Der technische Wandel erzeugt Ungleichheiten. Nach weit verbreiteter Ansicht profitieren davon vor allem die Hochqualifizierten. Der Fortschritt erhöht ihre Produktivität und verbessert ihre Job- und Lohnaussichten. Unqualifizierte Arbeit habe derweil wenig von der Technologie oder sei sogar durch sie bedroht (eine Analyse dazu hat kürzlich auch die Handelszeitung durchgeführt: «Warum Pfleger besser dran sind als Verkäufer»).
Das allgemeine Bild ist aber unvollständig. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Beschäftigung vor allem in den durchschnittlich qualifizierten Berufen eingebrochen ist. Jobs mit hohen und tiefen Qualifikationen sind eher stärker gefragt. Experten sprechen daher von einer Polarisierung der Arbeitswelt. Sie ist in einigen Ländern gut dokumentiert – doch die Ursachen dafür sind weitestgehend unbekannt.
Genau hier setzt eine Studie der Ökonomen Maarten Goos, Alan Manning und Anna Salomons aus dem Jahr 2014 an. Die drei Forscher haben die Polarisierung der Beschäftigung untersucht. Sie orten die ausschlaggebende Ursache dafür, wer vom technologischen Fortschritt profitiert, nicht im Qualifikationsniveau an sich, sondern in der Routineintensität eines Berufs: Erstens führt der technologische Wandel dazu, dass Arbeitskräfte, die überwiegend Routinetätigkeiten ausführen, durch Maschinen ersetzt werden. Zweitens führt die Globalisierung zur Verlagerung von Arbeit ins Ausland, so die Forscher. Das Ergebnis ist dasselbe: Weniger Jobs und geringe Aussichten auf bessere Löhne.
Büroangestellte sind von Technik bedroht
Die Forscher vergleichen in ihrer Arbeit die Entwicklung der Beschäftigungsanteile verschiedener Berufe in 16 westeuropäischen Staaten zwischen 1993 und 2010. Es zeigt sich, dass die Beschäftigung von hoch bezahlten Berufen, wie etwa von Ingenieuren, am stärksten zugenommen hat. Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung ist um durchschnittlich 5,6 Prozentpunkte gestiegen. Der Anteil schlecht bezahlter Berufe an der Gesamtbeschäftigung stieg im selben Zeitraum ebenfalls, und zwar um 3,7 Prozentpunkte. Dabei entstanden mehr Stellen im Verpflegungs- und Reinigungsbereich, während im Verkauf, im Baugewerbe und in der Produktion Stellen abgebaut wurden.
Berufe mit mittlerem Einkommen, wie zum Beispiel Büroangestellte oder Handwerker, haben dagegen sehr stark an Bedeutung verloren. Von 1993 bis 2010 ging ihr Beschäftigungsanteil um durchschnittlich 9,3 Prozentpunkte zurück. Die Entwicklung unterscheidet sich je nach Land, wie die folgende Grafik zeigt. In Österreich und Italien wuchs der Beschäftigungsanteil der gering bezahlten Berufe stärker als jener der hoch bezahlten Berufe. In allen anderen Staaten war es umgekehrt. Überall beobachten lässt sich jedoch die Ausdünnung des Mittelstands, also der starke Rückgang des Anteils von Arbeitskräften mit mittleren Einkommen.
Ausschlaggebend für die Polarisierung des Jobwachstums sind vor allem der Grad der Routineintensität und die Möglichkeit, eine Aufgabe ins Ausland zu verlagern. Beide Faktoren wirken bei durchschnittlich qualifizierten Berufen besonders stark und reduzieren ihre Beschäftigung innerhalb einer Branche deutlich.
Die Beschäftigungsentwicklung zwischen den Branchen gestaltet sich etwas komplizierter, da sie aus zwei gegenläufigen Effekten resultiert. Zum einen führt der technologische Fortschritt dazu, dass repetitive Arbeiten zunehmend von Maschinen ausgeführt werden. Die gleiche Gütermenge kann daher mit weniger Arbeitskräften hergestellt werden, so dass die Beschäftigung in Branchen mit einem hohen Anteil an repetitiven Arbeiten fällt. Zum anderen mindern Automatisierung und Robotereinsatz die Produktionskosten und lösen fallende Verkaufspreise und eine steigende Güternachfrage aus. Damit werden in der Produktion mehr von allen Arbeitskräften benötigt, auch von jenen mit routineintensiven Tätigkeiten. Empirisch zeigt sich, dass dieser positive Nachfrageeffekt die Jobverluste durch die Automatisierung zwar abschwächen, aber nicht ganz aufheben kann.
Routinearbeiten sind aus zwei Gründen anfällig
Die Wissenschaftler untersuchen Daten aus der sektoralen Arbeitskräfteerhebung der EU und der OECD. Die Routineintensität einer Aufgabe messen sie anhand eines gebräuchlichen Index. Büroangestellte weisen gemäss diesem Index den stärksten Routineanteil auf; am geringsten ist der Routinegrad bei Geschäftsführern von KMU, die offensichtlich alles können müssen. Die Forscher verwenden auch ein Mass fürs Offshoring-Porenzial. Gemäss diesem Index ist es am leichtesten, die Tätigkeit eines Maschinenführers ins Ausland zu verlagern. Am schwierigsten ist die Arbeit eines Logistikers auszulagern. Die Korrelation zwischen diesen beiden Jobcharakteristiken beträgt 0,46: Das bedeutet, dass viele Routinejobs doppelt gefährdet sind: Sie lassen sich erstens leicht automatisieren und zweitens auch leicht auslagern.
Die Forscher finden allerdings, dass weniger die Globalisierung, sondern vielmehr der technologische Fortschritt für die Polarisierung der Arbeitswelt verantwortlich ist. Die zunehmende Automatisierung routineintensiver Tätigkeiten bremst vor allem die Beschäftigung in den Berufen mit mittleren Einkommen im Vergleich zu gering und hoch bezahlten Jobs. Nimmt die Routineintensität eines Berufs um eine Standardabweichung zu – das entspricht dem Unterschied zwischen einem Arztes und einem Verkäufer –, so sinkt das Beschäftigungswachstum für diesen Beruf um 0,9 Prozentpunkte. Der Offshoring-Grad eines Jobs steht hingegen nicht in statistisch signifikantem Zusammenhang mit dem Beschäftigungswachstum.
Hochlöhner steigen auf, Tieflöhner wechseln Branche
Indem sie die Berufe nach ihrer Routineintensität und ihrer Verlagerungsanfälligkeit klassifizieren, können Goos, Manning und Salomons einen sehr grossen Teil der tatsächlich beobachteten Beschäftigungsentwicklung erklären: 79 Prozent bei hoch bezahlten, 74 Prozent bei durchschnittlich bezahlten und 66 Prozent bei niedrig bezahlten Berufen.
Wie sich die Beschäftigung eines Berufs entwickelt, hängt einerseits von Verschiebungen innerhalb einer Branche ab: das Anforderungsprofil kann sich von mittleren zu hoch bzw. niedrig bezahlten Tätigkeiten verändern (intraindustrielle Komponente). Andererseits spielen Verschiebungen zwischen den Branchen eine Rolle, wenn Branchen mit hohem Bedarf nach einem bestimmten Beruf expandieren und andere Branchen mit geringem Bedarf schrumpfen (interindustrielle Komponente).
Die Ergebnisse zeigen, dass beide Komponenten in ähnlichem Umfang zur Gesamtveränderung beitragen. Bei hoch und durchschnittlich bezahlten Berufen sind die Beschäftigungsverschiebungen innerhalb der Branche bedeutender, während bei niedrig bezahlten Berufen die Verlagerung zwischen den Branchen eher wichtiger ist.
Die Studie macht deutlich, dass vor allem der technologische Fortschritt und weniger die Globalisierung die Ausdünnung des Mittelstands prägt. Automatisierung, Digitalisierung und Roboterisierung verringern den Bedarf an Routinetätigkeiten. Dadurch nehmen die Anteile hoch und niedrig bezahlter Tätigkeiten an der Gesamtbeschäftigung zu, während routineintensive Berufe an Bedeutung verliern.
Brigitte Tschudi absolviert ein Masterstudium an der Universität St. Gallen. Mit der Initiative «Next Generation» ermutigt das Wirtschaftspolitische Zentrum der Universität St. Gallen ihre Nachwuchstalente, die Öffentlichkeit über Erkenntnisse der Wissenschaft zu informieren. Die besten Studierenden fassen wichtige Ergebnisse ausgewählter Publikationen in Fachzeitschriften zusammen.