Fünf Atomkraftwerke produzieren in der Schweiz aktuell Strom. Eines davon (Mühleberg) soll nach dem Willen der Betreiber nächstens vom Netz. Die Atomausstiegsinitiative will auch für die restlichen vier Kraftwerke fixe Abschaltdaten durchsetzen. Ein gestaffelter Ausstieg soll es sein: 2018, 2024 und 2029 sollen die restlichen Meiler den Betrieb stillegen.

Damit fallen Stromproduktionskapazitäten weg. Mühleberg, Beznau I und II, Gösgen und Leibstadt erzeugen heute theoretisch total 26,5 Terawattstunden Elektrizität – wenn sie bis auf vier Wochen Wartungsarbeit pro Jahr auf voller Last laufen. Der gestaffelte Ausstieg bedeutet, dass zwischen 2018 bis 2040 jeweils zwischen 6 und 21 Terawattstunden fehlen (die Annahme dabei ist, dass die AKW ohne Atomausstieg 60 statt 45 Jahre laufen würden).

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Die Frage ist: Wie wird dieser Strom kompensiert? Experten gehen davon aus, dass der fehlende Strom einerseits aus Frankreich und andererseits aus Deutschland geliefert wird. Das würde bedeuten: Die Schweiz importiert in erster Linie Atomstrom, daneben Kohle- und Gasstrom und etwas erneuerbare Energie. Dies entspricht in etwa dem Energiemix dieser Länder. Genau voraussagen lässt sich der physische Stromimport allerdings nicht.

Anders ist die systemische Sicht. Europa ist heute ein zusammenhängender Energiemarkt. Fällt an einem Ort eine Stromquelle weg, entscheidet der Markt, an welchem anderen Ort zusätzlicher Strom produziert wird. Dabei kommt jeweils der Produzent zum Zug, der für die zusätzlich nachgefragte Strommenge gerade den günstigsten Preis offerieren kann (Energieökonomen sprechen in diesem Zusammenhang auch von der «Merit Order»). Vielfach sind es die Gaskraftwerke, die gerade an diesem Punkt stehen.

Gaskraftwerke haben eine mässige CO2-Bilanz

Von Gaskraft ist im Zusammenhang mit dem Atomausstieg selten die Rede. Zu Unrecht. Den Gaskraftwerken kommt eine besondere Reglerfunktion zu. Erneuerbare Energien (Wind, Solar), Atomkraft und Kohlekraft sind auf dem Markt zu günstigeren Bedingungen erhältlich. Die Kapaziäten dieser Kraftwerktypen sind darum meist voll ausgelastet. Öl wird dagegen kaum zu Strom verfeuert, weil es als Brennstoff in den meisten Stunden zu teuer ist. In der Mitte steht die Stromproduktion mit Gaskraftwerken.

Egal, wie die AKW in der Schweiz ersetzt werden: Der Atomausstieg hat Auswirkungen aufs Klima. Kernkraftwerke zählen zu den emissionsärmsten Stromproduzenten. Die Emissionen unterscheiden sich minimal nach Reaktortyp (5,2 resp 10,2 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom), sind aber im Vergleich zu anderen Energieformen sehr niedrig.

Gaskraftwerke emittieren etwa 80 Mal mehr Treibhausgase pro erzeugte Stromeinheit als Kernkraftwerke. Ihre Klimabilanz (636 Gramm) ist zwar nicht so klimaschädlich wie die von Kohlekraftwerken (1079 Gramm), aber deutlich schädlicher als die Bilanz der anderen Energiequellen im Schweizer Strommix.

Unter den erneuerbaren Energien verursachen Pumpspeicherkraft, Biogas und Solarstrom übrigens am meisten Treibhausgasemissionen, wenn man die gesamte Produktionskette analysiert, so wie es in dieser Studie im Auftrag des Bundesamts für Umwelt 2012 gemacht wurde.

Die Klimaziele der Schweiz wären in Gefahr

Durch den Atomausstieg verschlechtert sich die Klimabilanz. Um wieviel? Das hängt von den Annahmen ab. Ein Ersatz der gesamten Schweizer AKW-Kapazitäten mit Gasstrom würde bei ansonsten konstantem Stromverbrauch über den gesamten Zeitraum von 2018 bis 2040 etwa Mehremissionen von fast 200 Millionen Tonnen CO2 verursachen. Das wären im Schnitt 8,6 Millionen Tonnen pro Jahr: Ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem aktuellen Jahresausstoss. Dieser liegt in der Schweiz bei 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.

Zu einem fast identischen Ergebnis kommt man übrigens, wenn man statt Gaskraft (636 Gramm pro Tonne CO2) den gesamten Strommix von Deutschland einsetzt (663 Gramm). Deutlich grösser wird der Klimaschaden, wenn stattdessen Kohle zum Einsatz kommt (1079 Gramm). Dann fallen Mehremissionen von total 340 Millionen Tonnen CO2 bis 2040 an. Das wären 14,8 Millionen Tonnen pro Jahr – ein Plus von 30 Prozent gegenüber dem Status Quo. Die offizielle Klimapolitik der Schweiz sieht eine Senkung der Emissionen vor.

Man kann auch ein umgekehrtes Extremszenario aufstellen: Eines, in dem die Schweiz erstens ihren Stromverbrauch stark drosselt (um über 10 Prozent) und andererseits massiv in neue, erneuerbare Energien wie Photovoltaik oder Windkraft investiert (und dabei etwa 15 Terawattstunden neue Stromproduktionskapazität schafft). Unter diesen Annahmen liesse sich der Atomausstieg bis 2040 tatsächlich klimaneutral realisieren. Um eine Reduktion anzustreben, müssten dann aber immer noch zusätzliche Massnahmen her.

Emissionen sind mit Kosten verbunden

Gehen wir in unseren Berechnungen nochmals zurück zum ersten Szenario – die AKW werden durch Gaskraft ersetzt, der Ausstoss von Treibhausgasen erhöht sich um 8,6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Umgerechnet auf die Einzelperson bedeutet das bei rund 8 Millionen Einwohnern: Pro Kopf und Jahr fallen Emissionen von knapp einer Tonne CO2 an. Das ist fast genau so viel, wie ein Interkontinentalflug von Zürich nach New York pro Passagier etwa ausmacht, wie aus einem Kalkulator von MyClimate hervorgeht.

Der Vergleich macht zwei Dinge deutlich. Erstens: Wer seinen Urlaub in New York verbringt, verursacht tatsächlich ziemlich viel Treibhausgase (fast ein sechstel des durchschnittlichen Jahresbudgets an CO2 ist damit schon aufgebraucht). Zweitens: Ebenso wie eine Einzelperson eine Flugreise CO2-neutral gestalten kann, könnte auch die ganze Schweiz den Atomausstieg mit klimaentlastenden Massnahmen kompensieren. Geld gegen Emissionen, lautet der Deal – Geld, das für Klimaschutzprojekte eingesetzt wird.

Einen Anhaltspunkt dafür, welchen finanziellen Aufwand dies bedeuten würde, geben die aktuellen Preise für CO2-Emissionszertifikate in Europa. Diese kosten an der Börse mit rund 6 Euro pro Tonne CO2 aktuell lächerlich wenig (was einer der Gründe ist, warum die Strompreise derzeit so niedrig sind). Nach den Vorstellungen der EU soll der Preis aber dereinst um ein Mehrfaches steigen. 30 bis 40 Euro gelten als wirksamer Schwellenwert für den Preis einer Tonne CO2, bei dem sich im Verhalten der Energieinvestoren ändert.

Nimmt man als Berechnungsgrundlage einen Anstieg von aktuell 6 Euro auf 40 Euro im Jahr 2040 an (gängige Strompreisprognosemodelle beinhalten diesen Anstieg), ergibt sich die Summe von 5,4 Milliarden Franken. So viel Geld müsste die Schweiz über die kommenden Jahrzehnte aufwenden, um irgendwo auf der Welt Wald aufzuforsten oder Solaranlagen zu bauen, wollte sie den Atomausstieg mit Klimaschutzmassnahmen kompensieren. Pro Jahr wären das im Schnitt 230 Millionen Franken oder knapp 30 Franken pro Person.

Langes rechnen, kurzer Sinn: Die Schweiz hat aktuell einen sehr klimafreundlichen Strommix – wer dem Atomausstieg zustimmt, nimmt eine deutliche Verschlechterung in Kauf. Gegensteuer zu geben ist möglich, aber es kostet: Entweder, indem der Stromverbrauch eingeschränkt wird und die Energieproduktion mit neuen, erneuerbaren Energien viel intensiver als bisher ausgebaut wird. Oder, indem die Klimaschädigung anderswo auf der Welt mit Klimaschutzprojekten kompensiert wird.