Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bessert sich. Ende April waren in der Schweiz insgesamt 146'000 Arbeitslose bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren eingeschrieben, knapp 6000 weniger als im März. Die Arbeitslosenquote sank damit von 3,4 auf 3,3 Prozent, nach Angaben des Seco.
Das sind auf den ersten Blick gute Nachrichten. Nicht nur wegen des kurzfristigen Rückgangs der Arbeitslosenquote (im Frühling und Sommer finden immer mehr Leute einen Job), sondern weil die Quote auch im Vorjahresvergleich etwas zurückging. Der Frankenschock scheint auf dem Arbeitsmarkt einigermassen verdaut.
Jurabogen nach wie vor stark betroffen
Bei genauerem Hinsehen muss man das Fazit allerdings einschränken. Zwischen den einzelnen Kantonen zeigen sich teils grosse Unterschiede. Dies zeigen Zahlen, die der Ökonom Marc Brütsch von Swiss Life für die «Handelszeitung» aufbereitet hat. Längst nicht überall ist die Flaute vorbei.
Nimmt man die letzten vier Jahre (März 2013 bis März 2017) ins Visier, so schneidet das Tessin etwa deutlich besser ab als der Jura. In der Südschweiz fiel die Arbeitslosenquote – saisonbereinigt – in dieser Zeit von 4,6 auf 3,2 Prozent. Im Jura stieg die Arbeitslosigkeit gleichzeitig von 3,7 auf 4,8 Prozent an. Einem Minus von 1,4 Prozent im einen Fall steht somit ein Plus von 1,1 Prozent im anderen Fall gegenüber.
Gesamtschweizerisch hat sich die Arbeitslosenquote in den letzten vier Jahren um knapp 0,2 Prozent erhöht. Eine Grafik zeigt, wie sich der Arbeitsmarkt in den einzelnen Kantonen relativ zur Gesamtschweiz entwickelt hat: Schlecht lief es nebst dem Jura auch Neuenburg und Schaffhausen, gut lief es nebst dem Tessin auch im Wallis und in Appenzell Innerrhoden.
Für die gegenläufigen Tendenzen gibt es diverse Ursachen. «Mehrere Spaltlinien laufen durch die Schweiz», sagt Marc Brütsch. «Die Arbeitslosigkeit ist in städtischen Gebieten und in grenznahen Regionen stärker angestiegen als im Rest des Landes.»
Beim Stadt-Land-Graben dürfte es sich um ein gängiges Phänomen handeln: Urbane Zentren wirken traditionell als Auffangbecken für Stellensuchende, wenn diese in den ländlichen Regionen keine Jobs finden. Der geografische Gegensatz der Regionen dürfte dagegen auf die starke Währung zurückzuführen sein. Betriebe in grenznahen Regionen haben stärker mit der Konkurrenz aus dem Ausland zu kämpfen.
Traditionell höher seien die Quoten ausserdem in der Romandie, sagt Brütsch, was mit unterschiedlichen Systemen, aber auch mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun habe. Eine Nachfrage beim Seco und in den Kantonen bestätigt das: So sind in Kantonen wie dem Jura mehr Personen beim Arbeitsamt gemeldet, weil dort die Sozialhilfe über dasselbe Amt administriert wird.
So läuft der Arbeitsmarkt in den Kantonen
Weitet man das Objektiv noch etwas aus, so wird die Entwicklung übers ganze letzte Jahrzehnt sichtbar. Und es zeigen sich teils markante Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen.
Stark von Schwankungen geprägt ist die Arbeitslosenquote zum Beispiel im Kanton Jura. Schon 2009 war die Arbeitslosigkeit dort von 3 auf 6 Prozent hochgeschnellt, doch sie ging bald aufs Schweizer Mittel zurück. Seit 2012 weitet sich der Abstand jedoch wieder aus – wegen der Krise in der Uhrenbranche. Sie stellt einen Grossteil der industriellen Arbeitsplätze. Fast 40 Prozent der Beschäftigung im Kanton sind von der Exportbranche abhängig. Dies erklärt die hohen Ausschläge bei der Arbeitslosenquote im westschweizer Kanton.
Ähnlich ist die Ausgangslage in Neuenburg. Die Uhrenindustrie beschäftigt dort jeden siebten Arbeitnehmer. Der Kanton hat wegen den Absatzschwierigkeiten dieser Branche und wegen dem starken Franken an Terrain verloren. Die Arbeitslosigkeit ist aktuell fast 3 Prozent höher als in der restlichen Schweiz. «Der Arbeitsmarkt verschlechtert sich, seit die SNB Anfang 2015 den Euro-Mindestkurs aufgegeben hat», sagt Olivier Thomas vom Volkswirtschaftsdepartement.
Besser läuft es in Graubünden, obwohl der Kanton wegen des harten Frankenkurses massiv an Übernachtungen verloren hat. Auf dem Arbeitsmarkt schlägt sich die Tourismusflaute nämlich kaum nieder. «Die allermeisten ausländischen Bauarbeiter und Gastronomiefachkräfte gehen in der Zwischensaison nach Hause», erklärt Paul Schwendener, Leiter des Amts für Industrie, Gewerbe und Arbeit. Man könnte auch sagen: Dem ostschweizer Bergkanton gelingt es, einen Teil seiner Arbeitslosigkeit in andere Landesteile und ins Ausland zu exportieren.
Ziemlich im Trend liegt der Kanton Aargau – jedenfalls, was die Arbeitslosenquote angeht. Sie liegt dort nach wie vor ein paar Zehntelsprozente tiefer als in der restlichen Schweiz. So, wie es die letzten zehn Jahre hindurch immer war. Die Digitalisierung und der starke Franken haben im Detailhandel zwar Spuren hinterlassen. Anderseits wurden neue Jobs geschaffen. Die Wirtschaft war in der Lage, den Strukturwandel abzufedern, wie wie Thomas Buchmann vom Amt für Wirtschaft und Arbeit sagt. Exemplarisch dafür stehe der Stellenabbau von 900 Personen, den der Industriekonzern General Electric im Januar 2016 bekannt gab. Auf dem Arbeitsamt seien nur 15 Personen gelandet. «Viele Fachkräfte haben einen anderen Job gefunden.»
Unter dem Landesschnitt liegt die Arbeitslosigkeit auch in Zug. Doch unter den zentralschweizer Kantonen, die im allgemeinen sehr niedrige Quoten aufweisen, hat Zug die höchste Arbeitslosenrate. Dies liegt laut Bernhard Neidhart vom Amt für Wirtschaft und Arbeit an der internationalen Ausrichtung der Firmen. «Die ausländische Konjunktur schlägt in Zug am schnellsten durch.» Der Standort Schweiz habe im internationalen Wettbewerb stärker mit Unsicherheiten zu kämpfen, als es in der öffentlichen Wahrnehmung der Fall sei.
In Luzern scheint dagegen alles zusammenzupassen. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen fast
1,5 Prozent unter dem Landesmittel – der Abstand zur restlichen Schweiz hat sich über die letzten Jahre beständig ausgeweitet. Karin Lewis von der Dienststelle Wirtschaft und Arbeit preist den vorteilhaften Mix aus ländlichen Kleinbetrieben sowie internationalen Unternehmen im Kanton. Luzern habe weniger als andere Tourismusregionen gelitten und vom Boom bei chinesischen Gästen profitiert.
Mittelmässig präsentiert sich die Lage in Schaffhausen. Der Grenzkanton im Norden hat unter dem Frankenschock gelitten. Im Detailhandel hat sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt. Zudem haben einige grosse Firmen ihre Standorte geschlossen, etwa der Pharmamulti Abbott mit seiner Stents-Produktion in Beringen. 300 Leute verloren den Job, etwa 90 blieben schliesslich auf dem Arbeitsamt hängen. Auch weitere Betriebe bauten Stellen ab und entliessen dabei niedrig qualifizierte Personen, die nicht sofort eine neue Stelle fanden. Im schweizweiten Vergleich ist Schaffhausen inzwischen nur noch Durchschnitt. Vivian Biner, Leiter des kantonalen Arbeitsamts, käme eine Trendumkehr zwar gelegen, doch er rechnet nicht damit. «Die Margen vieler Betriebe bleiben niedrig.»
Zum eigentlichen Underperformer geworden ist Zürich. Seit drei Jahren stottert der Markt im grössten Wirtschaftskanton der Schweiz. Die Arbeitslosigkeit liegt heute 0,4 Prozent über dem Schnitt – vor zehn Jahren lag sie 0,1 bis 0,2 Prozent darunter. Ein wichtiger Treiber dürfte der strukturelle Niedergang in der Finanzbranche sein. Konkret betroffen sind aber Berufe quer durchs Band: Es gibt mehr Arbeitslose in der Industrie, auf dem Bau, im Detail- und Grosshandel, in den wirtschaftlichen Dienstleistungen, in der Finanzindustrie und selbst im Gesundheits- und Sozialwesen.
Ein umgekehrter Trend lässt sich in einer anderen wichtigen Wirtschaftsregion beobachten: in Genf. Vor zehn Jahren war die Arbeitslosigkeit noch 4 Prozent höher als in der restlichen Schweiz. Inzwischen ist der Unterschied auf 2 Prozent geschrumpft. Das liegt laut Daniel Loeffler vom Genfer Volkswirtschaftsdepartement am rasanten Stellenwachstum. Von 2005 bis 2014 entstanden in Genf primär im Dienstleistungssektor über 60 000 Stellen.
Die erfreulichste Entwicklung zeigt sich schliesslich im Tessin. Vor drei Jahren war die Arbeitslosenquote noch 1,5 Prozent über dem Schweizer Durchschnitt. Heute ist das Tessin gleichauf. Was ist passiert? «Dank der breiten Branchenstruktur hat sich die Wirtschaft als widerstandsfähig erwiesen», so Wirtschaftsdirektor Stefano Rizzi. Zudem habe das milde Wetter in den letzten Sommern geholfen. Allzu euphorisch sollte man angesichts der erfreulichen Kurve aber nicht werden. Die Arbeitslosenquote widerspiegelt nur eine Seite der Wirtschaft. Das Tessin bleibt gegenüber Italien exponiert – zur regelrechten Boomregion ist die Südschweiz in den letzten Jahren nicht geworden.