Zwischen 1992 und 2012 hat sich der weltweite Anteil der studierenden Personen von 14 auf 32 Prozent mehr als verdoppelt. In der gleichen Zeit ist die Zahl der Länder, in denen über 50 Prozent der Bevölkerung ein Studium absolvieren, von 5 auf 54 angestiegen. Doch was studieren junge Leute heute?
In England führen Wirtschafts- und Finanzwissenschaften die Beliebtheitsskala an (mit fast doppelt so vielen Studierenden wie alle Naturwissenschaften zusammen). Auf Platz zwei und drei folgen Biologie und Medizin. Auch in den USA steht Ökonomie an der Spitze, gefolgt von Psychologie und Krankenpflege. Selbst in China und Indien hat sich das Wirtschaftsstudium im weitesten Sinne als erste Wahl etabliert, wenn auch mit gegenläufiger Tendenz: In China steigt die Zahl der Studierenden, in Indien ist sie rückläufig.
Ökonomie ist das ganzheitlichste aller Studienfächer
Auch ich teile diese Vorliebe für Ökonomie, gibt es doch meines Erachtens nur wenige Bereiche der Wissenschaft, die derart ganzheitlich ausgerichtet sind. Laut dem berühmten Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes ist der Ökonom zugleich
«… Mathematiker, Geschichtswissenschaftler, Politiker und in gewisser Hinsicht auch Philosoph. Er muss Symbole deuten können und wortgewandt sein. Vor allem muss er Spezifisches generalisieren und sowohl abstrakt als auch konkret denken können. Er betrachtet die Gegenwart im Licht der Vergangenheit, um Antworten auf die Bedürfnisse der Zukunft zu geben. Kein Aspekt der menschlichen Natur oder der von Menschen geschaffenen Institutionen darf ihm entgehen. Er ist entschlossen und neutral zugleich, distanziert und unbestechlich wie ein Künstler, aber manchmal auch bodenständig wie ein Politiker.» - John Maynard Keynes
Nach dieser Sichtweise sind wir zwangsläufig alle Ökonomen, denn niemand kann sich der Natur des Menschen und seinen Institutionen entziehen.
Maturanden wissen fast nichts über Wirtschaft
Der Studiengang ist so beliebt, obwohl (oder gerade weil?) 15-jährige Schüler nur wenig über Finanzthemen wissen – so jedenfalls lautet das Ergebnis einer in 18 Ländern durchgeführte PISA-Studie der OECD. Demnach verfügen kaum mehr als 15 Prozent der Maturanden in den OECD-Ländern über minimalste Finanzkenntnisse (und können daher beispielsweise keine Preise vergleichen). In China sind es nur 2 Prozent, in Kolumbien dagegen bis zu 55 Prozent der 15-Jährigen.
Diese Unterschiede lassen sich nicht mit dem Pro-Kopf-BIP erklären, denn während China die besten Ergebnisse erzielt, erreichen die USA, Frankreich, Spanien und Italien nicht einmal den OECD-Durchschnitt. Hingegen spielt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozioökonomischen Schicht eine wichtige Rolle. Gerade aus diesem Grund wäre es wichtig, im Kampf gegen Ungleichheit und prekäre Verhältnisse das Wirtschafts- und Finanzwissen bei der breiten Bevölkerung zu fördern. Solches Wissen schützt die Menschen gegen die schlimmsten Auswüchse der Märkte und es hilft ihnen auch ein Leben lang im Umgang mit Geld – nicht zuletzt beim Sparen für das Alter.
Die Erwachsenen schneiden in Wirtschafts- und Finanzfragen übrigens kaum besser ab als Jugendliche. In einer FINRA-Umfrage von 2012 konnten nur 20 Prozent der US-Amerikaner eine Frage zur Verzinsung von Obligationen korrekt beantworten. Bei den Personen, die sich selbst als «Anleihe-Investoren» bezeichneten, lag die Erfolgsquote bei mageren 44 Prozent.
Auf Wirtschaftsunterricht zu verzichten ist fahrlässig
Wer sich für ein anderes Studium als das der Wirtschaft entscheidet, hat später meist keinerlei Berührungspunkte mehr mit dieser für uns doch so wichtigen Materie. Sicher, der Staat könnte auch hier die Informationspflicht an den Bürger delegieren, so wie er es in anderen, ähnlich schwierigen Bereich wie zum Beispiel dem Elternwerden auch tut.
Doch zweifellos gilt auch hier: Vorbeugen ist besser als heilen. So hat die Finanzkrise von 2008 gezeigt, dass es eigentlich grob fahrlässig ist, nicht alle Bevölkerungsschichten bereits in der Schule in Wirtschafts- und Finanzfragen zu unterrichten. Ökonomie geht uns alle an und kann uns auch alle begeistern. Wirtschaftsunterricht nimmt den Konsumenten ernst und versetzt ihn in die Lage, eigenverantwortlich zu handeln.
Finanz- und Wirtschaftsunterricht ist wie die perfekte Anlage: kein Risiko in der Baisse und unendliches Potenzial in der Hausse. Besser geht’s nicht.