Jerome Powell hat ein Juristendiplom, Erfahrung im Investmentbanking und als Finanzbeamter; er war Partner einer Private-Equity-Firma und sitzt seit fünf Jahren im Gouverneursrat der Federal Reserve. Doch eines hat der designierte Präsident der US-Notenbank nicht: ein Doktorat der Ökonomie. Viele Beobachter haben deshalb die Nase gerümpft, als der 64-Jährige für den Vorsitz der Fed nominiert wurde. Ausgerechnet ein Jurist soll künftig die Geschicke der Weltwirtschaft in den Händen halten?
Leider wissen die wenigsten, wie wichtig rechtliche Fragen für die Geldpolitik sind. Zentralbanken haben einen gesetzlichen Auftrag, den sie einhalten müssen. Die Europäische Zentralbank wird immer wieder mit dem Vorschlag konfrontiert, sie möge ihr Quantitative Easing einstellen und die Zinsen anheben, um Sparer und Banken nicht weiter zu belasten. Doch da die Inflation unter dem Zielwert von knapp 2 Prozent liegt, wäre dies ein krasser Vertragsbruch. Für den EZB-Rat ist die Idee deshalb schlicht lächerlich.
Rechtliche Aspekte sind wichtig
Rechtliche Aspekte spielen auch bei Rettungsaktionen für Banken oder bei den Anforderungen an hinterlegte Wertschriften eine wichtige Rolle. Zentralbanken sind Regulierungsinstanzen und müssen häufig Stellung zu Gesetzesentwürfen nehmen, die von der Politik erarbeitet wurden.
Dass Zentralbanker meistens Ökonomen sind, ist ein relativ neues Phänomen. Vor hundert Jahren wurden Notenbanken meist von Bankern geleitet. Drei der vier prägenden Figuren aus den 1920er Jahren – Montagu Norman von der Bank of England, Hjalmar Schacht von der Reichsbank und Benjamin Strong von der New York Fed – kamen aus dem Privatsektor (die vierte, Emile Moreau von der Banque de France, war Beamter). In dieser Zeit waren Zentralbanken primär mit der Bewirtschaftung der Interbankliquidität beschäftigt – häufig angesichts von Bankenkrisen.
Die Anforderungen ändern sich
Dies änderte sich nach der Grossen Depression, als die makroökonomische Stabilisierung wichtiger wurde und Zentralbanken verstaatlicht wurden. In dieser Ära hielten oft Beamte mit juristischem Hintergrund das Zepter in der Hand. Sie dauerte bis etwa 1990. Richtig gefragt wurde technisches Wissen in Makroökonomie und Ökonometrie erst mit der Unabhängigkeit der Zentralbanken (in Europa mit dem Maastricht-Vertrag) und mit der Einführung von freien Wechselkursen und Inflationszielen. Zum ersten Mal waren Zentralbanker befugt, die Zinsen losgelöst von der Politik festzulegen. Deshalb ernannten viele Notenbanken wissenschaftlich tätige Ökonomen zu Gouverneuren.
Die Anforderungen an einen Zentralbanker ändern sich im Laufe der Zeit. Ein gutes Verständnis der Wirtschaft ist essenziell – ein Doktortitel ist es nicht. Fast alle Notenbanken entscheiden in einem Gremium, oft mit externen Mitgliedern wie etwa bei der Bank of England oder der Bank of Japan. Die Politik wird so unabhängiger von den Eigenarten des Vorsitzenden.
Er kennt die Regeln
Jerome Powell hat also das Rüstzeug, um einen guten Job zu machen. Insider sagen, er habe bei der Fed hart gearbeitet, um sich mit der Materie vertraut zu machen. Powell gilt als Zentrist. Er kennt die Regeln, an denen sich Notenbanken in normalen Zeiten orientieren können. Und er hat in der Krise genug Gelegenheit gehabt, die Geldpolitik in turbulenten Zeiten zu studieren.
* Stefan Gerlach war Vize-Präsident der irischen Notenbank und ist heute Chefökonom der Tessiner Privatbank BSI.