Ende November beginnt die UNO-Klimakonferenz in Paris. Ziel der zwölftägigen Verantstaltung: Die internationale Gemeinschaft soll stärkere Massnahmen gegen die Klimaerwärmung beschliessen. Die Treibhausgasemissionen sollen so weit zurückgehen, dass sich die Erde nicht mehr als zwei Grad Celsius erwärmt (aktuell steht der Temperaturanstieg bereits bei 0,85 Grad, bei unveränderter Klimapolitik droht bis 2100 ein deutlich höherer Anstieg)*.

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Hoffnung besteht. Länder wie die USA und China ziehen inzwischen am selben Strang und wollen den CO2-Ausstoss mindern. Dennoch sind Beobachter unruhig. Der Crash beim Ölpreis hat eine neue Angst geweckt: die Verbrennung fossiler Brennstoffe könnte wieder so günstig werden, dass die Energiewende scheitert. Windstrom & Co. könnten durch billiges Öl einen herben Rückschlag erleiden.

Erneuerbare Energien sind günstiger geworden

Die Argumentation leuchtet auf den ersten Blick ein. Ökonomisch gesprochen sind Kohle, Erdöl, Wasser oder Wind so genannte Substitute: Rohstoffe, die zu einem gewissen Grad austauschbar sind, weil sie allesamt in Energie umgewandelt werden können. Fällt der Preis eines Rohstoffs (zum Beispiel Öl), so geht die Nachfrage nach seinen Substituten (zum Beispiel Windenergie) zurück.

Killt der Ölpreiscrash also die Energiewende? Wird nun auf Jahre hinaus billiges Öl verfeuert, statt dass verhältnismässig teure Windanlagen gebaut werden? Nicht zwingend, sagen Experten. Der Link zwischen Öl und Erneuerbaren sei aus mehreren Gründen schwächer geworden, argumentiert etwa ein Bericht der Beratungsfirma McKinsey:

  • Öl und Erneuerbare werden auf verschiedenen Märkten genutzt. Während Erdöl vor allem im Transport zum Einsatz kommt (Autos, Lastwagen, Schiffe, Flugzeuge), dienen erneuerbare Energien vor allem zur Stromproduktion. Die Nachfrage nach Strom ist aber weitgehend unabhängig von der Nachfrage nach Fortbewegung.
  • Erneuerbare Energien werden immer effizienter. Zwischen 1998 und 2013 fielen etwa die Kosten für Solarpanels kontinuierlich um 6 bis 7 Prozent pro Jahr. Allein zwischen 2012 und 2014 stieg die Stromkapazität, die ein in erneuerbare Energien gesteckter Dollar hervorbrachte, um 40 Prozent.
  • Schwellenländer haben ihre Energiestrategien verändert. China ist inzwischen der grösste Inverstor in erneuerbare Energien. Auch Länder wie Indien, Südafrika oder Brasilien wollen bei Sonne, Wind und Biogas vorwärtsmachen. Selbst Ölförderer wie Saudi-Arabien tasten sich vor. Denn auch für sie rentiert sich Solarenergie: Sie ersetzt ab einem Preis von 35 bis 45 Dollar das Öl, das statt zum Eigengebrauch in den Export fliessen kann.
  • Die niedrigen Ölpreise bieten ein Zeitfenster, um fossile Subventionen abzubauen. Zahlreiche Länder fördern Benzin und Gas derzeit stark: Sie verbilligen diese fossilen Brennstoffe für Konsumenten künstlich. Nutzen die Staaten den jüngsten Preiscrash, um die Subventionen zurückzufahren, so spüren die Konsumenten vom Ölcrash nicht viel. Tanken bleibt für sie gleich teuer.

Fossile Energieträger sind zu günstig

Wissenschaftler, Kommentatoren und internationale Organisationen wie die Internationale Energieagentur (IEA) weisen derzeit vermehrt auf den letzten Punkt hin. Weltweit werden über 300 Milliarden Dollar Dollar pro Jahr ausgegeben, um fossile Energien zu subventionieren. Die fossilen Fördergelder übersteigen jene für erneuerbare Energien um ein Vielfaches. Am meisten Staatsgelder werden fürs Benzin ausgegeben. Dabei werden auch die Einnahmen mitgezählt, die erdölproduzierenden Ländern entgehen, weil sie das Benzin im Inland sehr billig abgeben.

Die Subventionen verzerren den Markt gleich mehrfach. Sie führen erstens dazu, dass Menschen zu viele Kilometer pro Person zurücklegen. Zweitens verleiten sie zum Kauf von grösseren und schwereren Autos. Und drittens bremsen sie die Innovation hin zu benzinsparenden Motoren. Letztlich sind viele Subventionen auch unnötig, weil sie nicht einmal an der richtigen Stelle ankommen: Fast die Hälfte der Ausgaben landet bei den reichsten 20 Prozent der Bevölkerung, besagen Berechnungen des IWF.

Vier Jahre bis zum Breakeven

Welchen Unterschied die Subventionierung bzw. Besteuerung von Benzin ausmachen kann, zeigt folgende, vereinfachte Modellrechnung. Sie ist einem Papier der Columbia University entnommen und untersucht die Kosten der Elektromobilität – im Vergleich zu den Kosten eines herkömmlichen Autos bei den aktuellen Benzinpreisen.

Wer pro Jahr 24'150 km (also 15'000 Meilen) in einem gewöhnlichen Auto zurücklegt, trägt in den USA dafür Benzinkosten von 1850 Dollar. In Europa sind es 3000 Dollar: etwas mehr, weil hier das Benzin teurer ist, aber nicht doppelt so viel, weil verbrauchsärmere Autos gefahren werden. Wer dieselbe Distanz mit einem Elektroauto zurücklegt, zahlt für den Strom in den USA bloss 600 Dollar, in Europa bloss 1000 Dollar. Die Fahrkosten von Elektroautos sind also niedriger – in den USA um 1250 Dollar, in Europa um 2000 Dollar. Dafür sind die Boliden 5000 Dollar teurer im Kauf. Das bedeutet unter dem Strich: In den USA dauert es vier Jahre, bis sich die Anschaffung eines E-Autos gelohnt hat. In Europa sind es wegen der höheren Benzinsteuern nur zweieinhalb Jahre.

«Put a price on carbon» lautet der Aufruf der Stunde, dem sich im Vorfeld von Paris auch IWF-Chefin Christine Lagarde und ihr Gegenpart bei der Weltbank, Jim Yong Kim, angeschlossen haben: Setzt einen Preis fest für CO2-Emissionen. In der Praxis bedeutet dies, Lenkungsabgaben einzuführen und Subventionen abzubauen. Fest steht dabei das Fernziel, wie der ETH-Forscher Anthony Patt festhält: Noch dieses Jahrhundert sollte die Menschheit komplett von fossilen Energieträgern wegkommen.

*Update am 6.11.: Die UNO hat heute neue Zahlen veröffentlicht. Gemäss den Eingaben im Vorfeld von Paris steuert die Welt bei der aktuellen Politik auf eine Erwärmung von 3 Grad Celsius zu. Laut der UNO sollten wir bis 2060-75 vollständig CO2-frei wirtschaften, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen.