erster Mobiltelefone (Natel) mit eingebauten Kameras (z. B. Nokia 7650; 2001). Zum Leitmedium der Generation S. wurde ab 2004 die Plattform Facebook, deren Content gefühlt zur Hälfte aus S. besteht, deren einziger Zweck es ist, von sog Freunden positiv bewertet zu werden. Das S. wurde ursprünglich im Jahr 1839 erfunden. Damals daguerreotypierte sich Robert Cornelius in einem 15-minütigen fotografischen Prozess selbst.
Sha|ring E|co|no|my, die
(engl.) 1. Teilende Wirtschaft, Austausch von Gütern und Dienstleistungen zum kollaborativen Konsum. 2. Elektronische Pinnwand für Kleinanzeigen in den Bereichen Wohnen (Airbnb) oder Fahren (Uber). Prinzip der kommunistisch inspirierten S. E. ist, dass sich Menschen gegenseitig zu Dumpingpreisen ihre Habseligkeiten und Dienste zur Verfügung stellen, während eine Dotcom-Firma im Silicon Valley absahnt. Klingt wie «sharing is caring», bedeutet aber das Gegenteil.
Sil|ver Sur|fer, der
Euphemistischer Marketing-Slang für Rentner im Internet. Marktforscher definieren S. als Zielgruppe ab 50 Jahren. Insbesondere für E-Commerce-Anbieter interessante Kunden, da sie in der Regel über überdurchschnittlich viel Geld und Zeit (money rich, time rich) verfügen. Allerdings ist es bislang keinem E-Commerce-Anbieter gelungen, sich im Online-Geschäft mit Best Agers zu etablieren. S. gibt es, sie sind aber im Vergleich zu anderen Altersgruppen (noch) eine Minderheit. Erst der demographische Wandel dürfte dies ändern. Fakt ist: S. nutzen die Angebote und Informationen im Internet anders als jüngere Generationen. Sie suchen nach anderen Themen (insbesondere Gesundheit), bevorzugen andere Shops, wählen andere Zahlungsmittel. Fakt ist auch: S. haben bereits in jüngeren Jahren Erfahrung mit dem Distanzhandel gemacht. Damals nicht im Netz, sondern im Versandhandelskatalog.
Smart Home, das
Apolgeten des «intelligenten Hauses» imaginieren Wohnbereiche, die vollständig vernetzt, digitalisiert und interaktiv sind. Sensoren werden künftig die Kommunikation zwischen Toaster, Jalousien, Spülbecken und Wärmepumpe ermöglichen. Einer von vielen Vorteilen: Der Kühlschrank bestellt das Lieblingsjoghurt nur dann, wenn bei Amazon entsprechende Aktionen im Angebot sind. Praktisch ist auch, dass durch eingebaute Kameras häusliche Gewalt und Intimitäten vollständig aufgezeichnet und archiviert werden. Zugewandte Drittparteien wie Vater Staat zählen also bald zur erweiterten Wohngemeinschaft. Mit künstlicher Intelligenz aufgepeppter Wohnraum verleiht jedem Zuhause mehr Charakter. Mit etwas Glück erleben wir es noch, wenn smarte Häuser damit beginnen, ihr Innenleben auf Instagram und Co. zu posten. Welches Gebäude wohl der Top-Influencer wird?
Smart|i|fi|zie|rung, die
engl. Smartification. Wörtl.: Vergescheiterung, Verbesserung. Prozess des Überführens eines normalen Industrieprodukts in ein zur Disruption neigendes Erzeugnis der Smart Economy unter Zuhilfenahme der Informationstechnologie. Aus der Uhr wird die smartifizierte Smart Watch, aus dem Telefon das Smart Phone und aus einem Stück Kupfer ein Smart Grid. Teil der S. ist auch der Moment der Erkenntnis, dass ein Produkt überhaupt smartifiziert werden kann und dass dieses alleine durch die Umdefinierung beim Konsumenten einen Wahrnehmungsbonus erfährt (s. «Alchemie»). S. kann mit Schlagwörtern des digitalen Marketings kombiniert werden: «cloudbasierte S.», «nachhaltige S.» (Quelle: «Smart Suisse 2017», Messe Basel). Der Trend der S. gipfelt in der sogenannten Self Smartification eines jeden Einzelnen (s. «Android», «Borg-Kultur»).
Smartwatch, die
Die S. ist – je nach Perspektive – der Sargnagel der helvetischen Uhrenindustrie oder ein wenig nützliches Gadget am Handgelenk. Fakt ist: Seit das US-Unternehmen Apple seine erste S. im April 2015 lanciert hat, ist sie in aller Munde. Und sie sorgt für heftige Debatten – innerhalb und ausserhalb der Schweizer Uhrenindustrie. 2016 wurden weltweit über 21 Millionen S. verkauft. Marktführer sind Apple und Samsung. Weitere asiatische Technologieunternehmen folgen auf den weiteren Plätzen. Schweizer Hersteller wie TAG Heuer oder Frédérique Constant sowie Luxusmarken wie Montblanc spielen bei den
Stückzahlen kaum eine Rolle, obwohl auch sie stattliche Mengen von S. absetzen – und dafür sorgen, dass Gegner und Freunde von S. einen gemeinsamen Nenner finden. Uhren-Zampano Jean-Claude Biver hält die Lancierung seiner TAG-Heuer-S. für die beste Idee seines Lebens.
So|cial Me|dia, die
(engl.) virtuelle Sphäre, Sozialisierungsplattform für Introvertierte, Plattform für Narzissten. Im deutschen Sprachgebrauch Mitte der Nullerjahre nur unter Studenten bekannt, ist S. M. mittlerweile auch älteren Generationen ein Begriff. Jene Silversurfer verantworten eine digitale Migration der Digital Natives, die gewisse Plattformen (Facebook) zugunsten neuer Portale (Snapchat, Instagram) verliessen, um dort ihren Eltern, Gross- oder Urgrosseltern nicht zu begegnen und ihre Selfies unter ihresgleichen zu verteilen. Oft wird S. M fälschlicherweise für M. (Media) gehalten. Dieser Irrtum führte zu weitverbreiteten Falschannahmen wie bspw. «Migration schadet der Wirtschaft», «Es gibt keinen Klimawandel» oder «Trump würde einen guten Präsidenten abgeben.» Qualitätsmedien sind ob dieser Entwicklung besorgt und haben das postfaktische Zeitalter eingeläutet.
Der Index wird Woche für Woche um einen Begriff erweitert. Einsendungen von Begriffen (und optional auch den dazugehörigen Lexikoneinträgen) nehmen wir gerne entgegen: Ein Mail an digi@handelszeitung.ch genügt.