Wenn man in Panik gerät
Vielleicht beschäftigen Sie vor einem Auftritt auch Gedanken wie: Versagt meine Stimme im entscheidenden Moment? Hört mir überhaupt jemand zu? Lachen die Leute über meine vorbereiteten Pointen? Während ein bisschen Anspannung nicht schadet, ist es ungünstig, wenn die Nervosität sich zu Angst auswächst, denn diese blockiert. Wer vor einem Auftritt nicht nur nervös oder aufgeregt ist, sondern Angst hat, fürchtet sich in ausserordentlich hohem Mass davor, sich zu blamieren und ausgelacht zu werden – etwas, das fast jeder Mensch schon als Kind einmal erlebt hat. Diese Angst, sich eine Blösse zu geben und sich zu blamieren, führt dazu, dass man sich vor allem darauf konzentriert, wie man wirkt, also wie man beim Publikum ankommen könnte. Durch diese Fixierung auf die äussere Wirkung aber rückt das, was man sagen will, in den Hintergrund. Das alles wirkt unnatürlich und verkrampft, was die Zuhörerinnen und Zuhörer wahrnehmen. Im gleichen Mass nämlich, wie der Redende sich auf seine Wirkung konzentriert, achtet auch das Publikum auf diese Äusserlichkeiten. Es sieht einen verkrampften, sich unnatürlich bewegenden und angstvollen Redner, und das macht ihn zur dankbaren Beute. Erst jetzt läuft er wirklich Gefahr, ausgelacht zu werden. Die richtige Einstellung bei einem Auftritt ist: «Sollen die Leute von meiner Art doch denken, was sie wollen! Ich bin gut so, wie ich bin.» Wenn Ihnen dieser Schritt gelingt, verfliegt auch die Angst, und Sie werden sich bei Ihrem Auftritt keine Blösse geben.

Wenn das Blackout droht
Die grösste Angst eines jeden Redners ist die Angst vor dem Blackout, dem Totalausfall. Es kann sein, dass Sie durch die Anspannung und Konzentration auf Ihre Rede plötzlich vergessen, was Sie sagen wollten. In einem solchen Fall ist es das Beste, diesen Ausfall zu thematisieren. Zu sagen, dass Sie nun überhaupt nicht mehr wissen, was Sie sagen wollten, ist besser, als gelähmt auf dem Podium zu stehen wie das Kaninchen vor der Schlange. Eine mögliche Formulierung wäre zum Beispiel: «Jetzt ist mir gerade das passiert, wovor sich jeder Redner insgeheim fürchtet – ich habe ein Blackout. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Wegrennen oder den Anschluss wieder finden. Ich entscheide mich für Letzteres – einen kleinen Moment bitte, ich muss mich schnell sammeln.»

Wenn die Technik plötzlich streikt
Technische Pannen sind ärgerlich, können aber vorkommen. Versuchen Sie auch damit souverän umzugehen. Insbesondere ist es unangebracht, bei einem Ton- oder Lichtausfall die zuständigen Techniker im Saal zurechtzuweisen. Versuchen Sie, eine technische Störung mit Ironie aufzufangen, zum Beispiel indem Sie sagen: «Sobald ich wieder etwas Licht habe, finde ich auch meine Worte wieder.»

Wenn ein Störer die Rede unterbricht
Ärgerlicher als kleine technische Pannen oder Versprecher sind Störungen, die von aussen kommen, also vom Publikum. Vielleicht stört ein betrunkener Gast im Publikum Ihre Rede mit dümmlichen Sprüchen, oder eine Zuhörerin ist mit dem, was Sie sagen, nicht einverstanden und stört Ihren Auftritt immer wieder mit Zwischenrufen. Einen Zwischenrufer kann man getrost eine Zeitlang ignorieren, meist wird er ohnehin von seinen Nachbarn im Publikum zurechtgewiesen. Geschieht das nicht oder lässt sich ein Zwischenrufer trotz Zurechtweisung nicht stoppen, müssen Sie selber aktiv werden: Sprechen Sie den Störenfried an, sagen Sie ihm, dass Sie froh wären, wenn Sie jetzt in Ruhe fertig reden könnten, und bieten Sie ihm an, wenn Ihnen der Sinn danach steht, sich nach Ihrem Auftritt mit ihm persönlich zu unterhalten.
Das Publikum wird Sie – möglicherweise sogar mit einem Applaus – unterstützen, denn es ist auf Ihrer Seite: Auch es möchte gerne Ihre Rede ungestört zu Ende hören. In krassen Fällen, wenn ein Zwischenrufer ausfällig wird oder Sie sogar bedroht, können Sie auch von der Bühne aus den Veranstalter oder anwesendes Sicherheitspersonal bitten, sich um ihn zu kümmern.

Wenn einen das Publikum ablehnt
Ein unruhiges Publikum wieder für sich zu gewinnen ist keine leichte Aufgabe. Unruhe kann aus verschiedenen Gründen entstehen. Möglicherweise haben Sie das Pech, als Letzter in einer langen Reihe von Rednerinnen und Rednern auftreten zu müssen, und das Publikum möchte keine weitere Rede mehr hören, sondern lieber endlich zum versprochenen Apéro schreiten. Oder die Luft im Saal ist inzwischen – im wahrsten Sinn des Wortes – so dick, dass die Zuhörenden schlicht nicht mehr aufnahmefähig sind. Es kann aber auch sein, dass das Servierpersonal just während Ihrer Präsentation die Anweisung bekommt, mit dem Abräumen der Tische zu beginnen.
Für diese Umstände sind Sie nicht verantwortlich, und Sie können die Störungen auch nur schlecht beheben. Ein Mittel, um die Aufmerksamkeit des Publikums trotzdem zu erhalten, sind längere Redepausen, die Sie gezielt einsetzen. Wenn Sie einen Moment lang nichts sagen, ist das Publikum überrascht oder verunsichert und hört Ihnen höchstwahrscheinlich wieder zu. Sie können auch versuchen, mit Ihrer Stimme zu arbeiten, also einmal lauter und dann wieder leiser zu sprechen. Als Faustregel gilt: Je lauter der Geräuschpegel im Saal, desto leiser sollten Sie sprechen. Wenn Sie versuchen, den Geräuschpegel zu übertönen, bleiben Sie chancenlos. Je lauter Sie sprechen, desto lauter werden nämlich auch die Leute im Publikum sprechen – wie in einer Bar, in der die Musik sehr laut ist. Idealerweise werden Sie leiser und dann wieder lauter, modulieren also Ihre Stimme. Damit haben Sie die grösste Chance, vom Publikum als Redner (wieder) wahrgenommen zu werden. Helfen diese Tricks nicht weiter, bitten Sie das Publikum ein-, höchstens zweimal um Ruhe. Wenn auch das nichts nützt, gibt es nur eines: Ihre Rede möglichst schnell zu einem Ende zu bringen, allerdings ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Sagen Sie also nicht: «Ich komme jetzt zu einem Ende, weil sich sowieso niemand für das interessiert, was ich hier erzähle», denn so ziehen Sie den Unmut oder den Spott des Publikums erst recht auf sich. Kürzen Sie einfach Ihre Rede um ganze Abschnitte, ziehen Sie den Schluss vor und setzen Sie einen Punkt.

Wenn man das Thema verfehlt
Vor vielen Jahren wurde ich von der Radio- und Fernsehgesellschaft Oberwallis eingeladen, an meiner alten Mittelschule Kollegium Spiritus Sanctus in Brig ein Referat zu halten. Ich war damals Redaktionsleiter und Moderator der Politdiskussionssendung «Arena» im Schweizer Fernsehen, und das vorgegebene Thema lautete «Vom Kollegiumsschüler zum ‹Arena›-Moderator». Allerdings schien mir das vorgegebene Thema etwas zu dünn. Ich entschied mich eigenmächtig, den vorgegebenen Referatstitel mit dem lateinischen Untertitel «Non scholae, sed vitae» zu ergänzen – auf Deutsch «Nicht für die Schule, sondern für das Leben (lernen wir)». Ich wollte in meinem Referat aufzeigen, was ich in der Schule tatsächlich für das Leben – also für mein Leben als Journalist und Moderator – gelernt hatte. Die Bilanz, Sie erahnen es, war vernichtend: «Alles Wissen», schlussfolgerte ich, «das ich für meinen Job heute brauche, all dieses Wissen wurde mir an dieser Schule nicht vermittelt. All dieses Wissen musste ich mir im Laufe der Jahre selber aneignen.» Und dann stellte ich noch die rhetorische Frage, was ein Schulsystem wert sei, das seinen Schülern nicht einmal in Grundzügen einen Staatskundeunterricht anbietet. Ich schaute in den Saal und erkannte plötzlich viele meiner ehemaligen Lehrer im Publikum. Ihre Gesichter waren enttäuscht, zum Teil gar fassungslos. «Was», so schienen sie sich zu fragen, «soll diese Abrechnung?» Der Applaus nach meiner Darbietung war sehr verhalten, und die Dankesworte des Veranstalters waren ein eher zweifelhaftes Kompliment: «Es war nicht uninteressant.» Meine Idee, das Referatsthema eigenmächtig abzuändern, war keine gute gewesen. Ich hätte mich viel besser an die Idee der veranstaltenden Organisation gehalten: Sie wollte nämlich an meinem Beispiel zeigen, dass es viele verschiedene Wege gibt, einen spannenden Beruf zu erlernen. Hätte ich mich mit dem Veranstalter vorgängig über Zielpublikum und Ziel- setzung des Themas unterhalten, hätte ich mich wohl für eine andere Rede entschieden.

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Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch «Reden wie ein Profi» von Patrick Rohr, das kürzlich in einer aktualisierten Version erschienen ist.