Algorithmen sind eine feine Sache. Sie schlagen Konsumenten unbekannte Musik vor, die sie mit grosser Wahrscheinlichkeit mögen. Sie zeigen uns Hotels, die unseren Bedürfnissen entsprechen. Sie helfen uns in der globalen Informationsflut genau das zu finden, was uns wirklich interessiert. Sie erleichtern uns das Leben - im privaten Alltag, aber auch im Beruf.
Algorithmen haben aber auch Nachteile. Sie sind nur so clever oder dumm wie die Menschen, die sie programmieren. Und sie schubladisieren uns – nach mehr oder weniger ausgefeilten Kriterien. Der Shopping-Algorithmus von Amazon etwa schlägt mir nur noch Kinderbücher und Baby-Pop-CD vor, seit ich einmal eine grosse Bestellung aufgegeben habe. Dabei könnte Amazon mit Rock und Thrillern bei mir punkten. Selbst ausgefeilte Computerentscheide sind schlechter als menschliche Einschätzungen.
In der Auswahl von Bewerbern sind Algorithmen ein Fluch, kein Segen
Nun kommen Algorithmen auch im Recruiting immer stärker zum Einsatz. Unternehmen - zumal grosse Konzerne – versuchen mit ihrer Hilfe, der Bewerberflut Herr zu werden und die richtigen Kandidaten für einen Job auszusieben. Das ist gefährlich – für die Firmen. Denn der Einsatz von Bewerber-Algorithmen verschlimmert das Strukturproblem vieler Personalabteilungen: Sie finden nur stromlinienförmige Kandidaten, aber allzu selten Köpfe, die aus dem Rahmen fallen. Mitarbeiter, die einen Unterschied machen. Querdenker, die das Unternehmen weiterbringen.
Natürlich brauchen Firmen, die täglich Dutzende oder gar Hunderte von Dossiers eingereicht bekommen, technische Hilfsmittel, um die Nadel im Heuhaufen zu finden. Aber ist es wirklich der HR-Weisheit letzter Schluss, dass eine Software darüber entscheidet, ob Kandidat A besser ist als Kandidatin B, nur weil der Algorithmus für A eine Übereinstimmung mit dem definierten Anforderungsprofil von 86,3 Prozent ermittelt hat? Soll B ausgesiebt werden, weil er die geforderten Englischkenntnisse im Gegensatz zu B nicht mit einem Zertifikat belegen kann? Womöglich ist B seit zehn Jahren mit einer Britin liiert und spricht daheim nur Englisch – und das fliessend! Zudem könnte A ein brillanter und hochdekorierter Kopf sein, aber womöglich ein sozialer «Pflock» und unfähig, im Team zu arbeiten. Der kriteriengesteuerte Algorithmus würde es nicht merken … und den falschen Bewerber bevorzugen.
Nichts geht über das Bauchgefühl - und das haben Maschinen nicht
Firmen klagen seit Jahren, nur mit viel Aufwand die richtigen Bewerber zu finden, jammern über den Fachkräftemangel und den seichten Talentpool in der Schweiz. Gleichzeitig forcieren sie mit dem Einsatz technischer Rekrutierungshilfsmittel, dass sie nur noch mustergültige Lebensläufe zugespielt erhalten – und solche sind bekanntlich rar. Womöglich, ja wahrscheinlich, verpassen sie wegen der Algorithmisierung die Mehrheit sehr guter Kandidatinnen und Bewerber, die perfekt passen würden – nur weil sie nicht ganz alle Kriterien erfüllen. Wollen sich das die Unternehmen wirklich leisten?