Die schwierige finanzielle Zukunft der Schweizer Altersvorsorge ist spätestens seit der Abstimmung zur Rentenreform 2020 bekannt. Die steigende Lebenserwartung zusammen mit tiefen Zinserträgen auf das Alterskapital lassen die Defizite wachsen. Mit der Ablehnung der Rentenform 2020 dürfte die Diskussion, ob das Rentenalter in der Schweiz angehoben werden muss, noch akuter werden.

Kaum thematisiert sind dabei die Folgen der Pensionierung für das Gesundheitswesen: Macht die Pensionierung die Menschen gesünder oder kränker? Diese Frage untersuchen Norma B. Coe vom Boston College und Gema Zamarro der RAND Corporation mit Querschnittsdaten aus dem Jahr 2004 für elf europäische Länder.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Auswirkungen von Pensionierung auf Gesundheit nicht geklärt

Die Pensionierung ist ein bedeutender Einschnitt im Erwachsenenleben. Während die einen sich auf das Ende von beruflichem Stress und körperlicher Belastung freuen und die neue Freiheit positiv erleben, fällt anderen die Neuorientierung ohne vorgegebene Tagesstruktur und Einbindung in die aktive Arbeitswelt schwer. In der bisherigen Forschung sind die Auswirkungen der Pensionierung auf die Gesundheit noch nicht verlässlich geklärt.

Es liegen Ergebnisse mit positiven und negativen Auswirkungen vor. Coe und Zamarro untersuchen daher erneut, wie sich die Pensionierung auf die subjektive und objektive Gesundheit von Europäern auswirkt. Hierfür werten die Wissenschaftler Umfrage-Daten aus dem Jahr 2004 aus und schätzen durchschnittliche Effekte für die folgenden elf europäischen Länder: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Holland, Italien, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien.

Um Rückschlüsse auf die Gesundheitsfolgen der Pensionierung zu ziehen, reicht es nicht, einfach den Gesundheitszustand der Pensionierten mit jenem der noch aktiven Personen zu vergleichen.

Gesunde Menschen könnten sich frühpensionieren lassen

Auf der einen Seite kann die Pensionierung die Gesundheit beeinflussen. Umgekehrt dürfte aber die Wahl des Pensionierungszeitpunkts stark vom Gesundheitszustand abhängen. A priori ist die Richtung dieses Zusammenhangs, also was Ursache und was Wirkung ist, keinesfalls eindeutig.

Eine Person mit schlechter Gesundheit lässt sich vermutlich aufgrund der grösseren Belastung durch die Arbeit eher früher pensionieren. Andererseits setzt eine Frühpensionierung einen gewissen Wohlstand voraus. Da ein höherer Wohlstand im Durchschnitt mit einer besseren Gesundheit einhergeht, könnten sich gerade die gesünderen Menschen eher frühpensionieren lassen.

Coe und Zamarro lösen das Problem der beidseitigen Wechselbeziehung zwischen dem Pensionierungszeitpunkt und der Gesundheit, indem sie den Gesundheitszustand nur von jenen Personen vergleichen, welche leicht jünger bzw. leicht älter als das gesetzlich vorgegebene Rentenalter sind.

Nicht alle lassen sich pensionieren

Personen in der Nähe des offiziellen Rentenalters zu vergleichen macht allerdings nur dann Sinn, wenn das gesetzlich vorgegebene Rentenalter die Personen auch dazu veranlasst, wirklich in Pension zu gehen. Die Mehrheit aller Personen richtet ihren Pensionierungszeitpunkt tatsächlich nach dem gesetzlichen Pensionsalter aus.

In den meisten Ländern lassen sich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung spätestens zum gesetzlich vorgegebenen Alter pensionieren. Das gesetzliche Rentenalter liefert daher eine relativ genaue Vorhersage für das Pensionierungsverhalten. Nur die Schweizer scheinen gerne deutlich länger arbeiten zu wollen, als das Gesetz ihnen vorschreibt: lediglich 73 Prozent der Schweizer, die das vorgeschriebene Rentenalter von 65 Jahren überschritten haben, sind pensioniert.

In ihrer Analyse kommen die Wissenschaftler zu dem zentralen Ergebnis, dass die Pensionierung zu einer Steigerung der Gesundheit führt. Die Wahrscheinlichkeit, eine unterdurchschnittliche oder beziehungsweise eine nur durchschnittliche, schlechte oder sehr schlechte Gesundheit zu melden, reduziert sich nach der Pensionierung um 35 Prozent.

Unmittelbar nach der Pensionierung

Die Wissenschaftler messen die Gesundheit jedoch nicht nur nach der befragten Selbsteinschätzung, sondern auch mit einem Gesundheitsindex, der objektive Gesundheitskennzahlen wie z.B. Übergewichtigkeit (Body Mass Index, BMI) oder Griffstärke einer Person beinhaltet. Die Pensionierung führt auch zu einer signifikanten Verbesserung des Gesundheitsindexes.

Allerdings werden die Gesundheitsfolgen nur zum Zeitpunkt der Pensionierung gemessen. Eine Pensionierung kann die Gesundheit aber nicht nur in der kurzen Frist, sondern auch über längere Zeit hinweg beeinflussen. In diesem Fall unterschätzt der gemessene Effekt die tatsächlichen langfristigen Gesundheitsfolgen einer Pensionierung.

Die Wissenschaftler schlagen in ihrer Untersuchung eine Wohlfahrtsanalyse vor, welche die verschiedenen Kosten und Nutzen einer späteren oder vorzeitigen Pensionierung gegenüberstellen sollten.

Nach der Pensionierung fühlt man sich gesünder

Der Nutzen liegt vorwiegend bei den Individuen, die sich nach einer Frühpensionierung merklich gesünder fühlen. Die Kosten fallen eindeutig im Pensionssystem an, weil die vorzeitig Pensionierten Leistungen beziehen und keine Beiträge mehr entrichten, obwohl sie nach ihrem Gesundheitszustand hätten länger arbeiten können.

Warum fühlen sich Pensionierte besser?

Das Ergebnis von Coe und Zamarro legt jedoch nahe, dass Einsparungen im Gesundheitswesen möglich sein könnten, wenn sich nach der Pensionierung der Gesundheitszustand tatsächlich verbessert. Solche Auswirkungen auf die Kosten im Gesundheitswesen werden jedoch von Coe und Zamarro nicht untersucht.

Auch ist nicht klar, warum die Verbesserung des Gesundheitszustands eintritt. Es könnte sein, dass nach der Pensionierung mehr Zeit für gesundheitsfördernde Aktivitäten bleibt, wie z.B. Sport, gesellschaftliche Aktivitäten, bis hin zu einer bewussten gesundheitsorientierten Ernährung. Auch mehr Schlaf und die Entlastung von beruflichem Stress könnten der Gesundheit förderlich sein.

Sabrina Stadelmann absolviert einen PhD in Economics and Finance an der Universität St.Gallen. Mit den Forschungsnachrichten «Next Generation» fassen die besten Studierenden wirtschaftspolitisch relevante Ergebnisse der aktuellen Forschung für Entscheidungsträger und die interessierte Öffentlichkeit zusammen.